Die Presse

Was uns die Geschichte lehrt

Gastkommen­tar. Einige Anmerkunge­n zum 80. Jahrestag des Überfalls des nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­ds auf Polen.

- VON DMITRIJ LJUBINSKIJ Dmitrij Ljubinskij (geboren 1967) ist seit August 2015 Botschafte­r der Russischen Föderation in Österreich. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der 1. September markiert ein trauriges Datum in der Weltgeschi­chte. Vor 80 Jahren überfiel Hitlerdeut­schland Polen und läutete damit den grausamste­n und opferreich­sten Krieg der Geschichte ein. An diesem Tag gedenken wir der unzähligen Opfer dieser Tragödie, ehren die Helden und Heldinnen, die die Welt vor dem absoluten Bösen bewahrt haben. Es ist unsere heilige Pflicht ihre Taten für immer in Ehren zu halten.

Die Geschichte ist ein guter Lehrer. Sie zeigt uns, was passiert, wenn Völkern menschenve­rachtende Ideale aufgedräng­t werden, um die Ambitionen einer Bande von machthungr­igen Verbrecher­n zu stillen. Daher muss sie stets vor irrtümlich­en Deutungen oder gezielt falschen Darstellun­gen geschützt werden, damit auch unsere Nachkommen die Gründe, Folgen und Lehren dieses Krieges verstehen.

Mit großer Besorgnis verfolgen wir dennoch Versuche mancher „Historiker“, die Geschichte umzuschrei­ben und Ereignisse der Vergangenh­eit in ein anderes Licht zu rücken. Dann passiert es leicht, dass aus dem Zweiten Weltkrieg ein Kampf zweier totalitäre­r Systeme um die Herrschaft in Europa wird. Schrecklic­he Verbrechen des Nazismus, der Holocaust nicht ausgeschlo­ssen, werden verharmlos­t und die Schuld an dem Krieg auf die Sowjetunio­n verlegt. Das sind gefährlich­e Gedankensp­iele.

Objektive Aufklärung

Bereits heute werden wir Zeugen des Auflebens der neonazisti­schen Ideologie: Rechtsextr­eme Märsche in der Ukraine und in den baltischen Staaten, bei denen ehemalige Angehörige der Waffen-SS geehrt werden, gehören leider fast zur Normalität mit stiller Duldung des Westens. Denkmäler für die bei der Befreiung Europas gefallenen Soldaten werden (leider manchmal auch auf österreich­ischem Boden) immer öfter Opfer von Vandalismu­s. Für solche Gruppierun­gen, aber auch für sogenannte Politiker, die ihre konjunktur­bedingten Interessen verfolgen, kommt diese „neue Deutung der Geschichte“natürlich sehr gelegen. Von immenser Wichtigkei­t erscheint daher eine objektive Aufklärung der Geschehnis­se des Zweiten Weltkriegs, seiner Gründe und Folgen.

Ein positives Beispiel

Die historisch­e Tatsache, dass die Sowjetunio­n mit Unterstütz­ung der Alliierten die Wende im Krieg mit dem Faschismus durch enorme Opfer erzielen und nach einer Großoffens­ive Europa von der Naziherrsc­haft befreien konnte, darf weder angezweife­lt, noch revidiert werden. Zu hoch ist der Preis, der für diesen Sieg bezahlt worden ist.

Was jedoch einer gründliche­ren Analyse seitens der Historiker bedarf, sind die Vorläufer des Krieges, wie die gefährlich­e „Appeasemen­t-Politik“der westlichen Länder gegenüber NSDeutschl­and; oder das Fehlen des politische­n Willens, ein effektives System kollektive­r Sicherheit zu schaffen, um einem gefährlich­en Aggressor geschlosse­n die Stirn zu bieten. Diese Lehren der Geschichte sind auch für die heutige Weltlage von enormer Bedeutung.

Natürlich gibt es Bedarf an einer Aufarbeitu­ng der Zeitgeschi­chte. Diese soll aber auf den Prinzipien der Geschichts­treue und im besten Fall im Einvernehm­en der betroffene­n Länder erfolgen. Als positives Beispiel dafür wäre die Arbeit der RussischÖs­terreichis­chen Historiker­kommission um Akademiemi­tglied Prof. Alexander Tschubarja­n und Prof. Stefan Karner zu nennen.

Wir können es uns einfach nicht leisten, unbedacht mit der Geschichte umzugehen, denn: „Wer sich nicht an die Vergangenh­eit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederhole­n.“

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