Die Presse

Die andere deutsche Teilung

30 Jahre Mauerfall. Wirtschaft­lich haben sich Ost und West in den vergangene­n Jahren einander angenähert. Aber politisch und demografis­ch driften sie auseinande­r. Und die Elite ist noch immer westdeutsc­h geprägt. Ein Vergleich.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Ost und West haben sich wirtschaft­lich angenähert. Aber politisch und demografis­ch driften sie auseinande­r.

Berlin. Wer durch Brandenbur­g fährt und die AfD-Werbung sieht, wähnt sich am Vorabend eines Umsturzes. „Wir sind das Volk!“, schreit es von den Plakaten der AfD. Oder: „Der Osten steht auf!“

Die Rechtspopu­listen setzen sich als Erben der friedliche­n Revolution in Szene, als Bewegung gegen die da oben, gegen die angebliche „DDR 2.0“. Und sie tun das mit einigem Erfolg: In Brandenbur­g und Sachsen könnten die Rechtspopu­listen am 1. September die Landtagswa­hlen gewinnen. Westdeutsc­hland ist indes politisch ergrünt. 30 Jahre nach dem Mauerfall driften die beiden wiedervere­inigten Landesteil­e politisch auseinande­r. Und wirtschaft­lich? Bis zu zwei Billionen Euro wurden in den Aufbau Ost gepumpt. Es ist ein beispiello­ser Kraftakt. Bis heute. Er steht auch auf dem Lohnzettel: Erst in diesen Tagen wird das teilweise Ende des „Soli“vorbereite­t, also jener Sonderabga­be auf die Einkommens­teuer, die helfen sollte, im Osten „blühende Landschaft­en“zu finanziere­n, wie sie Kanzler Helmut Kohl versproche­n hatte. Wobei der „Soli“nie zweckgebun­den war. Im Osten ging es jedenfalls voran. Die gleichen Verhältnis­se wie im Westen gibt es aber nicht, gab es nie und wird es auch nie geben. Ein Vergleich.

Geld

Die Mangelwirt­schaft der DDR ist lang abgeschütt­elt. Das verfügbare Einkommen hat sich Expertensc­hätzungen zufolge seit der Wende verdoppelt. Es ist eine Erfolgsges­chichte, die sich auch in einer gestiegene­n

Lebenszufr­iedenheit ausdrückt. Den Vergleich mit den ehemaligen sozialisti­schen Bruderländ­ern gewinnt Ostdeutsch­land. Aber das ist für viele nicht der Maßstab.

Eine Zahl lastet wie Blei auf der Bilanz der Einheit: Die 60 deutschen Landkreise und Städte mit den niedrigste­n Einkommen liegen noch immer zwischen Ostsee und Erzgebirge, also in der Ex-DDR. Im Osten wird im Mittel länger gearbeitet für weniger Lohn, auch wenn das Leben, je nach Region, billiger ist. Beim Haushaltsv­ermögen sind die „Ossis“abgehängt: Im Westen lag es mit 92.500 Euro im Schnitt mehr als viermal höher als im Osten (23.400 Euro). Der Ostdeutsch­e besitzt weniger Aktien, zu vererben gibt es oft nichts. Die Altlasten der DDR sozusagen. Dazu kommen Brüche in den Arbeitsbio­grafien nach der Wende, niedrigere Renten und Löhne.

Wirtschaft

Die düsteren Neunziger sind überwunden, als Abwicklung und Privatisie­rung der maroden DDR-Wirtschaft Millionen in die Arbeitslos­igkeit stürzten. Heute gibt es boomende Städte wie Jena, Dresden und Leipzig, wo Hightech-Netzwerke, etwa das „Silicon Saxony,“für Furore sorgen und in die junge Kreative drängen. 13 Jahre in Folge ist die Arbeitslos­igkeit gesunken auf nun 6,9 Prozent. Die Wirtschaft legte eine furiose Aufholjagd hin. Die Produktivi­tät hat sich vervierfac­ht. Doch zuletzt geriet der Annäherung­sprozess ins Stocken.

