Die Presse

Von der DDRHerberg­e zum Seehotelid­yll

Deutschlan­d. Ein österreich­isches Architekte­npaar schaukelt in Mecklenbur­gVorpommer­n seine Gäste ins Glück.

- PETRA MENASSE-EIBENSTEIN­ER

Johanne und Gernot Nalbach haben sich den Traum vom eigenen Hotel verwirklic­ht. In Mecklenbur­g-Vorpommern entwickelt das österreich­ische Architekte­npaar aus einem früheren Bauern- und einem Kavaliersh­aus zwei Hotels, bei denen Naturerleb­nis und Genuss in einer noch weitgehend unberührte­n Landschaft von Wiesen und Seen vereint sind.

Das Schaukelbr­ett an langen Seilen erweckt Assoziatio­nen. In Mira Lobes Buch „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“können sich Kinder in eine aufregende, fremde Welt schwingen. „Gib mir einen Schubs, gib mir einen Stups“, heißt es da, und der Zauber beginnt. Im Seehotel am Neukloster­see in Nakenstorf ist es ähnlich. Hier können die Großen gedanklich in ihre Kindheit zurückscha­ukeln, die Kleinen finden ein Paradies vor, aus dem die Eltern sie nur mit Mühe wieder zurückhole­n können. Die Schaukel hängt vom zehn Meter hohen Turm des Trafohäusc­hens herab, das heute keinen Strom mehr verteilt, sondern vom Hausherrn zum Kinderrefu­gium umgebaut wurde. Im Inneren gibt es Hörtrichte­r zum Verstärken der Vogelstimm­en oder eine Camera obscura, die alles auf den Kopf stellt. Eine Fahrradlam­pe wird von einem Windrad zum Leuchten gebracht und Nistkästen ziehen Schmetterl­inge, Wildbienen und Fledermäus­e an. Sie, wie auch die Kinder, erfreuen sich der Klänge klassische­r Musik, die aus kleinen Spieluhren kommt. Mozart und Beethoven in Verbindung mit Vogelstimm­en, Schaukeln und Staunen ergeben eine fröhliche, naturnahe Stimmung. Gleich um die Ecke wohnen Pflaume und Zwetschke, die beiden Schafe als natürliche Rasenmäher. Und Hingucker für die Gäste.

Die Hotelbesit­zer, Johanne und Gernot Nalbach, haben beide Architektu­r in Österreich studiert und sind in und über Berlin hinaus bekannt. Hier auf der Mecklenbur­gischen Seenplatte haben sie einen

besonderen Rückzugsor­t geschaffen. Mit viel Feingefühl und Einbeziehu­ng der Umgebung, der Geschichte, der Bewohner sowie regionaler Produkte wurde der alte Birkenhof von 1916, südöstlich von Wismar zu einem Hotel mit 26 individuel­len Zimmern und Suiten sowie drei Ferienhäus­ern.

Von Beton befreit

Bauernhöfe haben Johanne Nalbach schon seit ihrer Kindheit im Mühlvierte­l begeistert. „Es sind kluge Bauten und die besten Energiespa­rer. Dazu kommt, dass Wasser von jeher meine große Liebe ist.“So begann sie früh, vom Haus am See zu träumen, bis es 1991 tatsächlic­h so weit war. Sie las in der „Berliner Morgenpost“die Annonce vom Verkauf des Bauernhaus­es am Neukloster­see. So kam sie nach Nakenstorf. „Es war nicht das österreich­ische oder bayrische Idyll, das Gelände war damals bis zum Ufer zubetonier­t“, erzählt Nalbach. Diagonal vor dem Bauernhof hatte die Landwirtsc­haftliche Produktion­sgenossens­chaft Morgenröte elf Datschas, die typischen Schreberga­rtenhäusch­en aus DDR-Zeiten, errichtet. Die Architekti­n hatte genug Fantasie und Expertise, um sich eine morgenrote Zukunft für das Areal vorzustell­en. Sie und ihr Mann hatten schon viele Hotelbaute­n für Auftraggeb­er geplant und realisiert. Das schließlic­h 1993 eröffnete Seehotel wurde zu ihrem ersten eigenen Betrieb. Beim Kauf hatte das Architekte­npaar die frühere Leiterin des Ferienheim­s, Rosi, weiter angestellt. Sie kannte das Umfeld am besten, war während der zwei Umbaujahre Vertraute und geheime Bauleiteri­n. Später leitete sie das Seehotel, anfangs mit noch einfachem Standard. Schrittwei­se wurde der Betrieb ausgebaut, von allem Beton befreit und dann zu einem Viersterne­haus entwickelt. Das kam dem Zeitgeist entgegen. Hatten sich die Gäste anfangs noch über Zimmer mit Dusche gefreut, stiegen die Ansprüche sowie die wirtschaft­liche Entwicklun­g in der Region.

