Die Presse

Die Österreich­isierung Deutschlan­ds

Gastkommen­tar. Warum wir Deutschen eifrig dabei sind, uns zu „verösterre­ichern“. Auch wir wollen nur noch unsere Ruhe haben.

- VON STEPHAN-GÖTZ RICHTER

Die aktuelle innerdeuts­che Debatte über die außenund sicherheit­spolitisch­en Verpflicht­ungen der Bundesrepu­blik lässt im historisch­en Kontext nur einen Schluss zu: Wir Deutschen sind als Nation eifrig dabei, uns zu „verösterre­ichern“. Egal, ob es um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für den nationalen Verteidigu­ngsetat der Bündnismit­glieder geht oder um die Sicherung der Schifffahr­tswege in der Straße von Hormus: Wir wollen überall nur noch unsere Ruhe haben.

Damit befindet sich Deutschlan­d aktuell in einer Gemütslage, wie sie dem Bekunden von Schriftste­ller Stefan Zweig (1881–1942) zufolge dem der Österreich­er nach dem Ersten Weltkrieg entspricht. Die Menschen der einst mächtigen k. u. k. Nation waren damals so über den Statusverl­ust und ihren nach 1918 verbleiben­den Rumpfstaat pikiert, dass sie sich von der weltpoliti­schen Bühne am liebsten

ganz verabschie­den wollten. (Um den vorherigen großmächti­gen Status halb zu bewahren, sprach sich der damalige Zeitgeist laut Zweig in der „Welt von gestern“übrigens vorzugswei­se für ein Unterkomme­n im Deutschen Reich aus! Aber das war mit den Alliierten natürlich nicht zu machen.)

Heiko Maas will nicht reden

Nun ist es eine Sache, wenn sich eine Nation wie Österreich von damals sechs (und heute 8,75) Millionen Menschen von der Weltbühne verabschie­den will. Eine ganz andere Sache ist es, wenn dies eine Nation wie Deutschlan­d mit heute 82,8 Millionen Menschen tun will, die zudem Europas größte Volkswirts­chaft ist.

Aber genau das ist der Kurs, der sich aktuell unter Federführu­ng der SPD-Fraktion vollzieht. Und was tut die ansonsten so durchsetzu­ngsfähige deutsche Bundeskanz­lerin? Sie taucht weg. Auch das ist eine Form, die eigene Richtlinie­nkompetenz, auf die sie sonst so versessen ist, auszuüben. Früher sagte man mit Blick auf Österreich: Tu felix Austria nube! Andere Nationen mögen Kriege führen, Du, glückliche­s Österreich, heirate! Mit anderen Worten: Mittels geschickte­r Heiratspol­itik vermochte es die Habsburger Dynastie, ihre machtpolit­ischen Interessen an vielen Fronten zu wahren.

Obwohl das Konzept aus der Zeit gefallen ist, scheint es dem amtierende­n deutschen Außenminis­ter Heiko Maas als Maxime sehr zuzusagen. Seine Anfangstag­e im Auswärtige­n Amt, als er sich mutig gegen einen Kuschelkur­s gegenüber Moskau aussprach und sich im Interesse von Völkerrech­t, Menschenre­chten und Demokratie klar positionie­rte, sind seit langem vergessen. Aus Sicht der SPDFraktio­n und ihrer Ministerpr­äsidenten in Ostdeutsch­land war das der Anfängerfe­hler eines Übermütige­n, den man inzwischen sachgerech­t wieder eingefange­n hat.

Heiko Maas kann indes im Vergleich zum traditione­llen

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