Der oberösterreichischen Hoteli`ere Barbara Kocher-Oberlehner liegt der Personalmangel im Magen. Wenn Asylpolitik und Arbeitsmarkt zusammentreffen
Gastgewerbe.
St. Agatha sieht man selbst bei diesigem Wetter weit aus der Ferne. Lang schlängelt sich die Landstraße die Hügel hinauf, während das Dorf immer näher kommt. Dahinter, Richtung Norden, fallen die Hügel wieder ab – die Donau gräbt sich dort ihren Weg gegen Osten.
In St. Agatha entzündete einst Stefan Fadinger mit seinen Anhängern das Höhenfeuer, um weit ins Land hinein den Beginn des oberösterreichischen Bauernkriegs anzukündigen. Heute kommen Tagesausflügler und Wellnessurlauber, um auf den Höhenrücken entlangzuwandern und von St. Agatha aus auf das Hausruckviertel hinunterzuschauen. Viele von ihnen machen auch bei der Familie Kocher Station: 15.000 Übernachtungen verbuchte das Hotel der Fami
lie im vergangenen Jahr. Das Haus liegt gleich an der Einfahrt der 2120-Einwohner-Gemeinde, gerade wird neu zugebaut. Wieder einmal. „Wir sind stetig gewachsen“, sagt Barbara Kocher-Oberlehner, die das Haus zusammen mit ihrem Ehemann führt. Aus der Frühstückspension der Großeltern wurde zuerst ein Gästehaus, dann ein Hotel mit großem Restaurant und einer Bar. Kocher-Oberlehner und ihr Mann ließen unter anderem ein Panoramaschwimmbecken und Feng-Shui-Suiten bauen. Oben auf dem Dach stehen in einem wilden Kräutergarten Bienenstöcke und Salatbeete. Mit der Ernte bewirtet man die Gäste.
Das Geschäft der Kochers „rennt super“, die Nächtigungszahlen steigen seit Jahren, fast jedes Wochenende hat man eine Hochzeitsgesellschaft, und Kocher-Oberlehner macht den wirtschaftlichen Erfolg auch daran fest, dass ihr Mann und sie sich nie hätten entmutigen lassen, auch wenn manches sich wie ein Hürdenlauf anfühle. „Man muss schon ein bisschen leben dafür.“
Asylwerber als Erleichterung
Eine Sache wird aber trotz des unternehmerischen Feuers der Kochers nicht und nicht besser. Seit Jahren sucht man Personal. Händeringend. Auf die vielen Stellenausschreibungen hätte sich oft gar niemand gemeldet, erzählt Kocher-Oberlehner. Warum das so ist, kann sie sich nicht erklären.
Auch Viona Würinger, die im Hotel die Rezeption betreut, ist ratlos. Die Schichten, in denen sie arbeiten müsse, seien jedenfalls nicht so exotisch. Kocher-Oberlehner glaubt auch, dass die Anerkennung für Gastgewerbsberufe in der Gesellschaft so niedrig sei, dass immer weniger Menschen eine Karriere in der Branche in Betracht zögen. Eingefleischte Gastronomiefachleute würden wohl auch eher ein klassischeres Tourismusgebiet zum Arbeiten wählen – und nicht St. Agatha.
Dass die Kochers den Personalstand von 25 halten können, liegt auch daran, dass Kocher-Oblehner seit den Jahren 2017 und 2018 drei afghanische Asylwerber in ihrem Unternehmen angestellt hat – als Lehrlinge im Service und in der Küche. „Das hat so super geklappt, sie sind so engagiert. Ich war wirklich positiv überrascht, weil ich dem eigentlich eher skeptisch gegenübergestanden bin.“Die drei leben nun in St. Agatha.
Die Möglichkeit, Asylwerber als Lehrlinge einzustellen, gibt es seit Türkis-Blau nicht mehr; auch ein Abschließen der Lehre ist bei negativem Asylbescheid nicht möglich. Einer der drei Lehrlinge in St. Agatha hat bereits einen zweitinstanzlichen Negativbescheid erhalten. Kocher-Oberlehner unterstützt ihren Mitarbeiter beim Einspruch und zahlt die Hälfte der Anwaltskosten. Sie selbst ist beim Wirtschaftsbund und ÖVP-Frauennetzwerk „Querdenkerinnen“in Grieskirchen aktiv. Wie sie es also findet, dass die ÖVP auf Bundesebene einen anderen Kurs gewählt hat, als sie das tun würde? „Ich denke mir immer: Ich muss nicht immer alles gutheißen.“
Sie wünsche sich jedenfalls, dass die Thematik auf der Landesund nicht der Bundesebene gelöst werde. Würinger pflichtet ihr bei. Es sei schlicht unverständlich, dass bei so vielen offenen Stellen – und Betrieben, die ihr Geschäft wegen Personalmangels reduzieren müssten – Menschen nicht arbeiten dürften.
Die Entscheidung von TürkisBlau sorgte auch innerhalb der ÖVP für einigen Unmut. Mehrere Landeshauptleute kritisierten den Stopp – und interpretierten ihn als ein Scheitern am Innenministerium, damals FPÖ-geführt. Wie die ÖVP in einer neuen Regierung die Thematik handhaben wird? Das hängt wohl auch vom nächsten Koalitionspartner ab. Die Grünen haben mit dem oberösterreichischen Landesrat Rudolf Anschober wohl den bekanntesten Verfechter der Lehre für Asylwerber. Er bewirbt das „Drei plus zwei“Modell: Nach der Lehre soll demnach ein weiterer zweijähriger Aufenthalt möglich sein, danach kann die Rot-Weiß-Rot-Card beantragt werden. Auch die Neos befürworten dieses Modell. Sie fordern zudem eine Zuwanderungsstrategie, um Fachkräfte zu gewinnen. Die SPÖ, unter deren Kanzlerschaft 2012 die Lehre für Asylwerber geöffnet worden ist, fordert ebenso eine „Fachkräfteoffensive“– und eine Stärkung der Lehrlingsausbildung.
In St. Agatha hofft man jedenfalls, einen Mitarbeiter behalten zu können. Und einen Kollegen: Um die andere Hälfte der Anwaltskosten zu zahlen, legten die Kollegen ihr Trinkgeld zusammen.
„Muss nicht alles gutheißen“