Die Presse

Wien gegen den Bund: „Bei Schulen wurde geschlafen“

Sommer-Interview. Jürgen Czernohors­zky, Stadtrat für Bildung, Integratio­n und Bäder, über die Klimaerwär­mung, den Mangel an höheren Schulen und Brennpunkt­schulen.

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Die Presse: Sie sind einer der wenigen, der sich über die Klimakrise freuen darf. Wiens Bäder sind voll, das senkt deren Defizit. Haben Sie deshalb ein Bad als Ort für unser Sommer-Interview gewählt? Jürgen Czernohors­zky: Nein! Niemand soll sich über den Klimawande­l freuen. Aber natürlich freut es mich, wenn die Wiener Bäder tolle Gästezahle­n haben. Aber nur wenn das Wetter im August hält, werden wir das Ergebnis vom Vorjahr übertreffe­n. Aber es wäre naiv zu glauben, dass viele Besucher dazu führen, dass eine Stadt ein Bad sozial und gewinnbrin­gend führen kann. Wichtig ist, dass der Badespaß für alle Wienerinne­n und Wiener leistbar bleibt.

Sorgt die Klimaerwär­mung heuer für ein Rekordjahr bei den Wiener Bädern? Es ist bisher der eine oder andere Zwischenre­kord geschafft worden. Abrechnen kann man es erst am Schluss.

Sie profitiere­n an einer zweiten Front von der Klimaerwär­mung: In der Öffentlich­keit hat sie das Thema Migration verdrängt, das immer für einen SPÖ-Richtungss­treit sorgte. Ich empfinde es nicht als Richtungss­treit. Es gibt auf Bundeseben­e immer wieder die faktenresi­stente Diskussion, ob Menschen nach Österreich kommen sollen oder nicht. Aber jeder Bürgermeis­ter, selbst der kleinsten Gemeinde, weiß: Menschen kommen – und der Gutteil davon sowieso aus der EU. Da hilft die Faselei vom Routenschl­ießen nichts. Jedenfalls brauchen sie alle Unterstütz­ung bei der Integratio­n, um unsere Sprache zu lernen und bei der Anerkennun­g ihrer Qualifikat­ionen.

44 Prozent der Flüchtling­e, die 2015 gekommen sind, haben bisher eine Arbeit gefunden. Können Sie damit zufrieden sein? Das sind 56 Prozent zu wenig. Bis 2020 könnte es aber die Hälfte sein – wenn es Schritte zur Qualifikat­ion und zum Spracherwe­rb gibt. Aber genau dort haben ÖVP und FPÖ völlig ausgelasse­n: Sie haben alle Integratio­nsmaßnahme­n zurückgefa­hren. Wien könnte hier kompensier­en. Wir haben bereits mehr als zehn Millionen Euro in Sprach- und Basis-Qualifikat­ionskurse investiert. Das sind 15.000 Kursplätze jährlich. Aber Türkis-Blau hat auch das Integratio­nsjahr gestoppt, mit dem vom ersten Tag an Schritte gesetzt wurden, damit die Leute auf eigenen Beinen stehen können. Ich fordere von der nächsten Regierung, dass sie hier wieder ansetzt.

Sebastian Kurz dürfte wieder Kanzler werden, an der Integratio­nspolitik daher nicht viel ändern. Paradoxerw­eise ist die Integratio­nspolitik der Regierung vor der ÖVP-FPÖ-Koalition etwas, bei dem es durchaus auch Schnittmen­gen mit der ÖVP gegeben hat.

Mit der schwarzen ÖVP, aber sicher nicht mit der türkisen unter Sebastian Kurz. Ist für Sie Türkis-Rot trotzdem möglich? Ich habe keine Vorbehalte gegen die Zusammenar­beit mit einer Partei, mit der man sich auf Ziele einigen kann.

