Von der DDRHerberge zum Seehotelidyll
Deutschland. Ein österreichisches Architektenpaar schaukelt in MecklenburgVorpommern seine Gäste ins Glück.
Johanne und Gernot Nalbach haben sich den Traum vom eigenen Hotel verwirklicht. In Mecklenburg-Vorpommern entwickelt das österreichische Architektenpaar aus einem früheren Bauern- und einem Kavaliershaus zwei Hotels, bei denen Naturerlebnis und Genuss in einer noch weitgehend unberührten Landschaft von Wiesen und Seen vereint sind.
Das Schaukelbrett an langen Seilen erweckt Assoziationen. In Mira Lobes Buch „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“können sich Kinder in eine aufregende, fremde Welt schwingen. „Gib mir einen Schubs, gib mir einen Stups“, heißt es da, und der Zauber beginnt. Im Seehotel am Neuklostersee in Nakenstorf ist es ähnlich. Hier können die Großen gedanklich in ihre Kindheit zurückschaukeln, die Kleinen finden ein Paradies vor, aus dem die Eltern sie nur mit Mühe wieder zurückholen können. Die Schaukel hängt vom zehn Meter hohen Turm des Trafohäuschens herab, das heute keinen Strom mehr verteilt, sondern vom Hausherrn zum Kinderrefugium umgebaut wurde. Im Inneren gibt es Hörtrichter zum Verstärken der Vogelstimmen oder eine Camera obscura, die alles auf den Kopf stellt. Eine Fahrradlampe wird von einem Windrad zum Leuchten gebracht und Nistkästen ziehen Schmetterlinge, Wildbienen und Fledermäuse an. Sie, wie auch die Kinder, erfreuen sich der Klänge klassischer Musik, die aus kleinen Spieluhren kommt. Mozart und Beethoven in Verbindung mit Vogelstimmen, Schaukeln und Staunen ergeben eine fröhliche, naturnahe Stimmung. Gleich um die Ecke wohnen Pflaume und Zwetschke, die beiden Schafe als natürliche Rasenmäher. Und Hingucker für die Gäste.
Die Hotelbesitzer, Johanne und Gernot Nalbach, haben beide Architektur in Österreich studiert und sind in und über Berlin hinaus bekannt. Hier auf der Mecklenburgischen Seenplatte haben sie einen
besonderen Rückzugsort geschaffen. Mit viel Feingefühl und Einbeziehung der Umgebung, der Geschichte, der Bewohner sowie regionaler Produkte wurde der alte Birkenhof von 1916, südöstlich von Wismar zu einem Hotel mit 26 individuellen Zimmern und Suiten sowie drei Ferienhäusern.
Von Beton befreit
Bauernhöfe haben Johanne Nalbach schon seit ihrer Kindheit im Mühlviertel begeistert. „Es sind kluge Bauten und die besten Energiesparer. Dazu kommt, dass Wasser von jeher meine große Liebe ist.“So begann sie früh, vom Haus am See zu träumen, bis es 1991 tatsächlich so weit war. Sie las in der „Berliner Morgenpost“die Annonce vom Verkauf des Bauernhauses am Neuklostersee. So kam sie nach Nakenstorf. „Es war nicht das österreichische oder bayrische Idyll, das Gelände war damals bis zum Ufer zubetoniert“, erzählt Nalbach. Diagonal vor dem Bauernhof hatte die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Morgenröte elf Datschas, die typischen Schrebergartenhäuschen aus DDR-Zeiten, errichtet. Die Architektin hatte genug Fantasie und Expertise, um sich eine morgenrote Zukunft für das Areal vorzustellen. Sie und ihr Mann hatten schon viele Hotelbauten für Auftraggeber geplant und realisiert. Das schließlich 1993 eröffnete Seehotel wurde zu ihrem ersten eigenen Betrieb. Beim Kauf hatte das Architektenpaar die frühere Leiterin des Ferienheims, Rosi, weiter angestellt. Sie kannte das Umfeld am besten, war während der zwei Umbaujahre Vertraute und geheime Bauleiterin. Später leitete sie das Seehotel, anfangs mit noch einfachem Standard. Schrittweise wurde der Betrieb ausgebaut, von allem Beton befreit und dann zu einem Viersternehaus entwickelt. Das kam dem Zeitgeist entgegen. Hatten sich die Gäste anfangs noch über Zimmer mit Dusche gefreut, stiegen die Ansprüche sowie die wirtschaftliche Entwicklung in der Region.
Von der einfachen Herberge mit ursprünglich zwei Gebäuden, dem Klinkerbauernhaus, in dem sich nun die Rezeption und das Restaurant Allesisstgut befinden, und einer reetgedeckten Fachwerkscheune, der Kunstscheune aus dem 19. Jahrhundert, entwickelte sich das Seehotel zu einer Anlage mit Badescheune, Wohlfühlhaus, Gänsebar, Kinderhotel und Bootshaus. All das fügt sich ein und ergänzt sich. Die 2004 errichtete Badescheune kommuniziert mit der Kunstscheune gegenüber – Cortenstahlträger auf der einen, historische Fachwerkelemente auf der anderen Seite. In der Kunstscheune befindet sich eine zweigeschoßige Halle mit Galerie, Pantry-Küche und Steinway-Flügel. Sie ist fixer Bestandteil der Kulturszene und alljährlich Austragungsort einer Konzertreihe bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Besonders schön: Die Wiese darf Wiese bleiben, Sträucher dürfen ihre Persönlichkeit behalten und müssen sich nicht verbiegen oder eckig daherkommen. In vielen Grüntönen leuchtet das bemooste Dach des Bootshauses. Die Birken beim Wohlfühlhaus stehen nicht neben, sondern mitten auf dem Weg. Blühinseln überall. Die Natur kann sich, abgesehen von kleinen, feinen Zähmungen, ausbreiten.
Einst ein Kavaliershaus
Das zweite Hotel der Nalbachs liegt im rund eineinhalb Stunden entfernten Dorf Fincken, im westlichen Teil der Mecklenburgischen Seenplatte. Trifft man dort ein, geht es nur ein Stück die Dorfstraße entlang, schon steht man vor dem Kavaliershaus. Der Kies knirscht bei jedem Schritt. Lautes Vogelgezwitscher, im Hintergrund kräht ein Hahn. Natur, Natur und nochmals Natur. Eine junge Frau zupft entlang einer Hecke Unkraut. Es ist Lena Nalbach. Sie hat gemeinsam mit ihrer Mutter, Johanne, das klassizistische Kavaliershaus, einst Teil des Anwesens einer Adelsfamilie, derer von Blücher, 2010 nach zweijährigem Umbau aus dem Dornröschenschlaf geholt. Referenzen zu Mecklenburger Persönlichkeiten wie Caspar David Friedrich, Otto Lilienthal oder Uwe Johnson finden sich überall in den Suiten, sei es im Bad, sei es auf einem Betthaupt. Das Wechselspiel von Alt und Neu zieht sich durch alle Räume des aufwendig sanierten Baus.
Bis in die 1980er drückten hier Kinder die Schulbank. In vielen Räumen wird mit alten Schulwandkarten oder Schreibpulten darauf verwiesen. Die Begrüßung der Gäste übernehmen