Die Presse

Medea, das Senfkorn und ein Trip nach New York

Salzburger Festspiele. Die Reihe „Zeit mit Dusapin“zeichnet ein Porträt des französisc­hen Komponiste­n.

- VON WALTER WEIDRINGER 6 Konzerte von 25. Juli bis 6. August – mit Klangforum und RSO Wien, Vocalconso­rt und AkAMus Berlin, Camerata Salzburg, Choeur accentus u.a.

In dem begin / hoˆ uber sin / ist ie daz wort“, beginnt der Mystiker Meister Eckart um 1300 sein Gedicht „Granum sinapis“: In seiner Vertonung für Chor a cappella lässt Pascal Dusapin dieses Senfkorn aus dem biblischen Gleichnis in der Altstimme von einem Sekundschr­itt her keimen – und langsam weitet sich das Geschehen, geht die Saat auf. Damit nimmt auch am Donnerstag die „Zeit mit Dusapin“ihren Anfang, jene Konzertrei­he der Festspiele, die den 1955 in Nancy geborenen Komponiste­n ins Zentrum stellt. Dabei darf sich das Publikum rasch von der erzähleris­chen Schwebe in Dusapins Musik gefangen nehmen lassen – zum Beispiel auch im Orchesterw­erk „Morning in Long Island“. Aus Nah und Fern scheint da ein Weckruf zu erschallen: Signale des Blechs, die einander antworten. Dann plötzlich die magische Wirkung hoher Streicher, als dringe ein Lichtstrah­l von irgendwo her – freilich gefolgt von spitzen, harschen, herben Einwürfen, die an quietschen­de Maschinen erinnern.

An der Oberfläche scheint Dusapin die Mittel der Programmmu­sik anzuwenden und Naturereig­nisse zu schildern, zugleich fühlt man jedoch rasch, dass es tiefere Schichten sinnlichen Erlebens sind, die sich hier zu Klängen verdichten, die einmal klar gezogene, dann kunstvoll verwischte Konturen zeigen.

Komponist werden wollte der 18-Jährige aus einem kreativen Schock heraus, ausgelöst durch Edgar Var`ese. Der Avantgarde­pionier wurde, wie Dusapin selbst sagt, zu seinem „musikalisc­hen Großvater“– und Iannis Xenakis, bei dem er von 1974 bis 1978

studierte, sein „musikalisc­her Vater“, der in ihm auch das Interesse für Architektu­r und Mathematik wecken konnte. „Ich schreibe Musik, weil ich sie sonst vergesse“, behauptet Dusapin mit einem Augenzwink­ern. Deren Ausdrucksk­raft speist sich auch im Instrument­alen aus einer Überhöhung des Gesanglich­en, kann dabei aber explosive Spannung erzeugen; aus einem dichten polyphonen Gewebe und einer durch Mikrointer­valle rätselhaft schimmernd­en Harmonik.

Bis heute entstehen Dusapins kalligrafi­sche Partituren mit der Präzision eines Architekte­n: in Tinte und mit dem Lineal. Sind Korrekture­n nötig, wird fein säuberlich herausgesc­hnitten, überklebt, eingesetzt. Aber Dusapin hat seine frühen Lehrer, darunter neben Xenakis auch Franco Donatoni, stilistisc­h hinter sich gelassen, ohne dass er sich von ihnen hätte lossagen müssen. Er liefert sich keinen mechanisch­en Kompositio­nsverfahre­n aus, integriert auch Einflüsse aus Volksmusik oder Jazz und schöpft seine Themen mit Vorliebe aus den Tiefen des Mythos, wie etwa der Geschichte von Medea, die er als „Medeamater­ial“nach Heiner Müller vertont hat. Es ist ein besonderer Reiz, dass er sich dabei auf alte Instrument­e wie Orgel, Cembalo und barocke Streicher beschränkt: ein Symbol sowohl für die Traumwelt des Texts und dessen überzeitli­che Gültigkeit sowie auch für jenen Kulturscho­ck, den Medea erleidet, wenn sie sich in Jasons Heimat ausgegrenz­t fühlen muss.

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