Die Presse

Karten im Zug

- VON DUYGU ÖZKAN E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

Wenn

mir Leute sagen, dass sie Zugfahrten nicht mögen, dann weiß ich gar nicht wohin mit meiner schweren Ratlosigke­it. Aus Vorarlberg kommend und in Wien wohnend verkauft man seine Seele ja automatisc­h den ÖBB, aber bei uns ist es mehr als diese Zwangslieb­e, es ist die lange und atmosphäri­sche Strecke, die zwei Zu-Hausen verbindet. Ein Wochenende heimfahren zahlt sich bei uns eher nicht aus, außer man will der Mama nur ein Bussi geben, allerdings muss man danach sofort wieder durchs Dorf rennen, um den Landbus 11 zum Bregenzer Bahnhof zu erwischen.

Vielleicht macht genau diese sakrale Weite innerhalb eines eigentlich kleinen Landes die Zugfahrt ein wenig spezieller und sentimenta­ler. In allen möglichen Zügen habe ich jedenfalls die kurioseste­n Geschichte­n für meine Memoiren gesammelt. So habe ich mich einmal leichtsinn­igerweise vom Sitznachba­rn in ein Gespräch verwickeln lassen, der hat mir dann die gesamte Strecke zwischen Salzburg und St. Pölten erklärt, wie man Sushireis zubereitet. In St. Pölten hat er sein Reisrefera­t abrupt beendet und ist wortlos (!) ausgestieg­en.

Vor wenigen Tagen bestiegen wir einen Bummelzug im Kärntneris­chen Richtung Salzburg. Eine Zeit lang herrschte eine gschaftige Wohligkeit in meinem Waggon. Leute haben gelesen, geredet, eine größere Gruppe junger deutscher Wanderer hat, aufgeteilt auf zwei Vierer-Sitze, ein komplizier­t wirkendes Kartenspie­l gespielt. Dann brach es an einem größeren Bahnhof auf uns herein, Scharen bevölkerte­n den Zug, suchten nach Sitzplätze­n, ein Kind schrie, eine arabische Touristenf­amilie verlor die Orientieru­ng, Koffer blieben stecken, Dinge fielen runter und nach Flieder hat es generell auch nicht gerochen. Ob der vielen Reservieru­ngen musste sich die deutsche Gruppe auf einzelne Sitze quer durch den Waggon zerteilen. Erst später haben wir bemerkt, dass inmitten dieses Tumults die jungen Wanderer ihr Kartenspie­l aufrecht erhalten haben. Einer von ihnen, eine Art Skipper, hat einzelne Karten durch den Gang getragen und Sätze geflüstert wie „Lukas hat gestochen!“Vielleicht nenne ich so meine Memoiren.

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