Wem gehört Kafka?
„Kafkas letzter Prozess“von Benjamin Balint: objektiv und teils geschwätzig.
Am Abend des 14. März 1939 stand Max Brod, der Kurator Franz Kafkas für alle Angelegenheiten, mit seiner Frau Elsa auf dem Prager Wilson-Bahnhof, ohne zu wissen, ob er das Land, in dem bereits mit „Sieg Heil“-Rufen eine andere Zeit heraufbeschworen wurde, tatsächlich in Richtung Palästina würde verlassen können. Brod hatte in seinem wuchtigen Lederkoffer keine persönlichen Habseligkeiten. Sein Gepäckstück war vollgestopft mit losen Bündeln und einzelnen Blättern, mit Kafkas Manuskripten, die Brod bis auf die kleinsten Schnipsel sorgfältig gesammelt hatte. Es sollte der berühmteste Koffer der Literaturgeschichte werden.
Jahrzehnte später war der Koffer sozusagen Rechtsobjekt eines jahrelangen Gerichtsdramas, in dem es vordergründig um den äußerst kostbaren Nachlass ging, zumal Kafkas Manuskripte heute Millionenwerte darstellen. Im Grunde wurde die Frage verhandelt, ob der Jude Franz Kafka Israel gehört oder dem Land, das in seiner Barbarenära die gesamte Familie des Dichters ausgelöscht hat. Es wurde ein Prozess geführt, der neben juristischen auch ethische und politische Probleme aufwarf. Es ging um die Abwägung zwischen Eigentumsrechten und öffentlichem Interesse, um die Frage: Wem gehört Kafka?
Brod hat seinen Nachlass, seinen eigenen und die Schriften Kafkas, seiner Sekretärin und Vertrauten Ester Hoffe überantwortet, die ihn wiederum ihren Töchtern Eva und Ruth vererbt hat, die dann die Prozessparteien gegen den Staat Israel waren.
Ein altösterreichischer Beamter
Der Rechtsstreit durchlief alle israelischen Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof, der im Sommer 2016 zu Recht erkannte, dass der Nachlass der Israelischen Nationalbibliothek zu übergeben sei, was noch Monate in Anspruch nahm, zumal sich ein Teil von Kafkas Manuskripten in Zürich befand.
Eine der damals noch lebenden Erbinnen, Eva Hoffe, sie verstarb im Sommer 2018, war berechtigterweise enttäuscht und verdrossen, weil ohne Weiteres konstatiert werden konnte, dass die israelischen Gerichte nicht Recht gesprochen, sondern Rechtspolitik betrieben hatten.
Eines ist Benjamin Balint, einem in den USA geborenen und heute in Israel lebenden Autor, Journalisten und Übersetzer, zugute zu halten, nämlich seine umfassende Recherche und der objektive Stil, der nicht wertet, sondern aufklärt und berichtet. Im Buch findet sich dennoch viel Beiwerk, das zum „letzten Prozess“keinen Bezug hat, es wird dadurch unnötig aufgeblasen, stellenweise gar geschwätzig.
Über allem stellt sich die Frage, ob nicht das literarische Österreich ein größeres moralisches Anrecht auf Kafkas Erbgut hätte als Israel. Der Schriftsteller war in seinen 41 Lebensjahren 36 Jahre lang Staatsangehöriger Österreich-Ungarns. Er hat nach der österreichischen Studienordnung Rechtswissenschaften studiert, wurde zum Doctor iuris promoviert und war in der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt das Musterbeispiel eines altösterreichischen Beamten. Im Übrigen setzte Kafka nie einen Fuß auf palästinensischen Boden. Einen österreichischeren Schriftsteller als ihn kann man nicht definieren.
Die Übersetzung des Buchs aus dem Englischen war eine schwierige Aufgabe, die Anne Emmert ausgezeichnet bewältigt hat.