Liebe, Frieden, LSD
August 1969. Junge Leute, Sommer, Musik. Musik vor allem! Jimi Hendrix und die US-Hymne. Grace Slick singt „Somebody to love“. Und in der Welt rundum: Vietnamkrieg, politische Morde. Vor 50 Jahren: das WoodstockFestival. Erinnerungen eines Zeitgenossen.
Es war im August 1969: Peter Rosei schreibt über 50 Jahre Woodstock.
Damals kamen mir die Hippies lächerlich vor. So werdet ihr die Welt nicht verändern, dachte ich mit der Besserwisserei des abseits Stehenden.
Schaue ich mir heute die unscharfen Videos an, die seinerzeit beim Festival in Woodstock gedreht wurden, dann ist da zu allererst Jimi Hendrix, wie er hochkonzentriert, mit eingezogener Unterlippe, „Purple Haze“mit dem narkotischen Riff auf seiner Gitarre anstimmt. Hunderttausende hörten ihm zu. „Purple haze, all in my brain / Lately things don’t seem the same / Acting funny, but I don’t know why / Excuse me while I kiss the sky.“Jimi küsste dann tatsächlich den Himmel, krümmte sich wieder über seine Gitarre und spielte einen dieser großartigen, wilden Läufe. Legendär sollte allerdings nicht sein damaliges Spiel bei dieser Nummer sein, es war seine Version der US-amerikanischen Hymne, die er so intonierte, dass man Bombenexplosionen und das Heulen von Alarmsirenen zu hören vermeinte.
Dass die alten Videos unscharf sind, ist zwar bestimmt kein Stilmittel und hat nichts mit Kunst zu tun: Mir scheint es aber hervorragend zum Setting zu passen. August, junge Leute, Sommer, Drogen – und Musik, Musik vor allem! Grace Slick von den Jefferson Airplane kommt im weißen Kleid auf die Bühne, ruft den Leuten „Good Morning!“zu und steigt dann voll in ihren Song ein: „Somebody to love“. Liebe – eines der Hauptthemen von Woodstock –, kein Wunder bei so vielen jungen Leuten. Das zweite: Frieden – „Three days of peace and music“, so wurde das Festival beworben. Das dritte, würde ich sagen, heißt Bewusstseinserweiterung, und das meint die Drogen.
Wie hat das alles nur angefangen? 1951 vollendete Jack Kerouac den Roman „Unterwegs“, der, man könnte so sagen, zur Bibel der Beat-Generation werden sollte. Propa
giert wird da ein Leben in Bewegung, ein Leben gegen bürgerliche Normen, Freiheit heißt das Zauberwort. Spielen auch schon in diesem Buch Drogen eine Rolle, im Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“, erschienen 1954 und weithin rezipiert, beschreibt Aldous Huxley die Rauschwirkung von Meskalin, diskutiert dieses Erlebnis philosophisch, schreibt ihm mystische Qualitäten zu.
1954 endet der sogenannte IndochinaKrieg, aber nur, um unter stärkerem Engagement der USA von nun an unter der Bezeichnung Vietnamkrieg weiterzugehen. Unter Präsident Johnson verschärfte sich ab 1965 der Krieg, einerseits durch massive Bombardements auf Nordvietnam, andererseits durch die Entsendung von immer mehr Bodentruppen nach Südvietnam. Ab 1969, unter der Präsidentschaft von Nixon, eskaliert der Krieg weiter: Kambodscha und Laos werden in die Bombardements einbezogen. Die USA sind 1969 eine Nation im Krieg, einem Krieg, der vor allem von den jungen Menschen immer mehr abgelehnt wird. Wehrdienstverweigerung, Flucht vor der Einberufung ins Ausland, Demonstrationen gegen den Krieg sind an der Tagesordnung. Pete Seeger, Joan Baez oder Bob Dylan artikulieren in ihren Songs den sich regenden Widerstand. Aktivisten wie Abbie Hoffman oder auch Jerry Rubin versuchen den Protesten einen pointiert politischen Drall zu geben: „We won’t fight another rich man’s war“hieß dann 1970 die Parole jener Veteranen, die zumindest halbwegs heil aus dem Krieg heimgekehrt waren.
Die Bewegung der Beatniks, im Grund unpolitisch und individualistisch – vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges bekam das antibürgerliche Programm eine andere Stoßrichtung. Der vielleicht ein wenig naiv anmutende Friedenskult der Hippies – sie sind die Protagonisten von Woodstock – ist ohne den immer mehr sich zuspitzenden und bösartiger werdenden Krieg nicht verständlich.
