Maurer-Prozess mit neuen Vorzeichen
Analyse. Erneut muss sich Sigrid Maurer wegen übler Nachrede vor Gericht verantworten. Es geht um obszöne FacebookBotschaften gegen sie – und um Maurers Gegenoffensive. Eine Verurteilung scheint diesmal weniger wahrscheinlich.
Rechtspolitisch gesehen halte er das Urteil für eine „Sauerei“. Und: „Was Sigrid Maurer gemacht hat, war erkennbar eine Notwehraktion.“Mit diesem Kommentar war Medienrechsanwalt Anwalt Michael Pilz nicht allein. Viele Beobachter verstanden vorigen Oktober die Welt nicht mehr. Die ExGrünen-Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer war damals schuldig gesprochen worden. Wegen übler Nachrede.
Dabei war sie – eigentlich – das Opfer. Allerdings: Nach Angriffen hatte sie auch ausgeteilt. Maurer – sie möchte nach der Nationalratswahl via Wiener Landesliste erneut ins Parlament einziehen – hatte im Mai 2018 sehr obszöne Nachrichten via FacebookMessenger-Dienst erhalten. Diese waren vom Facebook-Account des Inhabers eines Craftbier-Lokals in Wien Josefstadt versendet worden. Und zwar direkt an die Ex-Politikerin. Die derben Textzeilen wurden also nicht veröffentlicht.
Damit hatte die Betroffene keine strafrechtliche Möglichkeit, gegen den Lokalchef vorzugehen. Eine Anzeige hätte nichts gebracht, da es einfach keinen geeigneten Tatbestand gibt, sofern es sich nicht um eine öffentliche Herabwürdigung oder Bloßstellung handelt. So setzte Maurer einen Schritt, der – je nach Perspektive – als gewagte Gegenoffensive, als unzulässige Selbstjustiz oder eben als Notwehraktion gesehen werden kann. Sie veröffentlichte die an sie gerichteten Nachrichten auf Twitter. Nannte den Bierlokal-Inhaber als Verfasser und bedachte ihn mit einer deftigen Bezeichnung.
Nun beschritt der Mann den Rechtsweg. Er gab an, die obszönen Botschaften nicht geschrieben zu haben, deckte Maurer mit einer Privatanklage wegen übler Nachrede ein. Und stellte Geldforderungen. Er begehrte 40.000 Euro Entschädigung gemäß Mediengesetz. Denn jeder, der auf Facebook oder Twitter Nachrichten veröffentlicht, gilt als Medieninhaber. Und er verlangte weitere 20.000 Euro Schadenersatz wegen Geschäftsentgangs etc. Tatsächlich hatte nach Maurers Veröffentlichung auf Twitter rund um den Mann ein Shitstorm getobt.
Der Lokalchef, vertreten von Anwalt Adrian Hollaender, bekam vom Wiener Straflandesgericht Recht. Richter Stefan Apostol verurteilte Maurer wegen übler Nachrede zu 3000 Euro Geldstrafe. Zudem legte er fest, dass 4000 Euro Entschädigung wegen erlittener Unbill an den Privatankläger zu zahlen seien. Auch die Verfahrenskosten sollte die Angeklagte übernehmen. Mit seinen Schadenersatzansprüchen wurde der Mann aber auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Die richterliche Begründung (und nein, auch Richter Apostol hatte es sich nicht leicht gemacht) baute auf formalen Bausteinen auf. Maurers einzige Chance, einer Verurteilung zu entgehen, lag in der Erbringung des Wahrheitsbeweises.
Diesen hatte Maurer auch liefern wollen. Sie wies darauf hin, dass doch alle Spuren zu dem Bierlokal-Inhaber führen würden. Wer, wenn nicht dieser Mann, sollte es gewesen sein? Der Mann stehe immer wieder vor dem Lokal, sie gehe regelmäßig an diesem Ort vorbei.
Der Privatankläger hingegen hatte darauf hingewiesen, dass der fragliche Computer in seinem Lokal gestanden sei. Auch Gäste hätten Zugriff gehabt. Damit stand die These vom „großen Unbekannten“im Raum. Der Richter erklärte dann seine Beweiswürdigung sinngemäß so: Er erachte den Lokalinhaber zwar als unglaubwürdig, aber dennoch sei nicht auszuschließen, dass sich ein anderer vor den PC gesetzt habe. Insofern sei der Wahrheitsbeweis nicht erbracht worden. Maurer sei daher schuldig zu erkennen.
Die Verurteilte, vertreten von Medienrechtsspezialistin Maria Windhager, meldete volle Berufung an. Und Maurer sammelte per Crowdfunding Geld, um den Gang in die Instanz und sonstige Kosten finanzieren zu können. Die Aktion war ein Erfolg. Es kam genug Geld zusammen, um im Rahmen einer Initiative gegen Hass im Netz auch anderen finanziell helfen zu können.
In der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht Wien, war dann alles anders. Der Senat folgte der Berufung Maurers. Die Richter sahen die Angelegenheit pragmatischer, weniger formell. Wenn es schon die Möglichkeit gebe, einen Wahrheitsbeweis zu erbringen, dann dürfe für diesen die Latte nicht unerreichbar hoch gelegt werden. An den „großen Unbekannten“wollte das OLG nicht so recht glauben. Und: Der Privatankläger hätte die mögliche andere schuldige Person nicht nennen können (das musste er auch nicht, aber es hätte seinen Standpunkt untermauert). Das OLG hob das Urteil erster Instanz auf und ordnete eine zweite Runde an (einen zweiten Rechtsgang, wie es in der Juristensprache heißt).
Sigrid Maurer hatte zuletzt mehrfach ihre Zuversicht ausgedrückt. Zur „Presse“hatte sie gemeint: „Wenn das OLG sagt, die Begründung für den Schuldspruch sei nicht lebensnah gewesen, fühle ich mich in meiner Wahrnehmung bestätigt.“
Es bleibt abzuwarten, wie das erstinstanzliche Gericht (mit einem neuen Richter) diesmal urteilt. Der OLG-Entscheid darf aber als Fingerzeig verstanden werden.