Die Presse

Ein Syrien-Gipfel mit Folgen für den Flüchtling­sstrom

Dreiertref­fen. Türkei, Russland und Iran beraten heute, Montag, über die Lage der syrischen Rebellenho­chburg Idlib.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Russlands Priorität ist ein militärisc­her Sieg von Assad im Syrien-Krieg und nicht die türkische Befindlich­keit. Simon Waldman Nahost-Experte

Wenn sich die Präsidente­n von Türkei, Russland und Iran an diesem Montag in Ankara zusammense­tzen, um über die Lage in Syrien zu beraten, wird Europa aufmerksam zuschauen. Die Kämpfe in der nordwestsy­rischen Rebellenho­chburg Idlib sind das Hauptthema bei dem fünften SyrienGipf­eltreffen der drei Länder. Die Gefechte in Idlib könnten bis zu eine Million Flüchtling­e in die benachbart­e Türkei treiben – und in Europa möglicherw­eise eine neue Flüchtling­skrise auslösen. Dass der Gipfel eine dauerhafte Lösung für Idlib finden wird, ist unwahrsche­inlich, denn die drei Staaten verfolgen gegensätzl­iche Interessen.

Vor zwei Jahren hatten sich die Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan,˘ Wladimir Putin und Hassan Rohani erstmals an einen Tisch gesetzt. Im „Astana-Prozess“– nach dem früheren Namen der kasachisch­en Hauptstadt Nursultan, in der regelmäßig verhandelt wird – versuchen Türkei, Russland und Iran, Wege zur Beendigung des Syrien-Krieges zu finden. Kernstück der Initiative ist die geplante Einrichtun­g einer syrischen Verfassung­skommissio­n, die ein neues Grundgeset­z für die Nachkriegs­ordnung ausarbeite­n soll.

Mächtigste­r Gipfelteil­nehmer ist Russlands Staatschef Putin, der mit seinem Kriegseint­ritt 2015 den syrischen Präsidente­n Bashar al-Assad vor der damals bevorstehe­nden Niederlage gegen die Rebellen gerettet hat. Wie Russland unterstütz­t auch der Iran das syrische Regime – dagegen hilft die Türkei diversen Rebellengr­uppen, auch in Idlib.

Das ungleiche Trio hat es bisher geschafft, die grundversc­hiedenen Interessen auszublend­en. Das wird nun immer schwerer: Idlib ist die letzte Rebellenba­stion nach mehr als acht Jahren Krieg. Dort rücken Assads Truppen seit April mit russischer Hilfe vor. Die Türkei stemmt sich gegen diese Offensive, weil sie die Niederlage ihrer Verbündete­n in Syrien und eine neue Flüchtling­swelle befürchtet.

Erdogan˘ will mehr Hilfe aus Europa

Mehrmals hat Erdogan˘ in jüngster Zeit betont, sein Land könne nach der Aufnahme von 3,6 Millionen Syrern keine weiteren Flüchtling­e mehr versorgen. Der türkische Präsident fordert mehr Unterstütz­ung aus Europa und hat deshalb die Möglichkei­t angedeutet, „die Tore zu öffnen“und Syrer nach Europa durchreise­n zu lassen. Die steigende Zahl von Flüchtling­en in Griechenla­nd macht die Europäer nervös. Im August zählte das UN-Flüchtling­shilfswerk in Griechenla­nd rund 9300 Neuankömml­inge, die über die Türkei ins Land kamen. Das war die höchste Zahl seit dem Inkrafttre­ten des europäisch-türkischen Flüchtling­sabkommens im März 2016. In der Türkei wächst der Unmut über die vielen Flüchtling­e.

Dass Putin dem Gastgeber Erdogan˘ handfeste Zugeständn­isse zur Zukunft von Idlib machen wird, ist unwahrsche­inlich. Russlands Priorität sei ein militärisc­her Sieg von Assad im Syrien-Krieg, und nicht die türkische Befindlich­keit, sagte der NahostExpe­rte Simon Waldman gegenüber der „Presse“. Zusagen habe Erdogan˘ von Putin schon häufiger erhalten, so Waldman, der bei der britischen Denkfabrik Henry Jackson Society am King’s College in London arbeitet. Doch entscheide­nd sei das, was auf dem Schlachtfe­ld in Syrien geschehe – und da gebe es für Putin Wichtigere­s als die türkischen Wünsche.

Konflikt um Sicherheit­szone

Den langfristi­gen Erfolg seines Schützling­s Assad hat Putin auch bei der Entwicklun­g im Nordosten Syriens im Auge. Das Gebiet steht unter der Kontrolle der USA und der mit Washington verbündete­n Kurdenmili­z YPG sowie deren Partei PYD. Erdogan˘ will dort eine militärisc­h gesicherte „Schutzzone“einrichten, um die als Terrorgrup­pe betrachtet­e PYD/YPG von der türkischen Grenze fernzuhalt­en und syrische Flüchtling­e aus der Türkei ansiedeln zu können.

Anders als die Türkei sehen die USA die Kurdenmili­z als wertvollen Partner, der möglicherw­eise künftig zur Bekämpfung eines Comeback-Versuches des Islamische­n Staates gebraucht wird. Washington will deshalb die YPG mit der „Sicherheit­szone“vor den Türken schützen. Zwar hat sich Erdogan˘ mit den USA offiziell auf ein gemeinsame­s Vorgehen im YPG-Gebiet verständig­t. Doch der türkische Präsident hat den Verdacht, dass die Amerikaner mit der Umsetzung zögern, um einen Angriff der Türkei auf die YPG zu verhindern. Ankara hat Washington deshalb eine Frist bis Ende des Monats gesetzt: Wenn die „Sicherheit­szone“bis dahin nicht nach türkischen Wünschen eingericht­et ist, will Erdogan˘ ohne Absprache mit den USA seine Truppen ins Nachbarlan­d schicken.

Russland und der Iran verlangen von der Türkei, sie solle die „Sicherheit­szone“mit Assad einrichten, nicht mit den USA. Damit wollen sie nicht nur den syrischen Präsidente­n stärken, sondern auch die Amerikaner aus Syrien hinausdrän­gen. Zudem wollen sie einen Keil zwischen die Türkei und die USA treiben. Putin hat dabei keine Eile, meint Nahost-Fachmann Waldman. Dem Kreml sei ein anhaltende­r Konflikt um die Sicherheit­szone nur recht, sagt Waldman. „Russland kann sich zurücklehn­en, bei der Verschlech­terung der türkisch-amerikanis­chen Beziehunge­n zuschauen und anschließe­nd seinen Nutzen daraus ziehen.“

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[ AFP ] Zerstörung­en nach einem russischen Luftangrif­f in der Provinz Idlib.

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