Und die Drogen? Schon 1938 hatte der erstmals LSD hergestellt. Im Selbstversuch erkannte er später die halluzinogene Wirkung. Im Rahmen von Forschungen der USArmee in den 1950er-Jahren kamen auch Leute wie Ken Kesey, insbesondere aber Timothy Leary, ein Psychologe, damals Assistenzprofessor an der Universität Berkeley, mit dem Stoff in Berührung: Es entstand die Vorstellung, bewusstseinsverändernde Drogen könnten die Menschen freier und also glücklicher machen und so die Gesellschaft zum Vorteil verändern. Neuprogrammierung – ein von Leary geprägter Begriff, von dem auch die Formel stammt: „Turn on, tune in, drop out“– so lief es dann, gerade auch in Woodstock. Kerouac und die Beatniks waren in den späten 1950ern schon von Benzedrin auch auf LSD umgestiegen. Gesellschaftlich weit wirksamer dürfte nach dieser Initialzündung allerdings das, wie soll ich sagen: Bekenntnis berühmter Rock-Musiker wie etwa der Beatles oder der Rolling Stones für die Droge gewesen sein. Songs wie „Lucy in the Sky with Diamonds“von den Beatles zitieren etwa LSD schon im Titel. Was die Liebe angeht, das dritte – oder erste – Hauptthema des Woodstock-Festivals, führt die Ideenlinie über die mystische Komponente des Halluzinogen-Konsums zu religiösen oder quasireligiösen Erweckungserlebnissen. Der publikumswirksame Impuls kam wieder von der Musikszene: 1968 treffen die Beatles Maharishi Mahesh Yogi, den Begründer der Transzendentalen Meditation. Das Ereignis wurde weltweit über Satellit übertragen. Im Jahr darauf vertieften sie ihr Engagement mit einem monatelangen Meditationsaufenthalt in Indien, was sich später in Songs von George Harrison, aber auch in John Lennons „Instant Karma!“niederschlagen sollte.
Was nun Wien im Jahr 1969 angeht, war es, zumindest was mich betrifft, von hier nach Woodstock sehr weit. Meine Freunde und ich, allesamt Rock-Fans, frequentierten damals drei Wiener Diskotheken, das Atrium, die Hängematte das Voom Voom vor allem (unter der Woche wurden die Räume als Kindergarten benützt, entsprechend klein waren die Möbel). Ich selbst war bekannt dafür, im Morgengrauen jeweils ein Solo zu „We love you“von den Stones zu tanzen: Die Single war von der Band veröffentlicht worden, nachdem Mick Jagger und Keith Richards in ihrem Prozess wegen Drogenkonsums freigesprochen worden waren.
Die Hippie-Kultur imponierte mir wenig, war für mich im Grund bloß Mode, eine Art von höherem Karneval. Ich sah mich mit Verhältnissen konfrontiert, die dringend nach einer Entgegnung verlangten: provinzielle Enge, Mucker- und Spießertum, Autoritätsgläubigkeit, bürgerliche Arroganz, katholische Bigotterie, dazu Altnazis und Ewiggestrige jeder Spielart . . . Was Wunder, dass der juvenile Weltschmerz besonders heftig ausfiel.
Just im Herbst 1969 trat ich als Sekretär bei Ernst Fuchs ein, einem der Meister des sogenannten Fantastischen Realismus, wir kannten einander von früher. Kann es sein, dass ich in dieser Zeit Timothy Leary, dem LSD-Papst per se, begegnet bin? Er kam aus der Schweiz, wie ich mich zu erinnern glaube, hielt sich kurz in Wien auf: Ein Besuch beim berühmten Maler Fuchs, der unter dem Label Psychedelic Art auch in den USA gehandelt wurde – ich hatte dort Ausstellungen arrangiert –, war da wohl selbstverständlich. Über Hippies, vor allem aus den USA, die bei Fuchs studieren wollten oder studierten, kam damals neben anderen Stoffen LSD in meine Reichweite. „Sunshine Acid“, so nannte sich die beste Sorte, war leicht zu verschicken – ein Tropfen auf einem Stück Löschpapier, eingelegt in einen Brief, das war’s.
