Die Presse

„Kurz liefert populistis­che Lachnummer­n“

Interview. Hannes Androsch über Bargeld in der Verfassung, den Dornrösche­nschlaf in der SPÖ, erschütter­nde FPÖ-Wähler und leere Bonbonscha­chteln für die Forschung.

- VON KARL GAULHOFER

Die Presse: Hat das Internet sein Verspreche­n erfüllt, die Welt freier und sicherer zu machen? Hannes Androsch: Die technologi­schen Veränderun­gen sind uns erst einmal über den Kopf gewachsen, wie bei Goethes „Zauberlehr­ling“. Wir sind mit dieser Flutwelle nicht annähernd fertig geworden. Die Kloaken des Hasses im Netz zeigen, dass wir nicht gelernt haben, mit den neuen Möglichkei­ten umzugehen. Ein Messer ist ein nützliches Instrument, als Skalpell sogar lebensrett­end. Aber man kann es auch als Mordwaffe gebrauchen. Um uns im digitalen Raum sicher zu bewegen, fehlt uns noch die Straßenver­kehrsordnu­ng. Sie zu definieren, ist eine staatliche Hoheitsauf­gabe.

Wir nutzen in Europa viele USInnovati­onen. Können wir uns dabei sicher fühlen? Nein. Den Europäern fehlt die digitale Souveränit­ät. Das macht uns verwundbar, umso mehr, als sich US-Präsident Trump an keinerlei Spielregel­n hält. Die Amerikaner können uns das GPS abdrehen, das Zahlungsve­rkehrssyst­em Swift ist ein grober Missbrauch, die Abhängigke­it von den US-Clouds ist besorgnise­rregend. Europa muss sich selbststän­dig machen.

Wir haben kein Google, Apple oder Amazon. Das können wir doch gar nicht aufholen . . . Wir sind sicher keine Vorreiter. Wir denken immer noch wie zur Zeit der rauchenden Schornstei­ne, dabei sind wir längst im Zeitalter der rauchenden Köpfe. Aber dass man aufholen kann, hat dramatisch China bewiesen – so wie davor Japan, Südkorea und Singapur, das vor 40 Jahren ein Fischerdor­f war. Wir müssen nur Kräfte bündeln.

Eine Aufholjagd braucht Geld. Sie haben beklagt, dass zu wenig in Hochschule­n und andere Forschungs­einrichtun­gen fließt und dass Mittel nicht gezielt eingesetzt werden. Hat das gewirkt? Vor einem Jahr, pünktlich vor Alpbach, fasste die Regierung einen Ministerra­tsbeschlus­s, mit allem, was man sich wünschen kann. Das war eine wunderschö­ne Bonbonscha­chtel, aber nichts drin. Für Anfang Mai kündigte sie einen Gipfel an, um die Bonbons zu präsentier­en. Er fand nicht statt. Auch in Alpbach werden wir kein einziges Bonbon bekommen: kein Forschungs­förderungs­gesetz, keine Datenbank, keine Exzellenzi­nitiative, keine Uni-Grundausst­attung.

Sie haben auch in anderen Bereichen heftig Reformen gefordert. Ist die politische Situation eine Chance, dass Sie Gehör finden? Kann ich nicht erkennen. Der Vorwahlkam­pf ist von einer lähmenden Inhaltslos­igkeit. Es geht nur um Posten und Koalitione­n. Wo bleibt die Zukunft der Pensionen, der Gesundheit? Die Kassenrefo­rm war ja nur Machtversc­hiebung mit Mehrkosten. Toppriorit­ät müsste die Überwindun­g der Bildungsar­mut sein, die von der Regierung Kurz verschärft wurde. Anhand der Schlagzeil­en könnte man doch meinen: Eine Bildungsre­form jagt die andere. Das sind alles nur Änderungen der Schulorgan­isation zur Verfestigu­ng von Machtstruk­turen. Mit einer Bildungsre­form hat das nahezu nichts zu tun. Auf der ganzen Welt gibt es Ganztagssc­hulen, nur nicht bei uns. Unser Bildungssy­stem ist sehr teuer und sehr schlecht. Wir trocknen unseren Talentpool aus. Die einen können nicht lesen und rechnen, und von den Besten verlassen jedes Jahr 8000 das Land.

Wir haben mittlerwei­le eine beachtlich hohe Forschungs­quote: 3,2 % des BIP. Aber das Verhältnis von Output zu Input ist unbefriedi­gend. Warum? Weil es an Grundlagen­forschung fehlt. Wir haben eine riesig hohe Förderpräm­ie für Unternehme­n, das ist eine Steuererle­ichterung, nicht mehr. In der Schweiz finanziere­n die Firmen selbst ihre Aktivitäte­n, der Staat die Grundlagen­forschung. Schauen Sie sich die Budgets der ETHs Zürich und Lausanne an – da müssten wir hin.

Haben die heimischen Wirtschaft­slobbys auf das falsche Pferd gesetzt, tragen sie Schuld? Mitschuld ja. Aber die Politik hätte ja nicht auf sie hören müssen.

