Das faszinierende Leben der „geheimen Arbeitslosen“
Was
für eine Bezeichnung, was für eine Definition: Im Türkischen gibt es allen Ernstes den Begriff der „geheimen Arbeitslosigkeit“(„gizli issizlik“). Gemeint ist gemäß Lexikon jemand, der zwar eine Anstellung innehat und vorgibt zu arbeiten, der aber nicht im Geringsten produktiv ist. Jetzt fällt gerade sicher jedem ein Kollege ein, auf den diese Zuschreibung zutrifft. Wer hat sich nicht schon gefragt, für welche Gegenleistung manche Leute eigentlich ihr Gehalt beziehen. Und warum das niemandem von den Verantwortlichen auffällt.
Dass also ausgerechnet die Türken ein Wort (oder zwei) dafür haben, muss nichts heißen – verbreitet ist dieses Phänomen weltweit. Wobei es selbstverständlich nur in Unternehmen mit einer bestimmten Größe und komplexen Strukturen möglich ist – in einer Zeitungsredaktion etwa, einer politischen Partei oder einer Werbeagentur würde das keinen Monat gut gehen.
Aber soll man diese Leute nun verachten oder beneiden? Verachten, weil sie ihre Kollegen im Stich lassen und ihren Arbeitgeber – und in weiterer Folge gewissermaßen alles und jeden – hintergehen, also ein zutiefst unsympathisches wie unsoziales Verhalten an den Tag legen? Oder beneiden, weil es schon einer beachtlichen emotionalen Intelligenz und durchdachten Strategie bedarf, vor seinen Vorgesetzten über einen längeren Zeitraum ständige Beschäftigung zu simulieren, dabei nicht zum Kameradenschwein abgestempelt zu werden und am Abend noch in den Spiegel sehen zu können?
Wer ehrlich zu sich ist, wird eine gewisse Bewunderung nicht leugnen können, wenn er sich über diese Leute den Kopf zerbricht. Ist ja auch nicht schlimm. Einen Betrüger aus der Ferne zu bestaunen macht einen nicht gleich zum Komplizen im Geiste. Und das Staunen bezieht sich ja nicht nur auf die kriminelle Energie, sondern eher auf die Frage: Was könnten die „geheimen Arbeitslosen“alles bewirken, wenn sie diesen Aufwand nicht in das Vortäuschen von Leistung stecken würden, sondern in das Erbringen von Leistung?