Das wird alles nie passiert sein
Flucht aus der Heimat – Rückkehr in eine Heimat, die keine mehr ist: Friederike Manners Exilroman „Die dunklen Jahre“wurde 1948 unter dem Pseudonym Martha Florian veröffentlicht und nun von Evelyne Polt-Heinzl neu ediert. Mehr als nur ein Roman, eindring
Wir schreiben 1934. Klara ist eine Frau im besten Alter, Mutter zweier Kinder, Frau eines jüdischen Arztes. Doch ihr persönliches Glück ist nicht perfekt: Ihre Ehe mit Ernst ist zerrüttet, sie liebt einen anderen und spielt mit dem Gedanken einer Scheidung. Mit diesem privaten Dilemma, das unüberwindbar scheint, setzt das Buch „Die dunklen Jahre“ein. Doch dann kommt alles ganz anders. Denn plötzlich ist Krieg, und die Familie ist in Gefahr, allen voran Ernst. Sie bringen die Kinder in die Schweiz in Sicherheit, Ernst flüchtet, und Klara findet sich vorerst allein in Wien wieder. Eindringlich schildert Friederike Manner die Rasanz, mit der die Leute auf den Zug der Diktatur aufspringen:
„Dies ist der Beginn: eine tollgewordene Menschenmenge, die dem Usurpator, den sie vor wenigen Tagen noch bekämpfen wollte, maßlos zujubelt; der Einzug Hitlers wird ein Triumphzug ohnegleichen. Von der Grenze bis Wien stehen die Menschen in dichtem Spalier, schreien, schreien, zerbersten fast vor Überschwang.“Die Scheinheiligkeit, die später folgen wird, ahnt sie schon voraus („Später wird das alles niemals passiert sein.“) und schwört: „Aber auf mein gutes Gedächtnis können sie sich verlassen – auch die Staats- und Kirchenoberhäupter können sich darauf verlassen, die plötzlich ihr nationales Herz entdecken“, um lakonisch hinzuzufügen: „Die Welt ist wie von Karl Kraus erfunden.“Schnell merkt sie, dass sie den Kniefall der Menschen um sie vor Hitler nicht erträgt, und sie flieht mit ihren Kindern, als Mischlinge eingestuft, nach Serbien, wo sie die Kriegsjahre verbringt. Hunger, bitterste Armut, Frost und Trostlosigkeit prägen diese angsterfüllten Jahre, in denen sie jedoch immer wieder Menschen kennenlernt, mit denen sie sich verbündet. Sie beginnt eine Liebschaft mit Walter, einem politischen Flüchtling ohne Papiere – auch das ist möglich inmitten des Krieges.
Friederike Manner zeigt uns in ihrem autobiografischen Exilroman eine Frau von unbändigem Willen, von einer Kraft, die selbst die Männer in ihrer Nähe überrascht. Nie hält ihr Alter Ego Klara mit ihrer Meinung hinterm Berg, niemals würde sie sich
anbiedern, um sich das Leben zu erleichtern. Sukzessive aber, mit zunehmendem Fortschreiten der unendlich lang erscheinenden Kriegsjahre, stellt sich auch bei ihr eine gewisse Gleichgültigkeit ein, die ihr bewusst wird, als sie am KZ in Belgrad vorbeigeht. „Hier leben die Menschen, um derentwillen ich monatelang nachts aufschreckte – ich litt, aber tat nichts . . . Heute schlägt mein Herz nicht schneller, wenn ich an dem Lager vorbeigehe. Ich sehe einige zerlumpte, ausgemergelte Gestalten. Wenn ich den Kopf hinwende, ruft die Wache mich an: Weitergehen! Weitergehen!“
Unverblümt zeigt sie alle Facetten dieser Zeit auf, die das Gute wie das Schlechte in den Menschen zutage bringt, ob bei den deutschen Besatzern, den serbischen Mitmenschen, den Freunden, den Kindern. Ja, auch wenn es sie selbst betrifft, behält sie ihren klaren Blick. Als Ernst in ein Emigrantenlager kommt, bleibt die Verbindung per Brief aufrecht. Doch er wird 1941 erschossen, auch Walter verschwindet bald von der Bildfläche. Den Kampf muss Klara nun allein weiterführen. Die Kraft, die sie als Mutter aufbringt, für sich und ihre Kinder das Überleben zu sichern, ist das Ergebnis permanenter Todesangst. Die Zeiten sind hart, die Winter bitter, ihr Sohn Friedel ist zuweilen krank. So sind die zwei Männer rasch vergessen: „Ich denke längst nicht mehr an Ernst, an Walter – und nicht an den Krieg, den Hitler nun doch vielleicht gewinnen wird. Ich denke nur drei Dinge: Friedel – Brot – Holz.
