Ferien von der Politik – wie schön können stille Tage sein!
Ein Trend in sozialen Medien: Man verweigert sich dem Dialog. Das kann auch lustvoll auf anderen Feldern ausgelebt werden. Wer kriegt die Likes, wer die Follower? Wer muss die Trolle auf seinem Account verbuchen?
Ein Gespenst geht um in den sozialen Medien: Recht viele Menschen, die man seit Jahren wenigstens virtuell zu kennen glaubte, kündigen Diensten wie Twitter ihre Freundschaft auf. Sie begründen den drastischen Schritt damit, dass der Ton im Netz zu rau geworden sei. Wie kämen sie dazu, sich ständig beleidigen zu lassen? Manche dieser (Semi)Prominenten gehen zumindest in die innere Emigration, bleiben zwar online, aber nur noch als stille Beobachter. Sie verweigern sich dem Dialog.
Diese Entwicklung erinnert beinahe schon an konventionelle Rosenkriege. Es fehlt nicht viel, und die ersten Anwälte erkennen, dass mit Facebook-Scheidungen mehr Geld zu lukrieren ist als mit gescheiterten Ehen. Wer kriegt die Likes, wer die Follower? Und wer muss die Trolle auf seinem Account verbuchen? Diese Prozesse werden nicht mehr virtuell, sondern bitterböse und endlos sein.
Für die Abertausenden Mitarbeiter in den kuscheligen Ruheräumen des Gegengifts, die der Sozialisierung dienen, kommen derart einschneidende Maßnahmen nicht infrage. Manche von uns leben praktisch in diversen Internetblasen und verlassen sie nur für ganz dringende Geschäfte. Trendsetter für den kurzen Tweet zum langen Abschied wird man nun ohnehin nicht mehr. Aber einige von uns haben sich durch die frühen Aussteiger dazu anregen lassen, die sommerliche Frustration auf alternativen Gebieten auszuleben, die man gemeinhin als Pflicht empfindet.
Ich habe dafür das weite Feld der Politik gewählt. Vielleicht sind die tropischen Temperaturen und kulturelle Ausflüge weg von Wien in die schönsten Provinzen daran schuld. Oder es mag die Abwesenheit des Jung-Kanzlers sein, der bereits zum Alt-Kanzler mutierte: Seit Sonntag meide ich Meldungen, auch launige, die Österreichs Politik betreffen. Ferien vom schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten! Her mit den Romanen! Wie schön können doch die stillen Tage vor Ferragosto sein! Wem gebührt das Innenministerium? Wer schreddert Ibizia? Blunzn. Für mich herrscht derzeit Funkstille.
Zugegeben, die mediale Enthaltsamkeit fällt mir schwer. Ob ich tatsächlich bis Mariä Himmelfahrt, diesem Fest der großen Versprechungen, durchhalte? Locken doch demnächst intimste Sommergespräche. Andererseits: Wer jetzt weghört, hat vielleicht bis September die kollektiven Dummheiten der Frühphase des Wahlkampfs vergessen. Liebe Parteien, ihr kriegt noch eine Chance. Verratet uns demnächst in höflicher Form, warum man euch wählen sollte. Und in der Zwischenzeit auf Twitter? Katzenfotos. Ländliche Idyllen. Kochrezepte.