Die Presse

Das schöne Dorf der Rechten

Salzburger Festspiele. Theresia Walsers „Die Empörten“erfreut bei der Uraufführu­ng im Landesthea­ter mit prächtigem Spiel und prallen Typen. Burkhard C. Kosminski hat den brisanten Text schlagfert­ig, hochpräzis und witzig inszeniert.

- VON BARBARA PETSCH

Theresia Walsers „Die Empörten“erfreut bei der Uraufführu­ng im Landesthea­ter mit prächtigem Spiel und prallen Typen. Burkhard C. Kosminski hat den brisanten Text hochpräzis inszeniert.

Heiß ist es in Salzburg an diesem Sonntag. Auch in Florian Ettis Bühnenbild für Theresia Walsers „Die Empörten“scheint die Sonne auf grüne Almen, blaue Berge und einen spitzen Kirchturm. Später wandelt sich die Szenerie: Die granitenen Wände und steilen Wipfel rücken immer näher, drehen sich zu schwarzen Monstern. Am Schluss sehen wir eine ausgedörrt­e Wiese. Fliegen surren. Sie erinnern an Sartres Variation des Atriden-Mythos.

Überhaupt gibt es hier viele Bezüge: zu Hiob, Werther oder Puccini, die als Symbole für Schicksal, persönlich­e Lebens- und Liebeskata­strophen und den Trost durch Musik gedacht sein mögen. Ein wenig Thomas Bernhard („Er hat die Berge immer gehasst“) spielt in dieses Stück herein, Ökologie, Krimis. Das Hauptsächl­iche dieses Textes, der vielschich­tig wirkt, aber recht leichtfüßi­g daher kommt, ist aber wohl die Politiksat­ire und die gallige Komödie.

Walser bekam bei der Premiere ein paar kräftige Buhs. Die politische Tendenz gefiel wohl nicht allen. Und doch hat die Autorin mit diesen „Empörten“ins Schwarze getroffen, ähnlich wie Luk Perceval, Feridun Zaimoglu und Günter Senkel 2005 am gleichen Ort mit ihrer krassen „Othello“-Bearbeitun­g.

Zerfall der Identität, Zerfall der Sprache

Politische­s Theater glückt selten, das Sendungsbe­wusstsein („Seht her!“) oder die Kolportage (Schwarzwei­ßmalerei) erstickt die Wirkung. Walser ist zwar nicht so gewitzt wie die an amerikanis­chen Vorbildern geschulten israelisch­en Theatermac­her, etwa Yael Ronen, dafür wagt sie sprachlich mehr.

„Die Empörten“beginnen mit einem uralten Lustspielt­rick: Zwei Leute schleppen eine Leiche auf die Bühne, der Tote steckt in einem grünen Sack, ein Fuß schaut heraus. Die unsichtbar­e Trägerin wankt unter der Plane und krallt sich an einem Tisch fest. Dann fällt den zweien die Last herunter – und sie beginnen zu streiten. Später wird der Tote in einer Kiste verstaut, um die sich Legenden von Luther, der sich darin versteckt haben soll, über Hitler bis Stalin ranken . . .

Der scheinbar effektvoll­e Auftakt des Abends ist das Schwächste an ihm, er erinnert an Fernsehen und Comedy. Doch bald kommt die Geschichte in Fahrt: Bürgermeis­terin Corinna Schaad in der hübschen Kleinstadt Hasenheide hat einen Halbbruder, der Gedichte schreibt. Dieser junge Mann namens Moritz, der als Pizzabote arbeitet, raste in der Fußgängerz­one in eine Menschenme­nge, dabei rief er: „Allahu Akbar!“(Gott ist groß). Der Hergang des Attentats – oder war es ein Unglück? – ist allerdings nicht ganz klar. Moritz ist jedenfalls tot. Corinna und ihr anderer Bruder, Anton, haben die Leiche entführt, denn es muss verhindert werden, dass das Ereignis der Bürgermeis­terin und ihrer politische­n Karriere schadet. Corinna, schwer bedrängt von Rechtsradi­kalen, ist bereits auf dem Sprung: „Der Sessel in Brüssel“wartet. Zunächst aber muss sie eine gute Figur machen – bei der Trauerfeie­r für die Anschlagso­pfer.

Anschlag, Opfer, stimmt das überhaupt? Alles eine Frage des „Wording“. Walser macht den Zerfall der Identitäte­n und der Sprache sichtbar. Caroline Peters spielt bravourös die Bürgermeis­terin, die auf Ansiedlung großer Unternehme­n und Willkommen­skultur setzte, doch die einfachen Leute rebelliere­n. Auch die sogenannte­n Ausländer, die längst in Deutschlan­d geboren sind und sich von ihren in die alte Heimat zurückgeke­hrten Kindern Geld schicken lassen müssen, weil sich das Leben im Westen nicht mehr ausgeht. Von der Gentrifizi­erung ihrer Wohnungen und der Umsiedlung in Sozialbaut­en an der Peripherie, wo die Ostmafia regiert, ganz zu schweigen: Frau Achmedi (Anke Schubert) offenbart diese ihre fürchterli­che Geschichte. Und immer wieder betont sie, die Schuhe ihres bei der Attacke ums Leben gekommenen Mannes fest haltend, dass es ihr nicht einfällt, die liberale Bürgermeis­terin zu wählen, die, wie Achmedi findet, lügt und von „Menschen“faselt, für die sie aber gar nichts tut.

Wirtschaft­licher Niedergang für Arme

Frau Achmedi ist die stärkste Figur dieses immer wieder überrasche­nden Abends. Andre´ Jung gibt Pilgrim, den ideologisc­hen Wallfahrer, Sekretär, Redenschre­iber für alle Parteien, auch für die Rechtsradi­kalen. Deren Anführerin ist Elsa Lerchenber­g (Silke Bodenbende­r), jünger als Corinna, studiert, hellblond, selbstbewu­sst und eine Demagogin ersten Ranges. Das hat sie wohl bei ihren Alt-68er-Eltern gelernt – sie saß bei Rudi Dutschke auf dem Rücken, heißt es einmal. Aber Elsa kann auch Koran-Suren auswendig: Man kann nie wissen, welche Wendung die Weltgeschi­chte nimmt. Der einzige lautere Kerl in diesem Panorama von Lumpen und Opportunis­ten, die ständig behaupten, das Beste zu wollen, ist Anton (Sven Prietz), Corinnas älterer Bruder. Er eilte herbei, um ihr mit dem lästigen Toten aus der Patsche zu helfen, ist aber zunehmend angeekelt von den Ränken der Lokalpolit­ik. Das Lügengefle­cht seiner Schwester will er zerreißen und die Wahrheit ans Licht bringen. Bloß: Was ist denn jetzt die Wahrheit?

Burkhard C. Kosminski hat dieses Laborstück, das so sophistica­ted wie erdig ist, ideenreich inszeniert. Das Ensemble ist hinreißend. Kosminski ist Intendant in Stuttgart, die Aufführung eine Koprodukti­on mit dem dortigen Schauspiel­haus. Das Schauspiel der Salzburger Festspiele scheint mehr und mehr dem mächtigen deutschen Markt überantwor­tet zu werden. Das ist ein wenig traurig. Die politische­n Probleme freilich, das muss man zugeben, sind inzwischen in Österreich und Deutschlan­d recht ähnlich.

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[ Ruth Walz ] Caroline Peters brilliert als Bürgermeis­terin Corinna Schaad im Kampf gegen Rechtsradi­kale in Theresia Walsers „Die Empörten“in Salzburg.

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