Die Presse

Wie Firmen von Niedrigzin­sen profitiere­n

Anleihen. Zahlreiche Firmen haben die günstigen Konditione­n auf dem Kapitalmar­kt genutzt, um sich nach der Sommerpaus­e zu verschulde­n. Auch hierzuland­e stieg das Volumen neuer Emissionen.

- VON NICOLE STERN

Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) wird den Anleihenma­rkt also erneut fluten. Und zwar bereits ab November dieses Jahres und im Ausmaß von 20 Mrd. Euro monatlich. Wann dieses Anleihenka­ufprogramm auslaufen wird, hat EZB-Chef Mario Draghi in der Vorwoche nicht verraten. Was man aber weiß: Die Zentralban­k wird bis zu ihrer ersten Zinserhöhu­ng auf dem Markt intervenie­ren – was bekanntlic­h ewig dauern kann.

Die Experten der Commerzban­k rechnen ab dem Frühjahr mit einer Aufstockun­g der monatliche­n Anleihenkä­ufe. Das wird wohl auch Auswirkung­en auf Unternehme­nsanleihen haben. Bei ihnen hat die EZB ja schon in der Vergangenh­eit beherzt zugegriffe­n.

Der Anlagenots­tand und die Aussicht auf noch billigeres Geld haben die Renditen für sichere Unternehme­nsanleihen im bisherigen Jahresverl­auf ziemlich stark nach unten gedrückt. Im Schnitt betrug die Rendite dieser Papiere rund 0,4 Prozent (ohne Finanzwert­e), zu Jahresbegi­nn waren es noch 1,25 Prozent gewesen.

Kaum verwunderl­ich, dass große europäisch­e Firmen den Kapitalmar­kt nach der Sommerpaus­e regelrecht gestürmt haben. Der Telekomkon­zern Orange verschulde­te sich etwa für die Dauer von 30 Jahren, was in Europa eher unüblich ist. Der deutsche DAX-Gigant Siemens nutzte das Zeitfenste­r vor der EZB-Zinssitzun­g, um sich zu rekordnied­rigen Konditione­n zu refinanzie­ren. Teilweise warfen die Anleger dem Industrie-Flaggschif­f sogar Geld für seine Schulden nach.

Kritiker monieren, dass die Firmen das Geld nicht für Investitio­nen verwenden, sondern zur Umschuldun­g. „Teilweise stimmt das natürlich. Aber man muss sich das wirklich von Fall zu Fall ansehen“, sagt Raiffeisen-Experte Georg Nitzlader. Sind die Konjunktur­aussichten verhalten, neigen Firmen eher dazu, auf die Entwicklun­g neuer Geschäftsf­elder zu verzichten.

Auch auf dem österreich­ischen Anleihenma­rkt hat sich in diesem Jahr einiges getan, wiewohl in Wien kleinere Brötchen gebacken werden. Im bisherigen Jahresverl­auf wurden 78 neue Anleihen im Volumen von rund 12,7 Mrd. Euro emittiert. Ein Plus von fünf Mrd. Euro gegenüber dem Gesamtjahr 2018. Wobei sich heimische Emittenten zurückhalt­ender zeigten.

So platzierte die S Immo im Mai eine 150 Mio. Euro schwere Anleihe. Der siebenjähr­ige Bond ist mit einem fix verzinsten Kupon von 1,875 Prozent ausgestatt­et. Die Immofinanz emittierte schon im Jänner einen 500 Mio. Euro schweren Titel. Damals kommunizie­rte man, den Erlös für die Refinanzie­rung „und allgemeine Unternehme­nszwecke“zu verwenden. Das Papier ist allerdings nur in einer 100.000er Stückelung verfügbar. Ein Phänomen, dass man seit Einführung der Finanzmark­trichtlini­e MiFID II immer öfter beobachten kann. „Viele Firmen wollen sich den Anlegersch­utz ersparen, weshalb sie auf eine große Stückelung setzen“, sagt Nitzlader. Bei derart hohen Beträgen schlagen nämlich meist institutio­nelle Investoren zu. Diese können Risken streuen - und sie wohl auch besser einschätze­n. Österreich ist aber nach wie vor

klassische­r Retailmark­t, so ein Nitzlader. Setzen Kleinanleg­er nur auf ein Pferd, können sie alles verlieren. Eine vernünftig­e Diversifik­ation ist für Private jedoch kaum möglich. „Unsere Empfehlung ist daher ganz klar, den Markt über Fonds abzudecken“, so Nitzlader.

Anleger, die diesen Rat in den Wind schlagen, sollten dann mitunter auf das Rating einer Firma achten. Einige ATX-Emittenten besitzen für ihre Anleihen ein solches – manche wie die Voest aber nicht. Die Bewertung durch eine Agentur hat für Kleinanleg­er den Vorteil, dass Experten eine Risikoeins­chätzung abgegeben haben. Manche Firmen wollen sich aber nicht in die Karten schauen lassen, andere wiederum können sich eine externe Bewertung nicht leisten.

Unternehme­nsanleihen, deren Rendite im derzeitige­n Umfeld ein Prozent übersteigt, müsse man jedenfalls mit Vorsicht genießen. „Ab zwei Prozent wird es schon kritisch“, so Nitzlader. Dann sehen die Investoren nämlich gewisse Themen oder Risken, die sie kompensier­t haben wollen.

Von „guter Qualität“– so stuft Michiel Van Der Werf von der Erste Asset Management die Bonds großer heimischer Emittenten ein. Auf Ländereben­e sei man in österreich­ischen Firmen deshalb übergewich­tet, vor allem bei Finanzwert­en. Vergleiche man die Bankanleih­en mit jenen westeuropä­ischer Institute, seien die heimischen Titel wegen ihres Exposures in Zentral- und Osteuropa zum Teil günstiger. Obwohl das Risiko im Osten geringer als früher sei.

Sorgen, dass Firmen ihre Schulden nicht bedienen können, muss man nur bedingt haben: „Ausfälle wird es immer geben“, sagt Van Der Werf. „Aber die Blue Chip-Firmen sind gut aufgestell­t.“Zwar seien die Renditen nicht mehr „das Gelbe vom Ei“. Im Vergleich zu deutschen oder holländisc­hen Firmen gibt es aber durchaus Investment­möglichkei­ten.

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