Experimente mit Drogen waren in der Kunstszene damals weit verbreitet. Bewusstseinserweiterung – war da etwas dran? Von mir kann ich nicht behaupten, mit Drogen je experimentiert zu haben. Ich konsumierte sie gelegentlich, war aber nicht sonderlich interessiert. Bedeutungsvoller waren in meinem Fall wohl Lektüren wie Thomas De Quinceys „Confessions of an English Opium-Eater“oder der „Künstlichen Paradiese“von Baudelaire, Poe nicht zu vergessen, der später einem meiner Bücher den Titel geben sollte.
Europa und also auch Österreich hat
Fortsetzung von Seite I Wein, Bier, Most und Schnaps seine eigene, mit sozialen Bräuchen und Mythen reich umrankte Drogenkultur. Zwar verschaffen dir Drogen neue und unerhörte Sensationen, fehlt aber der kulturelle Bezug, so denke ich heute, kann man diese Sensationen nicht sinnvoll einordnen. Im Geflechthaften einer Kultur ist die Droge über die Tradition je so oder so codiert und hat ihren Platz, ihre Zuordnung zum Ganzen. Man müsste zugleich mit neuen Drogen eine neue Gesellschaft erschaffen – sonst erlebst du bloß private Sensationen in altbekannter Kulisse.
Unser Bewusstsein heute hat insofern etwas mit Drogen zu tun, als viele, betrunken von Bildern und Informationen, die sie eingesogen oder sich hineingezogen haben, unterstützt von der Sorgenfreiheit und Statik eines, wie sie glauben, rundherum abgesicherten Lebens, zwischen sich selbst, ihrem wahren Selbst und einem bloß geborgten, abgeleiteten, entliehenen nicht unterscheiden können. Oder wollen sie das gar nicht mehr?
Die Drogen unserer Zeit, sind das nicht eher die rasche Beweglichkeit mit Flugzeug oder Auto, die Möglichkeit via Handy oder Internet von jedem Punkt der Erde aus mit jedem anderen zu kommunizieren und also in gewisser Weise ubiquitär zu sein, die Flut an elektronischer Unterhaltung, die es uns erlaubt oder uns dazu verdammt, in unendlicher Spiegelung uns je so oder so zu sehen und zu lesen? Ecstasy und Crystal Meth erscheinen da als bloße Ergänzung.
Was die Zuströmungen von Woodstock angeht, die dieses Fest einer ersehnten Harmonie, zur Friedensliebe wohl erst möglich gemacht haben, sei noch die Verhärtung und Verdüsterung der inneramerikanischen Verhältnisse angesprochen, wie sie etwa mit dem Mord an John F. Kennedy 1963, dem Mord an Malcolm X 1965, dem Mord an Martin Luther King und dem an Robert Kennedy, beide 1968, sichtbar und deutlich werden.
Nur knapp fünf Monate nach Woodstock sollte auch der Traum der Hippies von einer friedvollen Gegenkultur wenn schon nicht Schiffbruch, so doch einen schweren Schlag erleiden: Die Rolling Stones wollten ihre überaus erfolgreiche Amerika-Tournee mit einem freien Konzert in Kalifornien abschließen – so kam es zum Konzert in Altamont. Neben den Stones selbst traten dort, neben anderen, auch wieder Jefferson Airplane auf.
„Would you like to know a secret just between you and me / I don’t know where I’m going next. I don’t know who I’m gonna be / But that’s the other side of this life . . . that’s the other side“– ein paar Augenblicke, nachdem Marty Balin, der Leadsänger von Jefferson Airplane, zusammen mit Grace Slick dieses Lied angestimmt hat, wird er von den verhängnisvollerweise zum Ordnerdienst herbeigerufenen Hells Angels niedergeschlagen, direkt vor der Bühne werden Fans, die sich einmischen wollen, mit Billardstöcken niedergeprügelt.
Es sollte noch schlimmer kommen: Die Rolling Stones bringen gerade „Under my thumb“, als ein junger Mann, wohl im Drogenrausch, eine Pistole zieht, worauf er von einem der Angels vor aller Augen erstochen wird.
Seinerzeit, vor 50 Jahren, kamen mir die Hippies mit ihren Blumen, den wallenden Gewändern und ihren Pilgerfahrten nach Indien, wie bereits erwähnt, etwas lächerlich vor. So werdet ihr die Welt bestimmt nicht verändern, dachte ich ein wenig naseweis bei mir, mit der billigen Besserwisserei des untätig abseits Stehenden. Meine Stunde war damals noch nicht gekommen, aber ich war nach Kräften bemüht, die Zeiger nach vorn zu rücken: Ich schrieb und schrieb.