Wenn ganz Bruck an der Mur in Venedig aufkreuzt
Venedig, befand Monet, sei zu schön, um gemalt zu werden. Doch wie lang noch? Luxusliner und Massentourismus sind tödliche Gefahren für die Lagunenstadt.
Hunderte als Kreuzfahrtschiffe verkleidete Wolkenkratzer quetschen sich jährlich am Markusplatz vorbei durch den Canale della Giudecca, kommen den Kais beklemmend nahe, beschädigen mit ihrem Wellenschlag die Fundamente und mit ihren Abgasen die historischen Bauwerke der Stadt, von der Claude Monet einst meinte, sie sei zu schön, um gemalt zu werden. Fragt sich nur, wie lang noch. Die Luft in Venedig ist laut Umweltexperten mittlerweile schlechter als in Peking. Ein 2014 verhängtes Teilfahrverbot für Ozeanriesen wurde zwei Jahre später wieder aufgehoben. Ihr Durchzug schwemmt zwar jede Menge Dreck an, aber auch viel Geld: Passagiere und Crews lassen in Summe ca. 155 Millionen Euro pro Jahr in der Stadt.
Nachdem Anfang Juni ein Luxuskreuzer an der Vaporettostation San Basilio mit einem kleinen Ausflugsboot kollidierte und nur einen Monat später ein anderes in Markusplatznähe außer Kontrolle geriet, rief die Bürgerbewegung Comitato No Grandi Navi zu Protestmärschen auf. Blöderweise können sich Stadt, Regierung und Umweltverbände nicht auf eine alternative Anlegestelle einigen. Müssen also wohl Passagiere selbst das Umweltsteuer in die Hand nehmen und ihre Reise nur auf Schiffen buchen, die das historische Zentrum großräumig umschiffen.
Am Samstag vor einer Woche ankerten jedenfalls gleich neun Luxusliner mit insgesamt 17.000 Passagieren an Bord in der Lagunenstadt. 17.000 Menschen zugleich auf Quickvisite: Das ist in etwa so, als würden alle Einwohner von Wien Innere Stadt oder von Bruck an der Mur gleichzeitig Venedig erkunden. Wobei: Fußgängerstau auf der Seufzerbrücke und im Gassengewirr zwischen Markusplatz und Rialtobrücke herrscht sowieso 365 Tage im Jahr, 20 bis 30 Millionen Menschen fallen jährlich dem morbiden Charme der Serenissima anheim.
„Vexodus“nannten die Venezianer vor ein paar Jahren ihren Protestmarsch gegen Massentourismus und dessen derart verheerende Auswirkungen, dass die Unesco vorübergehend sogar erwog, Ve
nedig den Weltkulturerbe-Titel abzuerkennen. „Es ist paradox“, sagt Matteo Secchi von venessia.com, einer der gegen Venedigs Ausverkauf mobil machenden Bürgerinitiativen: „Die Touristen halten uns einerseits am Leben – und bringen uns gleichzeitig um. Die touristische Infrastruktur nimmt überhand, für Einheimische wird das Leben zum täglichen Überlebenskampf. In die früheren Lebensmittelgeschäfte sind Souvenirläden mit chinesischem Billigtand eingezogen, traditionelle venezianische Handwerkskünste verschwinden. So dramatisch, wie die Mieten steigen, sinken die Bevölkerungszahlen.“
Seit den 1950er-Jahren ist Venedigs Einwohnerzahl von 175.000 auf ein Rekordtief von unter 55.000 gesunke; vor allem junge Venezianer wandern auf die Terraferma, das Festland, aus. Setzt sich die Abwanderungsbewegung fort, wird im Jahr 2038 kein Einheimischer mehr im historischen Zentrum leben. Schon jetzt liegt der Altersdurchschnitt bei 47 Jahren, nur etwa 9000 Venezianer sind unter 20. Wer kann, zieht weg und vermietet seine Wohnung via Airbnb.
Selbst Bürgermeister Luigi Brugnaro wohnt auf dem Festland. Seit Amtsantritt 2015 denkt er über Zugangsbeschränkungen für touristische Hotspots nach. Ab Mai dieses Jahres sollten Tagestouristen Eintrittsgeld bezahlen, das wurde auf Herbst verschoben. Vorderhand.
Während für große Probleme wie Luxuskreuzer und Touristeninvasionen Lösungen ausstehen, scheint zumindest im Kleinkrieg gegen respektlose Touristen, die im Badekostüm durch die Stadt schlurfen, in den Canal Grande köpfeln oder auf den Stiegen der Rialtobrücke Kaffee auf dem Spirituskocher brühen, die einzig richtige Sprache gefunden: empfindlich hohe Geldbußen und Ausweisung aus der Stadt. Könnte auch für Luxusliner das Mittel der Wahl sein, um Venedigs Schönheit für Bewohner und Besucher gleichermaßen zu bewahren.