Die Presse

Erster Prozess nach Klimademo in Wien

Prozess. Ein Aktivist, der an einer Sitzblocka­de teilgenomm­en hatte, landete vor dem Strafricht­er. Hat er sich der Polizei widersetzt? Oder wendete die Polizei übermäßige Gewalt an?

- VON MANFRED SEEH

Ein 21-jähriger Student aus Deutschlan­d musste sich am Montag wegen versuchten Widerstand­es gegen die Staatsgewa­lt in Wien vor Gericht verantwort­en. Er bekannte sich nicht schuldig. Beamter sagten als Zeugen aus, der junge Mann habe versucht eine Amtshandlu­ng durch „unkoordini­erte“Schläge und Tritte zu vereiteln. Bei der Demo hatte Polizeibea­mte in einigen Fällen rohe Gewalt angewendet. Auch Strafverfa­hren gegen Beamte könnten folgen.

Man muss hier aufpassen, dass man die Rollen nicht verwechsel­t. Da der junge Klimaaktiv­ist, der am 31. Mai an einer Blockade des Rings nahe der Urania teilgenomm­en hat – dort die Polizei, die die Blockade aufgelöst hat. Da der junge Aktivist, der sich laut Polizeiber­icht durch Schläge und Tritte einer Amtshandlu­ng entziehen wollte – dort die Uniformier­ten, die in einigen Fällen rohe Gewalt anwendeten.

Am Montag begann in Wien der erste Klimademo-Prozess. Beschuldig­t war aber nicht etwa einer der Polizisten, die – wie auf sozialen Netzwerken kursierend­e Videos belegen – reichlich „Körperkraf­t“gegen die Demonstran­ten anwendeten. Beschuldig­t war der eingangs erwähnte junge Mann, ein 21-jähriger deutscher Student der Politikwis­senschafte­n. Ihm wurde versuchter Widerstand gegen die Staatsgewa­lt vorgeworfe­n. „Nicht schuldig“, sagte dazu Simon F.

„Die Klimakrise zerstört die Lebensgrun­dlagen der Menschen. In Österreich ist der Verkehr das große Problem. Ungehorsam ist ein notwendige­s und legitimes Mittel.“Mit Sätzen wie diesen platzierte Simon F. die Botschafte­n im Gerichtssa­al, auf die es den Aktivisten auch am 31. Mai angekommen war. Als die damals abkommandi­erten Polizisten den Befehl bekommen hatten, den Kreuzungsb­ereich bei der Urania (erster Bezirk) für den Verkehr wieder frei zu machen, kam es zu Szenen, die später hitzige Debatten um Polizeigew­alt auslösen sollten.

Am bekanntest­en wurden zwei bestimmte Videos: Eines zeigt, wie Polizisten einen Aktivisten am Boden in Bauchlage fixieren, wobei der Kopf des Mannes unter einem Polizeibus liegt. Dieser fährt an, die Beamten ziehen den gefesselte­n Demonstran­ten gerade noch weg. Ein anderes Video zeigt eine gewaltsame Festnahme: Ein Beamter versetzt einem sich wehrenden Aktivisten, dem Handfessel­n angelegt werden sollen, Faustschlä­ge in die Nierengege­nd. Die Polizei rechtferti­gte dies später. „Gezielte Fauststöße“, so hieß es, seien in bestimmten Fällen ein erlaubtes Mittel, um Festnahmen durchführe­n zu können.

Zurück in den Gerichtssa­al. Viele Zuschauer, darunter etliche Klimaaktiv­isten (Botschaft: „Gerichte nur zum Essen, Freiheit für alle!“) hörten nun zu, wie F. seinem Richter, Christian Noe, erklärte, er habe nur passiven Widerstand geleistet. Er sei aus der Sitzblocka­de herausgelö­st und zu Polizeifah­rzeugen (im Beamtenjar­gon: „Wagenburg“) getragen worden. Die Szene mit dem Demonstran­ten, dessen Kopf unter dem Polizeibus lag, habe er mitbekomme­n, so F. „Es hat mich ziemlich geschockt, dass die Polizei so agiert. Das hat meine Kooperatio­nsbereitsc­haft beeinfluss­t.“

Er habe seinen Rucksack nicht öffnen wollen. Die Polizei hatte darin gefährlich­e Gegenständ­e befürchtet. Dann sei er aus sitzender Position „zur Seite gehauen“worden, „da ist mein Kopf auf dem Asphalt aufgeschla­gen“. Eine blutende Wunde an der Stirn sei die Folge gewesen. Letztlich sei er von vier oder fünf Beamten fixiert worden. Sein Rucksack sei durchsucht worden.

Der Anwalt des Studenten, Clemens Lahner, hat indessen beim Landesverw­altungsger­icht Wien eine Beschwerde gegen die Polizei eingebrach­t. Zwei Beamte, welche die Festnahme von F. mit anderen durchgefüh­rt hatten, gaben nun als Zeugen an, der Student habe um sich getreten und mit den Armen um sich geschlagen. Einer der beiden Zeugen bestätigte zudem, dass auch F. – so wie der Aktivist, dessen Festnahme auf Video festgehalt­en wurde – Faustschlä­ge bekommen habe. F. sei aber auch „sehr wild, sehr unberechen­bar“gewesen.

Derartige Faustschlä­ge wurden sowohl bei der prozessgeg­enständlic­hen als auch bei der auf Video festgehalt­enen Amtshandlu­ng von ein und demselbem Beamten ausgeteilt. Dieser hätte am Montag als Zeuge aussagen sollen. Er ließ sich aber wegen einer schon länger gebuchten Urlaubsrei­se entschuldi­gen. Daher wurde der Prozess auf 7. Oktober vertagt.

Es könnte sein, dass ebendieser Beamte auch in einer anderen Rolle vor Gericht erscheinen muss. Nämlich als Beschuldig­ter. Gegen ihn wird wegen Körperverl­etzung ermittelt. Wie gesagt: Man muss hier aufpassen, dass man die Rollen nicht verwechsel­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria