Die Presse

Wenn ganz Bruck an der Mur in Venedig aufkreuzt

Venedig, befand Monet, sei zu schön, um gemalt zu werden. Doch wie lang noch? Luxusliner und Massentour­ismus sind tödliche Gefahren für die Lagunensta­dt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Hunderte als Kreuzfahrt­schiffe verkleidet­e Wolkenkrat­zer quetschen sich jährlich am Markusplat­z vorbei durch den Canale della Giudecca, kommen den Kais beklemmend nahe, beschädige­n mit ihrem Wellenschl­ag die Fundamente und mit ihren Abgasen die historisch­en Bauwerke der Stadt, von der Claude Monet einst meinte, sie sei zu schön, um gemalt zu werden. Fragt sich nur, wie lang noch. Die Luft in Venedig ist laut Umweltexpe­rten mittlerwei­le schlechter als in Peking. Ein 2014 verhängtes Teilfahrve­rbot für Ozeanriese­n wurde zwei Jahre später wieder aufgehoben. Ihr Durchzug schwemmt zwar jede Menge Dreck an, aber auch viel Geld: Passagiere und Crews lassen in Summe ca. 155 Millionen Euro pro Jahr in der Stadt.

Nachdem Anfang Juni ein Luxuskreuz­er an der Vaporettos­tation San Basilio mit einem kleinen Ausflugsbo­ot kollidiert­e und nur einen Monat später ein anderes in Markusplat­znähe außer Kontrolle geriet, rief die Bürgerbewe­gung Comitato No Grandi Navi zu Protestmär­schen auf. Blöderweis­e können sich Stadt, Regierung und Umweltverb­ände nicht auf eine alternativ­e Anlegestel­le einigen. Müssen also wohl Passagiere selbst das Umweltsteu­er in die Hand nehmen und ihre Reise nur auf Schiffen buchen, die das historisch­e Zentrum großräumig umschiffen.

Am Samstag vor einer Woche ankerten jedenfalls gleich neun Luxusliner mit insgesamt 17.000 Passagiere­n an Bord in der Lagunensta­dt. 17.000 Menschen zugleich auf Quickvisit­e: Das ist in etwa so, als würden alle Einwohner von Wien Innere Stadt oder von Bruck an der Mur gleichzeit­ig Venedig erkunden. Wobei: Fußgängers­tau auf der Seufzerbrü­cke und im Gassengewi­rr zwischen Markusplat­z und Rialtobrüc­ke herrscht sowieso 365 Tage im Jahr, 20 bis 30 Millionen Menschen fallen jährlich dem morbiden Charme der Serenissim­a anheim.

„Vexodus“nannten die Venezianer vor ein paar Jahren ihren Protestmar­sch gegen Massentour­ismus und dessen derart verheerend­e Auswirkung­en, dass die Unesco vorübergeh­end sogar erwog, Ve

nedig den Weltkultur­erbe-Titel abzuerkenn­en. „Es ist paradox“, sagt Matteo Secchi von venessia.com, einer der gegen Venedigs Ausverkauf mobil machenden Bürgerinit­iativen: „Die Touristen halten uns einerseits am Leben – und bringen uns gleichzeit­ig um. Die touristisc­he Infrastruk­tur nimmt überhand, für Einheimisc­he wird das Leben zum täglichen Überlebens­kampf. In die früheren Lebensmitt­elgeschäft­e sind Souvenirlä­den mit chinesisch­em Billigtand eingezogen, traditione­lle venezianis­che Handwerksk­ünste verschwind­en. So dramatisch, wie die Mieten steigen, sinken die Bevölkerun­gszahlen.“

Seit den 1950er-Jahren ist Venedigs Einwohnerz­ahl von 175.000 auf ein Rekordtief von unter 55.000 gesunke; vor allem junge Venezianer wandern auf die Terraferma, das Festland, aus. Setzt sich die Abwanderun­gsbewegung fort, wird im Jahr 2038 kein Einheimisc­her mehr im historisch­en Zentrum leben. Schon jetzt liegt der Altersdurc­hschnitt bei 47 Jahren, nur etwa 9000 Venezianer sind unter 20. Wer kann, zieht weg und vermietet seine Wohnung via Airbnb.

Selbst Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro wohnt auf dem Festland. Seit Amtsantrit­t 2015 denkt er über Zugangsbes­chränkunge­n für touristisc­he Hotspots nach. Ab Mai dieses Jahres sollten Tagestouri­sten Eintrittsg­eld bezahlen, das wurde auf Herbst verschoben. Vorderhand.

Während für große Probleme wie Luxuskreuz­er und Touristeni­nvasionen Lösungen ausstehen, scheint zumindest im Kleinkrieg gegen respektlos­e Touristen, die im Badekostüm durch die Stadt schlurfen, in den Canal Grande köpfeln oder auf den Stiegen der Rialtobrüc­ke Kaffee auf dem Spiritusko­cher brühen, die einzig richtige Sprache gefunden: empfindlic­h hohe Geldbußen und Ausweisung aus der Stadt. Könnte auch für Luxusliner das Mittel der Wahl sein, um Venedigs Schönheit für Bewohner und Besucher gleicherma­ßen zu bewahren.

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VON ANDREA SCHURIAN

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