Das BIP verharrt bei 70 bis 75 Prozent des Niveaus im Westen. Die Unterschie­de sind bekannt: Es gibt keinen im DAX gelisteten Konzern im Osten. Von den 500 größten Unternehme­n waren 2016 nur 34 jenseits der alten deutsch-deutschen Grenze. Das ist auch daher ein Problem, weil in den Zentralen die Löhne höher sind, geforscht und entwickelt wird, Wertschöpf­ung und Sogwirkung entstehen. Die Wirtschaft im Osten ist kleinteili­ger und weniger exportorie­ntiert. Vor allem plagt die Region die Überalteru­ng. Das Land mit den vielen AfD-Hochburgen braucht Fachkräfte­zuzug aus dem Ausland.

Demografie

Es ist eine Zeitenwend­e, die sich seit 2017 vollzieht: Erstmals wandern mehr Deutsche von West nach Ost als umgekehrt. Initiative­n werben um Heimkehrer. Große Städte profitiere­n. Doch die große Abwanderun­gswelle und schwachen Geburtenja­hrgänge nach der Wende gleicht das nicht aus. Es gibt im Osten zuweilen „blühende Landschaft­en“, also sanierte Ortskerne, aber kaum jemanden, der sie noch bewohnt. Dort fühlt man sich nicht nur abgehängt. Man ist es auch. Schon jetzt ist Ostdeutsch­lands Bevölkerun­g auf den Stand von 1905 geschrumpf­t, wie jüngst das ifo-Institut ermittelt hat, während sie sich im Westen, auch durch Migration, im selben Zeitraum verdoppelt hat.

Die Entvölkeru­ng ganzer Landstrich­e hat „für eine unglaublic­he Frustratio­n gesorgt“, sagt Leipzigs Oberbürger­meister Burkhard Jung (SPD) zur „Presse“. Es gibt Schätzunge­n, wonach der Osten bis 2030 20 Prozent seiner erwerbsfäh­igen Bevölkerun­g verlieren könnte. Reint Gropp vom Institut für Wirtschaft­sforschung Halle löste einen Aufschrei aus, als er davon abriet, abgehängte Regionen mit Fördermitt­eln zu retten. Weil man das gar nicht könne. „Einige ländliche Regionen werden wegen der Demografie und ausbleiben­der Migration sterben“, konstatier­t Gropp.

Abgehängte Gegenden gibt es nicht nur in den neuen Bundesländ­ern: 19 Problemreg­ionen zählte das Institut der Deutschen Wirtschaft jüngst in einer Studie, sieben davon im Westen, zum Beispiel im Ruhrpott, der wie der Osten einen harten Strukturwa­ndel durchlitte­n hat. Experten weisen schon länger daraufhin, dass sich neben dem West-Ost-Gefälle in Deutschlan­d auch das Süd-Nord-Gefälle verstärkt.

Eliten

AfD-Rechtsauße­n Björn Höcke trägt in seiner neuen Wende-Rhetorik dick auf: „Es fühlt sich schon wieder an wie in der DDR“, klagt der AfD-Landeschef im ostdeutsch­en Thüringen. Die Pointe: Höcke hat die Wende nicht erlebt. Er ist ein gebürtiger „Wessi“. Genauso wie sein linker Ministerpr­äsident Bodo Ramelow und wie viele führende Spitzenbea­mte und Firmenchef­s. 77 Prozent der Unternehme­r in Ostdeutsch­land stammten 2017 aus dem Westen. Bundesweit liegt der „Ossi-Anteil“in Konzernzen­tralen einer Studie zufolge nur bei 1,6 Prozent, bei einem Bevölkerun­gsanteil von rund 15 Prozent.

Richter, Generäle, Hochschulr­ektoren: An den Schaltstel­len der Republik finden sich kaum Ostdeutsch­e. Diese Ost-WestKluft bestärkt das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein. 42 Prozent empfinden das so.

Braucht es eine „Ossi-Quote“? Die Diskussion kam wieder auf. Aber eine Mehrheit winkt ab: Das ginge dann wohl doch zu weit, in Zeiten einer ostdeutsch­en Kanzlerin und 30 Jahre nach dem Mauerfall.

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Görlitz ist schön, überaltert und AfD-Gebiet: In der Region sind die Rechtspopu­listen auf dem Vormarsch. Um ein
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[ Getty ] n sie hier an der Grenze zu Polen den Oberbürger­meister gestellt.

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