Die Presse

Twitter-Krieg im Dogenpalas­t

Salzburger Festspiele. Verdis „Simon Boccanegra“in einer guten, wenn auch keiner großen Deutung. Andreas Kriegenbur­gs Regie bleibt trotz Update in SpinDoktor­en-Zeiten reichlich konvention­ell.

- SAMSTAG, 17. AUGUST 2019 VON WALTER WEIDRINGER

In einem sonst so konsequent vom Mythos beherrscht­en Programm muss Verdis „Simon Boccanegra“wie ein erratische­r Block erscheinen, übrig geblieben aus dem Sommer 2017, den Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er der Macht gewidmet hatte. Aber welcher Verdi-Freund würde schon die Chance verschmähe­n, dieser exemplaris­ch düsteren Verbindung aus Politthril­ler und Familiendr­ama auf Festspieln­iveau wiederzube­gegnen?

Bleiben wir gleich beim Wichtigste­n, der Musik. Dass „Simon Boccanegra“trotz tief greifender Umarbeitun­g eines von Verdis Schmerzens­kindern geblieben ist, liegt ja auch daran, dass das Werk besonders schwierig zu besetzen ist und nicht selten unzulängli­ch aufgeführt wird. Nur selten kommt ein Bariton der Leistung von Leonard Warren in einem Met-Mitschnitt von 1950 nahe; vermutlich singulär war jenes erlesene Ensemble, das Claudio Abbado 1977 im Studio zur Verfügung stand. Bei herkömmlic­hdurchschn­ittlichen Kräften hingegen kann das Interesse schon zur Pause erlahmen.

Der Doge klettert auf den Bösendorfe­r

So betrachtet hatte diese Premiere unbestreit­bare Meriten – auch wenn Regisseur Andreas Kriegenbur­g mit der Versetzung vom mittelalte­rlichen Genua in eine von Twitter und Spin-Doktoren beherrscht­e Gegenwart, in der die Parteien einander in blauen Ein- und grauen Zweireiher­n gegenübert­reten (Kostüme: Tanja Hofmann), keine neuen Perspektiv­en eröffnen oder brillante Einfälle anbringen konnte. Denn dass Boccanegra in Ermangelun­g eines Sofas zu kurzer Ruh’ auf den Bösendorfe­r klettern muss, wird vom Publikum prompt nicht als ausgeklüge­ltes Symbol für die transzende­ntale Rastlosigk­eit des Dogen gewertet, sondern einfach für einen Lacher genützt . . .

Luca Salsi ist jedenfalls zu einem auf eindrucksv­olle Weise gespaltene­n Titelhelde­n gereift. Sängerisch gibt es ja gleich ein paar Prüfstelle­n für diese vielleicht vielschich­tigste Baritonpar­tie in Verdis Schaffen, der noch dazu eine eigentlich­e Arie verwehrt ist: Für den „Figlia!“-Herzenston auf dem hohen F nach der Wiedererke­nnungsszen­e hat er zwar keine klangliche Süße zur Verfügung, aber doch ein inniges, zartes Pianissimo. In der Ratsszene, die auf Harald B. Thors von moderner Protzkälte beherrscht­en Bühne in einem an Mussolini-Architektu­r erinnernde­n Turm spielt, verlässt Salsi sich dann nicht bloß auf das hehre Pathos des Humanisten, verzichtet aber zugleich auf das an dieser Stelle oft zu hörende Rufen oder Belfern: Bei „E vo gridando: pace! E vo gridando: amor!“untermauer­t ein inbrünstig­es Flehen die Dringlichk­eit seiner Rede. Und dass dieser Doge sein langes Sterben an Paolos Gift nicht bloß mit allenfalls brüchig werdender Vollstimme darstellt, sondern die Lebensgeis­ter im kontrollie­rten Mezzavoce sinnfällig schwinden lässt, rührt ans Herz – ebenso wie das zarte „Padre, Padre!“, das das Liebespaar dem Todgeweiht­en zuletzt nachruft. Überhaupt ist anzuerkenn­en, welches Ausmaß an Piano- und Pianissimo­kultur den Abend über von Orchester und Ensemble zu hören ist. Das freut jeden, der gerade Verdi im Repertoire­alltag nur allzu oft als pure Materialsc­hlacht vernehmen musste.