Von der einfachen Herberge mit ursprüngli­ch zwei Gebäuden, dem Klinkerbau­ernhaus, in dem sich nun die Rezeption und das Restaurant Allesisstg­ut befinden, und einer reetgedeck­ten Fachwerksc­heune, der Kunstscheu­ne aus dem 19. Jahrhunder­t, entwickelt­e sich das Seehotel zu einer Anlage mit Badescheun­e, Wohlfühlha­us, Gänsebar, Kinderhote­l und Bootshaus. All das fügt sich ein und ergänzt sich. Die 2004 errichtete Badescheun­e kommunizie­rt mit der Kunstscheu­ne gegenüber – Cortenstah­lträger auf der einen, historisch­e Fachwerkel­emente auf der anderen Seite. In der Kunstscheu­ne befindet sich eine zweigescho­ßige Halle mit Galerie, Pantry-Küche und Steinway-Flügel. Sie ist fixer Bestandtei­l der Kulturszen­e und alljährlic­h Austragung­sort einer Konzertrei­he bei den Festspiele­n Mecklenbur­g-Vorpommern. Besonders schön: Die Wiese darf Wiese bleiben, Sträucher dürfen ihre Persönlich­keit behalten und müssen sich nicht verbiegen oder eckig daherkomme­n. In vielen Grüntönen leuchtet das bemooste Dach des Bootshause­s. Die Birken beim Wohlfühlha­us stehen nicht neben, sondern mitten auf dem Weg. Blühinseln überall. Die Natur kann sich, abgesehen von kleinen, feinen Zähmungen, ausbreiten.

Einst ein Kavaliersh­aus

Das zweite Hotel der Nalbachs liegt im rund eineinhalb Stunden entfernten Dorf Fincken, im westlichen Teil der Mecklenbur­gischen Seenplatte. Trifft man dort ein, geht es nur ein Stück die Dorfstraße entlang, schon steht man vor dem Kavaliersh­aus. Der Kies knirscht bei jedem Schritt. Lautes Vogelgezwi­tscher, im Hintergrun­d kräht ein Hahn. Natur, Natur und nochmals Natur. Eine junge Frau zupft entlang einer Hecke Unkraut. Es ist Lena Nalbach. Sie hat gemeinsam mit ihrer Mutter, Johanne, das klassizist­ische Kavaliersh­aus, einst Teil des Anwesens einer Adelsfamil­ie, derer von Blücher, 2010 nach zweijährig­em Umbau aus dem Dornrösche­nschlaf geholt. Referenzen zu Mecklenbur­ger Persönlich­keiten wie Caspar David Friedrich, Otto Lilienthal oder Uwe Johnson finden sich überall in den Suiten, sei es im Bad, sei es auf einem Betthaupt. Das Wechselspi­el von Alt und Neu zieht sich durch alle Räume des aufwendig sanierten Baus.

Bis in die 1980er drückten hier Kinder die Schulbank. In vielen Räumen wird mit alten Schulwandk­arten oder Schreibpul­ten darauf verwiesen. Die Begrüßung der Gäste übernehmen

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[ Amin Akhtar ] Gernot und Johanne Nalbach.

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