Teurer Notfallplan für Irland
Europäische Kommission.
Je näher ein chaotischer EUAustritt der Briten am 31. Oktober rückt, umso konkreter werden in Brüssel Notpläne für die Iren geschmiedet. Irland wäre von allen EU-Staaten wirtschaftlich am stärksten von einem Hard Brexit (ohne Nachfolgeabkommen) betroffen. Die EU-Kommission bereitet deshalb eine Milliardenhilfe vor. Sie reicht von Ausgleichszahlungen für Fischer, denen der Zugang zu ihren Fanggründen in der britischen Nordsee verwehrt würde, bis zur Bezahlung von Zöllnern und Fachbeamten in Fragen der Lebensmittelsicherheit, die man benötigt, wenn zwischen Irland und Nordirland eine neue Grenze samt Kontrollen entstünde. Dublin wird diese vorübergehende Hilfe brauchen: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung droht jedem Iren im Durchschnitt ein Verlust von 720 Euro an Einkommen pro Jahr.
In keinem anderen Mitgliedstaat der Union blicken die Bürger derart sorgenvoll auf die Aussicht, dass das Vereinigte Königreich schon in drei Monaten ungeregelt aus der EU verschwinden könnte, wie in Irland. Sollte Boris Johnson wie erwartet britischer Premierminister werden, würde die Wahrscheinlichkeit eines solchen Hard Brexit stark steigen. Denn Johnson wird nicht müde zu verkünden, er würde für den Fall, dass die Europäer zu keinen Neuverhandlungen bereit sind, einfach Ende Oktober ohne Austrittsabkommen die Tür hinter viereinhalb Jahrzehnten britischer Mitgliedschaft im europäischen Einigungswerk zuknallen.
Irland wäre von allen 27 verbleibenden Mitgliedstaaten aufgrund seiner engen ökonomischen Verflochtenheit vor allem mit Nordirland am härtesten davon betroffen. Laut einer Studie der Wirtschaftswissenschaftler Giordano Mio und Dominic Ponattu von der University of Sussex, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung im März veröffentlicht worden ist, würde jeder Ire im Durchschnitt 720 Euro Einkommensverlust pro Jahr im Fall eines Hard Brexit erleiden. Das wären in Summe rund 3,5 Milliarden Euro beziehungsweise 1,24 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung, um welche die grüne Insel ärmer würde. Auch ein planmäßiger Brexit, also einer auf Basis eines vom britischen Parlament geschlossenen Austrittsabkommens samt Übergangsperiode, würde jeden Iren durchschnittlich um 400 Euro ärmer machen.
Nach der vor vier Wochen veröffentlichten Budgetvorlage des irischen Finanzministeriums ist der Schaden eines Hard Brexit noch größer: In diesem Fall gäbe es statt eines erwarteten Wirtschaftswachstums von 3,3 Prozent Stagnation, statt eines Haushaltsüberschusses eine Neuverschuldung von zwischen 0,5 und 1,5 Prozent.
In Brüssel bereitet man sich seit vielen Monaten auf dieses Szenario vor. Schon im März stellte die Europäische Kommission grundsätzliche Notfallpläne vor, im Rahmen derer die von einem chaotischen Brexit am härtesten getroffenen Mitgliedstaaten Nothilfe aus dem Unionshaushalt erhalten würden: von Ausgleichszahlungen für Fischer, denen der Zugang zu ihren Fanggründen in der britischen Nordsee verwehrt würde, bis zu Bezahlungen von Zöllnern und Fachbeamten in Fragen der Lebensmittelsicherheit, die man benötigen wird, wenn zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich eine neue Grenze samt Kontrollen entstünde. „Die Notfallmaßnahmen werden den gesamten Umfang eines No-DealSzenarios nicht mildern, und sie können das nicht“, warnte die Kommission damals. „Diese Vorschläge sind ihrer Art nach zeitlich befristet und im Umfang begrenzt.“
Das Nahen von Johnsons Regierungsantritt hat die Arbeit der Kommission an diesen Hilfsprogrammen für Irland intensiviert. Die „Times of London“berichtete am Montag, die Union werde, „was auch immer nötig ist“, ausgeben, um Irland zu helfen. Eine Sprecherin von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte mit Hinweis auf die geschilderten Vorbereitungsarbeiten, diese Meldung sei „nicht neu“, fügte aber hinzu: „Ich kann nicht im Detail sagen, wie diese Hilfe genau aussehen würde.“