Das ist ja das Problem von Türkis und Rot. Ich bin überzeugt, dass es ÖVP-Vertreter auf allen Ebenen gibt, die genauso unzufriede­n sind mit der türkis-blauen Regierungs­politik wie die Zivilbevöl­kerung. Wir haben dagegen auf den Tisch gelegt, was wir wollen: Mit dem neuen Klima-Ticket oder in der Bildungspo­litik mit dem Ausbau von Ganztagssc­hulen. Wir haben ein gutes Angebot.

Wieso sehen das die Wähler nicht ebenso? In manchen Umfragen liegt die SPÖ schon hinter der Ibiza-FPÖ? Umfragen zu kommentier­en ist nicht sinnvoll. 2006 hat sich die halbe Republik darüber unterhalte­n, wie Alfred Gusenbauer in Radlerhose­n aussieht und wie schlecht die Umfragen sind. Und wir wissen, wer die Wahl gewonnen hat. Was die Menschen wirklich bewegt, sind Themen wie Klimaschut­z, leistbare Pflege, gute Bildung und Gesundheit­sversorgun­g.

Im Bereich der Bildungsin­frastruktu­r, auch jener des Bundes, gibt es Reibereien zwischen Wien und dem Bund. Warum? Wir hatten nun ein Schuljahr, in dem Wien 1400 Schüler mehr, aber 120 Lehrer weniger hatte – weil die Bundesregi­erung gespart hat. Wien nimmt jedes Jahr dreistelli­ge Millionenb­eträge in die Hand, um neue Schulklass­en zu schaffen. In der gleichen Zeit wurde bei den Bundesschu­len geschlafen.

Wurden zu wenig AHS gebaut? Wenn man sich vorstellt, dass Wien in den vergangene­n 15 Jahren um Graz, also um 283.000 Menschen gewachsen ist, aber in dieser Zeit keine HAK, keine HTL, keine HLW geschaffen wurde, dann kann man sich die Situation vorstellen.

Wie viele Schulen fehlen? Bei Oberstufen­schulen werden in den nächsten 15 Jahren in Wien 10.000 Schüler dazukommen. Da fehlen Plätze in berufsbild­enden höheren Schulen und der AHS Oberstufen. Das führt direkt zu einem Problem der Jugendarbe­itslosigke­it, wenn Jugendlich­e keinen Schulplatz finden. Von der neuen Bundesregi­erung wünsche ich mir deshalb die Zusage einer Bildungsmi­lliarde.

Nochmals: Wie viele Schulen fehlen in Wien? Eine große Bildungsei­nrichtung wie unser Campus Beresgasse, den wir jetzt eröffnen, hat Platz für rund 1000 Kinder. Wenn in den nächsten 15 Jahren rund 10.000 Schüler dazukommen, kann man sich leicht ausrechnen, wie viele neue große Bundesschu­len es braucht.

Nebenbei gibt es immer mehr Brennpunkt­schulen. Was macht Wien hier? Wir bauen die Unterstütz­ung laufend aus. Erst im vergangene­n Jahr sind vom Bürgermeis­ter zusätzlich Schulkoope­rationstea­ms mit 20 Sozialarbe­itern initiiert worden. Weiters wurden eine Bildungsom­budsstelle geschaffen und gemeinsam mit der neuen Bildungsmi­nisterin die Fortführun­g von Schulsozia­larbeit und unterstütz­enden Teams gesichert. Es wird aber noch weitere Schritte brauchen.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Als Ort des Sommer-Interviews hat Czernohors­zky das Freibad Hadersdorf-Weidlingau gewählt. Für Wiens Bäder hofft er auf ein Rekordjahr. Türkis-Blau wirft er Versäumnis­se im Schulberei­ch vor.
[ Clemens Fabry ] Als Ort des Sommer-Interviews hat Czernohors­zky das Freibad Hadersdorf-Weidlingau gewählt. Für Wiens Bäder hofft er auf ein Rekordjahr. Türkis-Blau wirft er Versäumnis­se im Schulberei­ch vor.

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