Twitter-Krieg im Dogenpalast
Salzburger Festspiele. Verdis „Simon Boccanegra“in einer guten, wenn auch keiner großen Deutung. Andreas Kriegenburgs Regie bleibt trotz Update in SpinDoktoren-Zeiten reichlich konventionell.
In einem sonst so konsequent vom Mythos beherrschten Programm muss Verdis „Simon Boccanegra“wie ein erratischer Block erscheinen, übrig geblieben aus dem Sommer 2017, den Festspielintendant Markus Hinterhäuser der Macht gewidmet hatte. Aber welcher Verdi-Freund würde schon die Chance verschmähen, dieser exemplarisch düsteren Verbindung aus Politthriller und Familiendrama auf Festspielniveau wiederzubegegnen?
Bleiben wir gleich beim Wichtigsten, der Musik. Dass „Simon Boccanegra“trotz tief greifender Umarbeitung eines von Verdis Schmerzenskindern geblieben ist, liegt ja auch daran, dass das Werk besonders schwierig zu besetzen ist und nicht selten unzulänglich aufgeführt wird. Nur selten kommt ein Bariton der Leistung von Leonard Warren in einem Met-Mitschnitt von 1950 nahe; vermutlich singulär war jenes erlesene Ensemble, das Claudio Abbado 1977 im Studio zur Verfügung stand. Bei herkömmlichdurchschnittlichen Kräften hingegen kann das Interesse schon zur Pause erlahmen.
Der Doge klettert auf den Bösendorfer
So betrachtet hatte diese Premiere unbestreitbare Meriten – auch wenn Regisseur Andreas Kriegenburg mit der Versetzung vom mittelalterlichen Genua in eine von Twitter und Spin-Doktoren beherrschte Gegenwart, in der die Parteien einander in blauen Ein- und grauen Zweireihern gegenübertreten (Kostüme: Tanja Hofmann), keine neuen Perspektiven eröffnen oder brillante Einfälle anbringen konnte. Denn dass Boccanegra in Ermangelung eines Sofas zu kurzer Ruh’ auf den Bösendorfer klettern muss, wird vom Publikum prompt nicht als ausgeklügeltes Symbol für die transzendentale Rastlosigkeit des Dogen gewertet, sondern einfach für einen Lacher genützt . . .
Luca Salsi ist jedenfalls zu einem auf eindrucksvolle Weise gespaltenen Titelhelden gereift. Sängerisch gibt es ja gleich ein paar Prüfstellen für diese vielleicht vielschichtigste Baritonpartie in Verdis Schaffen, der noch dazu eine eigentliche Arie verwehrt ist: Für den „Figlia!“-Herzenston auf dem hohen F nach der Wiedererkennungsszene hat er zwar keine klangliche Süße zur Verfügung, aber doch ein inniges, zartes Pianissimo. In der Ratsszene, die auf Harald B. Thors von moderner Protzkälte beherrschten Bühne in einem an Mussolini-Architektur erinnernden Turm spielt, verlässt Salsi sich dann nicht bloß auf das hehre Pathos des Humanisten, verzichtet aber zugleich auf das an dieser Stelle oft zu hörende Rufen oder Belfern: Bei „E vo gridando: pace! E vo gridando: amor!“untermauert ein inbrünstiges Flehen die Dringlichkeit seiner Rede. Und dass dieser Doge sein langes Sterben an Paolos Gift nicht bloß mit allenfalls brüchig werdender Vollstimme darstellt, sondern die Lebensgeister im kontrollierten Mezzavoce sinnfällig schwinden lässt, rührt ans Herz – ebenso wie das zarte „Padre, Padre!“, das das Liebespaar dem Todgeweihten zuletzt nachruft. Überhaupt ist anzuerkennen, welches Ausmaß an Piano- und Pianissimokultur den Abend über von Orchester und Ensemble zu hören ist. Das freut jeden, der gerade Verdi im Repertoirealltag nur allzu oft als pure Materialschlacht vernehmen musste.
Apropos Liebespaar: Marina Rebeka besitzt einen hell timbrierten, rasch ansprechenden Sopran. Trotz nicht ideal ruhiger Stimmführung gibt es bei ihr keine schwerfällig angeschliffenen, nur ungefähr getroffenen Spitzentöne. Das befähigt sie etwa, mit der gebotenen Leichtigkeit durch die Arie zu schweben. Doch bleibt sie einen formvollendeten Triller schuldig, mit dem das große Ensemble in der Ratsszene zu krönen wäre, und in der Höhe mischt sich mehr als nur eine Prise Schärfe in ihren Klang. Die meisten dieser kleinen Mängel werden aber von ihrer Darstellung abgefedert: Diese Amelia verschwindet nicht passiv hinter Klangschönheit, sondern scheint stärker als andere für ihr persönliches Glück einzutreten.
Rene´ Pape: Mehr als rüstig
Charles Castronovo passt als stimmlich und äußerlich fescher, nicht bloß machohaft impulsiver Gabriele Adorno mit seinem wendigen Tenor gut zu ihr: Er geizt nicht mit Edelschluchzern, aber singt dennoch ganz auf Linie und kann seine Phrasen auch nobel ausklingen lassen. Zuletzt landet er in Schockstarre auf dem Thron des Dogen. Schade hingegen, dass Andre´ Heyboer zwar markantes Profil hat, aber nur einen substanzarm aufgerauten Bariton: Als Paolo hätte man sich einen stärkeren Gegenspieler gewünscht. Dieser Part fällt damit gleichsam ausschließlich Rene´ Pape zu, der in der Rolle des alten Fiesco auch nach dem Zeitsprung immer noch mehr als rüstig, ja sogar körperlich gefährlich wirkt. Das vereint sich mit seinem imposanten Gesang, der zunächst aus einem stummen Schrei hervorbricht. Dass zwischendurch in mittlerer Lage immer wieder die Intonation unsauber wird, sollte sich beheben lassen.
Und Valery Gergiev? Er waltet am Pult untadelig seines kapellmeisterlichen Amtes, dient den Sängern, schafft mit dem alerten, sauberen Staatsopernchor und den Wiener Philharmonikern einen passend erdhaften, in den Details nobel und klangschön ausformulierten, dunklen Verdi-Klang. Das ist kein Ereignis an sich, aber nicht das Schlechteste an diesem insgesamt erfreulichen, wenn auch nicht überragenden Abend.