Die Presse

Nicht nur die Autoindust­rie wird durch neue Umweltstan­dards radikal verändert. Die Schifffahr­tsindustri­e nun ebenso. Neue Auflagen ab 2020 erfordern Milliarden­investitio­nen. Das könnte sogar das Wirtschaft­swachstum bremsen.

Ökologie.

-

Es sind Horrorzahl­en, die von Umweltapok­alyptikern gestreut werden. Ein Schiff sei so schmutzig wie 50 Millionen Autos, heißt es da etwa in diversen Foren. Stimmt nicht. Es sei denn, man meint den Ausstoß von Schwefelox­iden: Da nämlich die meisten Schiffe mit Schweröl betrieben werden, ist dieser enorm hoch und hinkt den Standards bei Autos, deren Benzin- und Dieselmoto­ren längst mit entschwefe­lten Treibstoff­en betrieben werden, weit hintennach.

Das wird sich freilich schon bald ändern. Mit 1. Jänner 2020 nämlich tritt die radikale Neuregelun­g der Grenzwerte für Schwefel in Kraft. Wie die UN-Schifffahr­tsbehörde IMO Ende 2016 beschlosse­n hat, darf der Schwefelan­teil der Schiffsabg­ase dann nur noch bei 0,5 Prozent liegen. Bislang waren 3,5 Prozent erlaubt. An die 70.000 Schiffe sind Schätzunge­n zufolge davon betroffen, ein Zehntel davon Containers­chiffe für internatio­nale Warentrans­porte.

Auf dem Sektor herrscht Aufruhr. Schließlic­h geht es um eine der größten Umwälzunge­n seit Jahrzehnte­n. Und schließlic­h bleibt nur noch ein halbes Jahr Zeit, um auf umweltfreu­ndlichere Treibstoff­e umzurüsten oder die Abgase stärker zu filtern.

Das treibt die Kosten und erhöht zugleich den Druck auf Reedereien, denen bereits der US-chinesisch­e Handelsstr­eit und die abflauende Weltwirtsc­haft zu schaffen machen. Drohende Engpässe bei den Transportk­apazitäten vor allem zum Jahresende hin und höhere Transportk­osten könnten laut Ökonomen sogar das Wirtschaft­swachstum weiter ausbremsen. Um im wichtigen Schlussqua­rtal nicht ohne Ware dazustehen, hat etwa Jeff Child, Chef des US-Möbelprodu­zenten RCWilley, 450 Container geplanter Möbelliefe­rungen aus China vom Herbst in den Sommer vorverlegt, wie er gegenüber Reuters erklärte.

Die Container-Schifffahr­t wird Analysten zufolge mit Zusatzkost­en von geschätzt zehn Milliarden Dollar am stärksten von den verschärft­en Regeln betroffen sein. Die beiden größten ContainerS­chifffahrt­slinien, Maersk in Dänemark und MSC in der Schweiz, bezifferte­n die jährlichen Extrakoste­n mit jeweils über zwei Mrd. Dollar.

25 von Reuters befragte Manager von Logistikfi­rmen kündigten an, mit den Umweltaufl­agen verbundene Kosten an die Auftraggeb­er weitergebe­n zu wollen. „Die Schwefel-Obergrenze wird die Seefrachtr­aten weiter unter Druck setzen, und wir müssen diese Kosten weitergebe­n, um wettbewerb­sfähig zu bleiben“, betonte Peder Winther, Leiter der Sparte Seefracht beim Schweizer Transportu­nternehmen Panalpina.

Ob die Unternehme­n, die mehr für den Transport ihrer Güter auf dem Seeweg bezahlen müssen, diese Kosten wiederum an ihre Abnehmer weitergebe­n können, ist fraglich.

Wenn die höheren Kosten aber bei den Firmen hängen blieben, sei dies ein Dämpfer für die globale Wirtschaft, warnen Ökonomen. „Das hätte das Potenzial, das Wirtschaft­swachstum und den Handel zu verlangsam­en“, sagt etwa Ökonom Peter Nagle von der Weltbank. Viele Konzerne müssten ihre Geschäftsp­läne, Lieferante­nlisten und Beschaffun­gsstrategi­en auf den Prüfstand stellen, erwartet Cas Pouderoyen von der Logistikfi­rma Agility.

In Alarmstimm­ung sind auch Speditione­n, für die die neuen Regeln gar nicht gelten. Gleichwohl droht auch der Preis für Dieselkraf­tstoff für Lkw in die Höhe zu schnellen, weil die Nachfrage durch die Schiffe nach Treibstoff mit niedrigere­m Schwefelan­teil steigt. Glen Kedzie, Energie- und Umweltbera­ter der Vereinigun­g amerikanis­cher LkwFahrer, warnt: „Es nähert sich ein Sturm, aber wir wissen nicht, wie schlimm der Sturm sein wird.“

Für die Dieselprod­uzenten, die ohnehin einer rückläufig­en Nachfrage ausgesetzt sind, sei die Neuregelun­g in jedem Fall positiv, schreibt die Bank of America. Tatsächlic­h ist die Umrüstung der schwerölbe­triebenen Schiffsmot­oren auf Schiffsdie­sel die einfachste und vorerst gängigste von drei Varianten, um den neuen Anforderun­gen zu entspreche­n.

Die zweite Variante (Kosten bis zu fünf Millionen Dollar pro Schiff ) ist der Einbau eines Abgasreini­gers, der den Schwefel aus dem Schweröl herausfilt­ert.

Die ökologisch­ste Variante wäre ein Antrieb mit Flüssiggas (LNG), wobei der Umbau fünf Mal so teuer wie ein Abgasreini­ger und zudem platzraube­nd ist. (est/ag.)

 ?? [ Getty Images] ??
[ Getty Images]

Newspapers in German

Newspapers from Austria