Klara leidet unter der Untätigkeit ihrer Mitmenschen, doch als dann auch die Serben beginnen, unter dem Krieg zu leiden – der Hunger nagt an ihnen –, kann sie nicht anders, als sich ihnen verbunden zu fühlen. „Einmal erhob ich mich über die Menschen, weil sie zu feige waren, zu kämpfen und zu leiden. Heute kämpfen und leiden sie, und mir bleibt nichts übrig, als sie zu lieben.“Es ist dies eine weitere Qualität dieser Autorin, die sich bei aller Klarsicht, die sie von den meisten Zeitgenossen unterscheidet, doch niemals über sie stellen würde. Und sie verzweifelt manchmal fast daran, dass selbst in den schlimmsten Zeiten der Sternenhimmel wunderschön über ihr leuchtet.
Als Belgrad bombardiert wird, flüchtet sie erneut: „Der letzte Akt der Tragödie hat begonnen.“Der sechste Teil erzählt von der Rückkehr nach Wien, ihrer ehemaligen Heimatstadt, im letzten Kriegsjahr, die sie nun völlig verändert wiederfindet. Zwar ist den Menschen auch hier die anfängliche Euphorie für Hitler abhandengekommen, doch, so scheint es, leben sie dennoch in relativem Wohlstand, gemessen zumindest an dem Elend, aus dem sie selbst sich errettet hat.
Die Unfähigkeit, mit den Leuten eine gemeinsame Basis zu finden, führt zur absoluten Sprachlosigkeit. „. . . von den fünfzehnjährigen Gymnasiasten möchte ich erzählen, die man von der Schulbank weg zum Richtplatz führte; von den Partisanen, die in den verschneiten Wäldern hockten, und selbst ihr inneres Feuer war nicht imstande, sie vor dem Erfrieren zu retten; von Dara, die man erschoss, von den Dörfern, die man niederbrannte . . .“Der Versuch, Wien mit den Augen anderer zu sehen, um die Leute besser zu verstehen, scheitert kläglich. Denn die Gesellschaft, das Leben, ist aus dem Gleichgewicht geraten. „Nein, ich will die Augen lieber schließen.“Manner findet keinen Ausweg aus ihrer Verzweiflung, die 1956 zum Freitod führt.
Die Welt, die sie in diesem Roman beschreibt, der 1948 erstmals erschien und nun wieder aufgelegt wurde, ist ihre eigene. Es ist ein autobiografischer Bericht, der die Grauen dieser Jahre bis ins Innerste erfasst und gleichzeitig einen Weitblick an den Tag legt, der dieses Werk von anderen Exilromanen unterscheidet. Ihr Ton ist, bei aller inhaltlichen Brutalität, poetisch. Und doch glaubt man ihr jedes Wort – die Herausgeberin Evelyne Polt-Heinzl spricht zu Recht von einem Romanbericht. Denn er verschränkt die bezeugten Lebensereignisse der Autorin mit jenen Klaras. Man täte diesem Roman jedoch unrecht, würde man ihn nur als Autobiografie lesen. Er ist viel mehr. Er ist ein Zeitdokument, bietet aber auch eine wichtige Reflexionsgrundlage, die bis in die Gegenwart hineinreicht. Ein Buch, das jeder lesen sollte von einer Autorin die