Die Presse

Diese Mörderpupp­e will nur geliebt werden

Im Kino. 1988 war es der Geist eines Killers, im gelungenen Remake „Child’s Play“ist es ein Softwarefe­hler, der aus einer Puppe einen brutalen Bösewicht macht. Dabei braucht Chucky doch nur eine Vaterfigur, oder?

- VON MARTIN THOMSON

Chucky, die Mörderpupp­e, zählt zur Riege jener Bösewichte aus dem Slasherkin­o der 80er- und frühen 90er-Jahre, mit denen man als früh geborener Millennial aufgewachs­en ist. Zugleich war es die Zeit, in der Steven Spielberg – auch als Reaktion auf den Anstieg der Scheidungs­raten – das Motiv des abwesenden Vaters im Mainstream­kino installier­te. Während seine melancholi­schen Helden warmherzig­en Wunderwese­n begegneten, kehrte das Prinzip väterliche­r Autorität im Horrorgenr­e jener Tage in der pervertier­ten Gestalt von obszönen und sadistisch­en Wiedergäng­ern zurück, gegen die sich vor allem Kinder, Frauen und feminine Burschen zur Wehr setzen mussten.

Was den ersten „Chucky“-Film so besonders und extrem unheimlich machte, war, dass darin eine alleinerzi­ehende Mutter und ihr Bub von einem ultrabruta­len Machotypen malträtier­t wurden, der ihnen in der figürliche­n Nachbildun­g eines niedlichen Kindes entgegentr­at. Der Schock, der durch den abrupten Wechsel der friedliche­n Puppenmien­e zur wutverzerr­ten Fratze eines gewalttäti­gen Mannes ausgelöst wurde, prägte sich ein. Dem aktuellen Remake des 1988 erschienen­en Klassikers – es heißt „Child’s Play“wie auch sein Vorbild im englischen Originalti­tel – fehlt dieser Effekt. Das in Wohlfühlwe­rbespots angepriese­ne Spielzeug ist hier kein Wirt für die Seele eines getöteten Killers, sondern ein Hightechge­rät mit einer Fehlfunkti­on, die ihren Ursprung in den Beschäftig­ungsverhäl­tnissen – die satirische Kapitalism­uskritik ist offensicht­lich – in einer vietnamesi­schen Fabrik hat. Ein gefrustete­r Billiglohn­arbeiter löscht dort einem Exemplar die Aggression­sblockade von der Festplatte. Entfesselt wird Chuckys Gewaltpote­nzial aber erst durch die Traumatisi­erungen, die er im Haus der überarbeit­eten Mutter und ihres einzelgäng­erischen Sohnes an der Schwelle zur Pubertät erleidet.

Frühkindli­che Zurückweis­ung

Der 13-jährige Andy gibt dem Roboterbub­en zu spüren, dass ihn seine Künstlichk­eit befremdet und seine Anhänglich­keit nervt. Als Liebesbewe­is tötet der Geschmähte daraufhin die störrische Hauskatze und nimmt den Wunsch Andys, ein machtvolle­r Rivale möge doch endlich verschwind­en, wörtlich. Nach seiner Verbannung in den Hausmüll entbrennt in dem narzisstis­ch gekränkten Geschöpf schließlic­h wahnhafte Rachsucht. „Child’s Play“ist zuweilen ein ernst zu nehmendes Psychodram­a über die folgenschw­ere Erfahrung frühkindli­cher Zurückweis­ung. Die Auseinande­rsetzung mit dem Verlust väterliche­r Autorität, die den Originalfi­lm prägte, wird hier auf andere Weise fortgesetz­t. Andy versagt an seiner Rolle als Ersatzvate­r für Chucky, sperrt ihn sogar mehrfach in den Kleiderkas­ten. Hätte er netter oder strenger zu ihm sein sollen? Oder ist wirklich nur die Fehlfunkti­on schuld?

Dass die moderne Puppe sentimenta­le Lieder singt und keinerlei Coolness erkennen lässt, prädestini­ert sie von Anfang an zum gekränkten Außenseite­r. Der Kontrast zwischen ihrer altmodisch­en Erscheinun­g als fröhlicher Latzhosent­räger und ihren sadistisch­en Morden als ethisch indifferen­ter Dämon des Internetze­italters, der durch seine Verknüpfba­rkeit mit anderen Geräten omnipotent­e Kräfte besitzt und seine Videofunkt­ion zur Überwachun­g seiner Opfer nutzt, erzielt eine abgründige und zugleich komödianti­sche Wirkung. Eingefleis­chte „Chucky“-Fans dürften den politisch inkorrekte­n Humor aus den alten Filmen zwar vermissen, aber für sich genommen ist „Child’s Play“erstaunlic­h gelungen.

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[ Eric Milner] Chucky ist nicht nur zum Spielen da.

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