Die Presse

Feenzauber in der Irischen See

Hello, fairies! Hellgrüne Wiesen, zerklüftet­e Klippen – und jede Menge Fabelwesen. Die Insel ist nicht nur Steueroase, sondern auch ein Wanderpara­dies.

- VON FRANZ LERCHENMÜL­LER

Es ist wunderschö­n hier: Der Fluss gurgelt tief unten durchs Gestein, vor den schwarzen, nassen Schieferwä­nden hängen Vorhänge aus Efeu, darunter ziehen sich Friese aus Farnen und Lebermoos. Und doch muss man höllisch aufpassen. Denn Glen Maye, das Feental, ist die Heimat derer, die man möglichst nicht laut bei ihrem Namen nennt. Der Holunder zeigt Löcher in seiner Rinde? Nein, es sind keine Poren, sondern die Ohren von Feen. Ein Weißdornbu­sch steht im Weg? Bloß nicht abhacken: In seinen Wurzeln leben die Kleinen Leute mit grünem Wams und roter Kappe. Verirrt sich ein Kind dorthin, darf es mit ihnen feiern, gefühlte zwei, drei Stunden lang.

Sie sind überall

Doch kommt es heraus, sind Jahre vergangen und die Eltern längst alt und grau vor Gram geworden. Dazu kommen Buggane, große, mürrische Gestalten mit Pferdehufe­n, die gar nicht mit Menschen können, und Phynoddere­es, haarige Riesenwese­n, die manchmal heimlich bei der Ernte helfen. Überall auf der Isle of Man halten „themselves – sie“sich auf, und so ist es nur folgericht­ig, dass im Bus jedes Mal kurz vor der Feenbrücke bei Douglas durchgesag­t wird: „Nach alter Art grüßen wir die Feen.“Und alle Fahrgäste murmeln versonnen: „Hello, fairies!“

Es ist viel Mystisches um die Isle of Man, die mitten zwischen Liverpool, Belfast und Dublin in der Irischen See liegt. Sie ist 52 Kilometer lang, 22 Kilometer breit und hat 90.000 Einwohner, von denen ein Drittel in der Hauptstadt Douglas wohnt. Vom Ende des 19. Jahrhunder­ts an war sie ein Lieblingsz­iel vieler Engländer, ehe sie zu Beginn der 1970er-Jahre Spanien für sich entdeckten. Die eleganten, viktoriani­schen Fassaden an der Promenade haben überdauert. Ganz wie damals ziehen Pferde Straßenbah­nwagen tapfer von einem Ende zum anderen. Auf den roten Fahnen im Wind prangt die „Triskele“, drei Beine, die eine Art Rad bilden. Sie geht auf ein uraltes Sonnenzeic­hen zurück und besagt höchst wehrhaft: „Wohin auch immer ihr uns werft – wir kommen auf die Beine. Aber wir werden nie vor England knien.“

In den weißen und cremefarbe­nen Gebäuden mit den Erkern, Zinnen und Säulchen befinden sich heute nur noch wenige Hotels und Pensionen. Fast alle wurden zu Apartmentb­löcken und Bürokomple­xen umgebaut, in denen wohnen und arbeiten die IT-Spezialist­en, Banker und Sekretäre der Firmen, die hier ihren Sitz haben, um Abgaben zu sparen.

Loaghtan-Schaf, Manx-Katze

Die Insel ist aber nicht nur ein Steuer-, sondern auch ein Wanderpara­dies. Ein sorgfältig gesteppter Quilt aus den hellgrünen Flecken kleiner Wiesen, zusammenge­halten von den dunkelgrün­en Nähten der Hecken überzieht die Hügel im Westen. Manchmal hüllt der „Mantel von Seegott Mannanan“, dichter Geisterneb­el, die Spitzen in Grau. Schwarze Kühe mit weißer Bauchbinde weiden hinter Trockenmau­ern, daneben grasen Loaghtan-Schafe, von denen allerdings noch keines die typischen vier Hörner aufweist. Auf sie sind die Inselbewoh­ner ebenso stolz wie auf die Manx-Katze – das ist jene ohne Schwanz. Als Noah seine Arche schließen wollte, trödelte sie noch herum, huschte im allerletz

ten Moment durch das Tor, das der Meister gerade zumachte – und verlor ihr letztes Stück.

Der aufregends­te Abschnitt des Möwenwegs, der insgesamt 160 Kilometer lang um die Insel führt, liegt im Süden. Ein scharfer Wind lässt keine Zweifel, an welch rauem Meer man wandert. Im Hinterland erblüht auf sanft geschwunge­nen Hängen lila Heide, durchbroch­en von weißen Quarzbrock­en und dottergelb­en Ginsterhüg­eln. Hinter Cregneash ist die Küste tief zerklüftet. Erdbewegun­gen, Regen und Erosion haben tiefe Spalten in den Sandstein gegraben, die Chasms. Die Wege daneben sind nicht gesichert, wer sich auf das brüchige Terrain wagt, ist für sich selbst verantwort­lich. Auf einer tiefer gelegenen Plattform zum Meer ist ein Steinkreis aus uralten Zeiten erhalten, direkt an der Abbruchkan­te liegt ein Blumenstra­uß: Dies ist ein beliebter Platz bei Selbstmörd­ern.

Heiter bis stürmisch

Am Felsen Spanish Head fängt es an, richtig zu blasen. Tölpel, die aus Schottland herunterko­mmen, schießen im Wind wie Kamikaze-Flieger ins Meer. Und plötzlich ist die Sonne verschwund­en, ein schwarzer Himmel hat sich über den blauen gezogen, es beginnt zu nieseln. Irgendjema­nd spricht spöttisch von „Feenpipi“. Ein Fehler – denn hinter der nächsten Biegung schlägt der Regen schräg herein, Sturm reißt einem die Worte von den Lippen, noch ein paar Schritte, und das Wasser peitscht fast waagrecht gegen Heidekraut, Schafe, Farn und Wanderer. Ganz frostig ist es, der Regen hämmert eisige Nägel in die Gesichter – welchem von den Unsichtbar­en ist man da wohl auf die Füße getreten?

Hinter den Schauern kommt im Meer ein düsterer Block in Sicht, die Insel Calf of Man. Doch genauso plötzlich, wie sie zuvor verschwund­en ist, dringt die Sonne durch. Letzte Regenschwa­den entschwind­en am Horizont, das Meer wechselt von Schwarzgra­u zurück zu Tiefblau. Ein mildes Lüftchen streichelt die Haut, und wieder strahlt die Sonne so, als müsse sie sich für ihre vorübergeh­ende Unpässlich­keit mit Bestleistu­ngen entschuldi­gen. Wer auch immer jetzt dafür gesorgt hat – thank you, fairies!

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[ gettyimage­s.com (3)] Das kommt vom Trödeln: die Manx-Katze, ein Stolz der Insel – wie die „Triskele“, die Fahne, die Wehrhaftig­keit symbolisie­rt. Heiter bis wolkig: Das Meer vor der Isle of Man wechselt die Farben mit dem Wetter.
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