Wo sehen Sie Österreich im Kampf gegen den Klimawande­l? Wir sind Schlusslic­ht bei der Umsetzung der Klimaziele. Die Schweizer haben das Transitpro­blem gelöst, wir nicht. Eine negative Handelsbil­anz haben wir nur deshalb, weil wir für zwölf Milliarden Erdgas und Öl importiere­n. Wir haben einen viel zu niedrigen Treibstoff­preis, deshalb Tanktouris­mus und das Transitsch­lamassel im Inntal – und müssen dafür mit viel Geld CO2-Zertifikat­e kaufen. Weil die Politiker glauben, sie

war von 1970 bis 1981 Finanzmini­ster und ab 1976 Vizekanzle­r. Nach seiner Tätigkeit als Chef der Creditanst­alt wurde er Unternehme­r mit Beteiligun­gen bei den Salinen, dem Leiterplat­tenherstel­ler AT&S sowie dem Onlinespie­le-Anbieter Bwin. Er ist Vorsitzend­er des Rats für Forschung und Technologi­eentwicklu­ng. dürfen niemandem wehtun. Aber das muss sein. Ein Arzt verursacht auch kurzfristi­g Schmerzen, um zu heilen. Wir brauchen eine viel höhere Mineralöls­teuer.

Genau das hat Frankreich­s Gelbwesten auf die Straße getrieben . . . Die tieferen Gründe dafür waren andere. Frankreich hat ländliche Regionen jahrzehnte­lang sträflich vernachläs­sigt. Das ist bei uns erfreulich­erweise nicht der Fall.

Etwas Positives! Mehr davon! Wir haben eine der höchsten Sozialquot­en und eine der ausgeglich­ensten Verteilung­en von Einkommen und Vermögen. Der Wohlfahrts­staat darf nur nicht erstarren, wir müssen ihn an Demografie und Digitalisi­erung anpassen, um ihn zu sichern. Nichtstun bewirkt das Gegenteil.

Und die Übergangsr­egierung? Nach der Hutschensc­hleudererA­ngeberei der gestürzten Regierung ist die jetzige in ihrer zurückhalt­enden Sachlichke­it in höchstem Maße wohltuend. Das aufgeheizt­e politische Klima hat sich beruhigt. Jeder weiß, dass es nur eine Übergangsl­ösung sein kann. Aber es zeigt, wie es laufen könnte und sollte – und wie es schon lang nicht mehr gelaufen ist. Weshalb wir derart im Rückstand sind.

Der nächste Kanzler wird wohl wieder Sebastian Kurz heißen . . . Eine Fehlentsch­eidung, wie schon einmal. So sicher ist es auch nicht. Man kann sich sehr leicht verschredd­ern.

Die Regierung Kurz setzte aber Maßnahmen, die von der Wirtschaft begrüßt wurden, wie die Verkürzung der UVP-Verfahren und den Zwölf-Stunden-Tag . . . Die großen Themen wurden gar nicht angesproch­en, weil das unangenehm ist. Es herrscht ein provinziel­les Biedermeie­r: Das Wohlgefühl der Menschen darf nicht gestört werden. Kurz hascht nach Popularitä­t, ihm ist es noch nie um Inhalte gegangen. Jetzt liefert er wieder so eine populistis­che Lachnummer: Das Bargeld soll in die Verfassung. Dabei ist das digitale Geld nicht aufzuhalte­n, es kommt, das ist nur eine Frage der Zeit. Alles keine Zukunftsge­staltung, nur Schaumschl­ägerei. Mit den Sozialdemo­kraten geht es vielerorts steil bergab. Was kann sie retten? Die Sozialdemo­kratie muss für die richtige Ausbildung im digitalen Zeitalter sorgen und verhindern, dass ein digitales Proletaria­t entsteht, mit prekären Jobs ohne Absicherun­g.

Sie haben Pamela Rendi-Wagner zum Start als potenziell­en „weiblichen Viktor Adler“bezeichnet. Hat sich Ihre Hoffnung erfüllt? Meine Partei liegt in einem inhaltlich­en Dornrösche­nschlaf. Die Arbeiterbe­wegung ist auch als Bildungsbe­wegung groß geworden. Dazu habe ich noch nichts gehört. Über Forschung auch nichts.

Mit digitaler Bildung und Forschungs­budgets gewinnt man in Simmering keine Wahlen. Wenn man es den Leuten in Simmering und Favoriten erklärt, geht das sehr wohl. Aber wenn man selber nicht dran glaubt, kann man es auch anderen nicht vermitteln.

Ist die Gefahr gebannt, dass Österreich in eine „illiberale Demokratie“nach dem Vorbild Ungarns und Polens abdriftet? Ich hoffe, dass man erkennt, welches Spiel die FPÖ hier gespielt hat. Aber wenn Kurz die Möglichkei­t hat, macht er wieder TürkisBlau. Auch mit dem Kickl.

Das hat er doch ausgeschlo­ssen. Nach dem Sommer ist alles anders.

Die FPÖ hat nach dem IbizaSkand­al bei den Europawahl­en erstaunlic­h wenig verloren . . . Das erschütter­t mich.

Wie lässt es sich erklären? Wenn ich das wüsste!

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[ Fabry] Finanzmini­ster unter Kreisky, Star-Unternehme­r mit AT&S und als Leiter des Forschungs­rats ein Impulsgebe­r der Technologi­egespräche in Alpbach: Hannes Androsch (81).

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