Medea, das Senfkorn und ein Trip nach New York
Salzburger Festspiele. Die Reihe „Zeit mit Dusapin“zeichnet ein Porträt des französischen Komponisten.
In dem begin / hoˆ uber sin / ist ie daz wort“, beginnt der Mystiker Meister Eckart um 1300 sein Gedicht „Granum sinapis“: In seiner Vertonung für Chor a cappella lässt Pascal Dusapin dieses Senfkorn aus dem biblischen Gleichnis in der Altstimme von einem Sekundschritt her keimen – und langsam weitet sich das Geschehen, geht die Saat auf. Damit nimmt auch am Donnerstag die „Zeit mit Dusapin“ihren Anfang, jene Konzertreihe der Festspiele, die den 1955 in Nancy geborenen Komponisten ins Zentrum stellt. Dabei darf sich das Publikum rasch von der erzählerischen Schwebe in Dusapins Musik gefangen nehmen lassen – zum Beispiel auch im Orchesterwerk „Morning in Long Island“. Aus Nah und Fern scheint da ein Weckruf zu erschallen: Signale des Blechs, die einander antworten. Dann plötzlich die magische Wirkung hoher Streicher, als dringe ein Lichtstrahl von irgendwo her – freilich gefolgt von spitzen, harschen, herben Einwürfen, die an quietschende Maschinen erinnern.
An der Oberfläche scheint Dusapin die Mittel der Programmmusik anzuwenden und Naturereignisse zu schildern, zugleich fühlt man jedoch rasch, dass es tiefere Schichten sinnlichen Erlebens sind, die sich hier zu Klängen verdichten, die einmal klar gezogene, dann kunstvoll verwischte Konturen zeigen.
Komponist werden wollte der 18-Jährige aus einem kreativen Schock heraus, ausgelöst durch Edgar Var`ese. Der Avantgardepionier wurde, wie Dusapin selbst sagt, zu seinem „musikalischen Großvater“– und Iannis Xenakis, bei dem er von 1974 bis 1978
studierte, sein „musikalischer Vater“, der in ihm auch das Interesse für Architektur und Mathematik wecken konnte. „Ich schreibe Musik, weil ich sie sonst vergesse“, behauptet Dusapin mit einem Augenzwinkern. Deren Ausdruckskraft speist sich auch im Instrumentalen aus einer Überhöhung des Gesanglichen, kann dabei aber explosive Spannung erzeugen; aus einem dichten polyphonen Gewebe und einer durch Mikrointervalle rätselhaft schimmernden Harmonik.
Bis heute entstehen Dusapins kalligrafische Partituren mit der Präzision eines Architekten: in Tinte und mit dem Lineal. Sind Korrekturen nötig, wird fein säuberlich herausgeschnitten, überklebt, eingesetzt. Aber Dusapin hat seine frühen Lehrer, darunter neben Xenakis auch Franco Donatoni, stilistisch hinter sich gelassen, ohne dass er sich von ihnen hätte lossagen müssen. Er liefert sich keinen mechanischen Kompositionsverfahren aus, integriert auch Einflüsse aus Volksmusik oder Jazz und schöpft seine Themen mit Vorliebe aus den Tiefen des Mythos, wie etwa der Geschichte von Medea, die er als „Medeamaterial“nach Heiner Müller vertont hat. Es ist ein besonderer Reiz, dass er sich dabei auf alte Instrumente wie Orgel, Cembalo und barocke Streicher beschränkt: ein Symbol sowohl für die Traumwelt des Texts und dessen überzeitliche Gültigkeit sowie auch für jenen Kulturschock, den Medea erleidet, wenn sie sich in Jasons Heimat ausgegrenzt fühlen muss.