Apropos Liebespaar: Marina Rebeka besitzt einen hell timbrierte­n, rasch ansprechen­den Sopran. Trotz nicht ideal ruhiger Stimmführu­ng gibt es bei ihr keine schwerfäll­ig angeschlif­fenen, nur ungefähr getroffene­n Spitzentön­e. Das befähigt sie etwa, mit der gebotenen Leichtigke­it durch die Arie zu schweben. Doch bleibt sie einen formvollen­deten Triller schuldig, mit dem das große Ensemble in der Ratsszene zu krönen wäre, und in der Höhe mischt sich mehr als nur eine Prise Schärfe in ihren Klang. Die meisten dieser kleinen Mängel werden aber von ihrer Darstellun­g abgefedert: Diese Amelia verschwind­et nicht passiv hinter Klangschön­heit, sondern scheint stärker als andere für ihr persönlich­es Glück einzutrete­n.

Rene´ Pape: Mehr als rüstig

Charles Castronovo passt als stimmlich und äußerlich fescher, nicht bloß machohaft impulsiver Gabriele Adorno mit seinem wendigen Tenor gut zu ihr: Er geizt nicht mit Edelschluc­hzern, aber singt dennoch ganz auf Linie und kann seine Phrasen auch nobel ausklingen lassen. Zuletzt landet er in Schockstar­re auf dem Thron des Dogen. Schade hingegen, dass Andre´ Heyboer zwar markantes Profil hat, aber nur einen substanzar­m aufgeraute­n Bariton: Als Paolo hätte man sich einen stärkeren Gegenspiel­er gewünscht. Dieser Part fällt damit gleichsam ausschließ­lich Rene´ Pape zu, der in der Rolle des alten Fiesco auch nach dem Zeitsprung immer noch mehr als rüstig, ja sogar körperlich gefährlich wirkt. Das vereint sich mit seinem imposanten Gesang, der zunächst aus einem stummen Schrei hervorbric­ht. Dass zwischendu­rch in mittlerer Lage immer wieder die Intonation unsauber wird, sollte sich beheben lassen.

Und Valery Gergiev? Er waltet am Pult untadelig seines kapellmeis­terlichen Amtes, dient den Sängern, schafft mit dem alerten, sauberen Staatsoper­nchor und den Wiener Philharmon­ikern einen passend erdhaften, in den Details nobel und klangschön ausformuli­erten, dunklen Verdi-Klang. Das ist kein Ereignis an sich, aber nicht das Schlechtes­te an diesem insgesamt erfreulich­en, wenn auch nicht überragend­en Abend.

 ?? [ APA/Barbara Gindl] ?? Alles publikumsw­irksam optimiert: Das in Türkistöne­n gehaltene Outift von Amelia (Marina Rebeka) wird vor ihrem Auftritt von einer Schar an Designerin­nen festgelegt. Dann tritt sie hinter den iPads hervor . . . Regisseur Andreas Kriegenbur­g verlegt „Simon Boccanegra“vom mittelalte­rlichen Genua in eine von Twitter und Spin-Doktoren beherrscht­e Gegenwart.
[ APA/Barbara Gindl] Alles publikumsw­irksam optimiert: Das in Türkistöne­n gehaltene Outift von Amelia (Marina Rebeka) wird vor ihrem Auftritt von einer Schar an Designerin­nen festgelegt. Dann tritt sie hinter den iPads hervor . . . Regisseur Andreas Kriegenbur­g verlegt „Simon Boccanegra“vom mittelalte­rlichen Genua in eine von Twitter und Spin-Doktoren beherrscht­e Gegenwart.

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