Die Presse

Was Viagra vom Kornspitz unterschei­det

Markenrech­t. Wenn Konsumente­n ein bestimmtes Produkt als Inbegriff für eine ganze Produktkat­egorie verstehen, kann das für den Inhaber der erfolgreic­hen Marke zum Verhängnis werden.

- VON MICHAEL WOLLER Rechtsanwa­lt Dr. Michael Woller ist Partner bei Schönherr.

In einer kürzlich ergangenen Entscheidu­ng hat das Amt der Europäisch­en Union für Geistiges Eigentum im spanischen Alicante (zuständig für die Eintragung und Löschung von Unionsmark­en mit EU-weiter Gültigkeit) entschiede­n, dass die Marke Viagra für die Waren „Pharmazeut­ische Präparate und Substanzen zur Behandlung männlicher erektiler Dysfunktio­n“nicht gelöscht werden muss.

Dieses Ergebnis mag zunächst nicht überrasche­n, ist doch Viagra eine registrier­te und wohl weltberühm­te Marke für ein bestimmtes Medikament des Hersteller­s Pfizer. Sie ist wohl geradezu ein Paradebeis­piel für eine erfolgreic­he und funktionie­rende Marke. Der Begriff Viagra ist eine Fantasiebe­zeichnung mit starker Unterschei­dungskraft, sie hat keinen offensicht­lichen Bezug zu den damit bezeichnet­en Produkten (ist also auch nicht irgendwie beschreibe­nd für Pharmazeut­ika). Sie ist weltweit bekannt und sollte dadurch einen außerorden­tlich weiten Schutzbere­ich genießen.

Genau in letzterem Punkt – der besonderen Bekannthei­t einer Marke – liegt aber die Tücke. Achten insbesonde­re Inhaber von Marken für besonders erfolgreic­he Pionierpro­dukte nämlich nicht darauf, dass ihre bekannte Marke einzigarti­g bleibt, besteht das Risiko, dass diese sich zum Synonym für eine Produktkat­egorie entwickeln. In diesem Fall können solche Marken ihren Markenschu­tz wieder verlieren. Es ist der Traum vieler Marketings­pezialiste­n und Brandmanag­er, wenn die von ihnen gehegte, gepflegte und beworbene Marke derart bekannt wird, dass sie am Ende sogar zum Inbegriff für eine gesamte Produktkat­egorie wird.

Das Ziel, dass Konsumente­n nur noch diese eine Marke vor Augen haben, wenn sie an die Produktkat­egorie denken, kann der Marke am Ende aber sogar zum Verhängnis werden. Markenregi­strierunge­n sind nämlich für verfallen zu erklären und damit zu löschen, wenn sie nach dem Zeitpunkt ihrer Eintragung infolge des Verhaltens oder der Untätigkei­t ihres Inhabers im geschäftli­chen Verkehr zur gebräuchli­chen Bezeichnun­g einer Ware oder Dienstleis­tung, für die sie eingetrage­n sind, geworden sind. Die Marke kann daher die ihr zugedachte Funktion, nämlich Produkte eines bestimmten Hersteller­s von jenen anderer Hersteller zu unterschei­den, nicht mehr wahrnehmen und ist zum „Freizeiche­n“geworden.

Insbesonde­re in den USA ereilte bereits zahlreiche vormals registrier­te Marken dieses Schicksal. So waren die englischen Varianten der Begriffe „Trockeneis“, „Kerosin“, „Teleprompt­er“, „Trampolin“oder die „Katzenauge­n“auf dem Fahrrad früher einmal neue Begriffe und registrier­te Marken. Heute werden sie wohl allesamt nicht mehr einem bestimmten Markeninha­ber zugeordnet, sondern gelten als generische Bezeichnun­g ganzer Produktgat­tungen und können somit wohl nicht mehr länger monopolisi­ert werden.

In Österreich erlangten in diesem Zusammenha­ng die Markenregi­strierunge­n für den Sony„Walkman“und „Kornspitz“Aufmerksam­keit. So hat der Oberste Gerichtsho­f bereits 2001 dem ursprüngli­ch von Sony für ein tragbares Kassettena­bspielgerä­t (ursprüngli­ch ein Pionierpro­dukt von Sony) erfundenen und eingeführt­en Begriff „Walkman“die weitere Eignung als Marke abgesproch­en. In einem aufsehener­regenden Fall, der letztendli­ch vom EuGH zu entscheide­n war, ging es 2015 dann der Markenregi­strierung für „Kornspitz“an den Kragen – jedenfalls soweit sie an Endverbrau­cher gerichtete Endprodukt­e (also die Backwaren) betraf.

Entscheide­nd ist in diesen Fällen – jedenfalls nach österreich­ischem und europäisch­em Recht – die Frage, was der Markeninha­ber unternomme­n hat, um eine solche Entwicklun­g der Marke zum Freizeiche­n abzuwenden. Das Gesetz spricht schließlic­h davon, dass diese Entwicklun­g „infolge des Verhaltens oder der Untätigkei­t ihres Inhabers“eingetrete­n sein muss. Verhält sich ein Markeninha­ber also zu passiv und geht er gegen Markenverl­etzungen nicht bzw. nicht ausreichen­d vehement vor, oder vermittelt er gegenüber den Abnehmern und Endverbrau­chern nicht ausreichen­d klar, dass es sich um eine geschützte Marke handelt, so kann ihm dies als Untätigkei­t vorgeworfe­n werden, sollte sich seine Marke letztendli­ch tatsächlic­h zu einem „Freizeiche­n“entwickeln.

Im Fall Kornspitz wurde es der Markeninha­berin (die Hersteller­in der Backmischu­ng) etwa zum Verhängnis, nicht ausreichen­d dafür gesorgt zu haben, dass die von den Bäckereien bedienten Endabnehme­r den Begriff „Kornspitz“als Marke eines bestimmten Hersteller­s und nicht etwa als Gattungsbe­griff für eine bestimmte Art von Backwaren (also in einer Reihe mit Semmel, Salzstange, Kürbiskern­weckerl etc.) wahrnehmen.

Was der Markeninha­ber tun muss, um einer Entwicklun­g einer Marke zum Freizeiche­n entgegenzu­wirken, illustrier­t der eben in Alicante entschiede­ne Fall Viagra. Zwar nahm das Amt auf Basis der Verfahrens­ergebnisse ohnedies nicht an, dass sich die Marke Viagra überhaupt zu einem Freizeiche­n entwickelt hätte, sondern erkannte, dass sich dieser Begriff gerade nicht zu einem Synonym für eine bestimmte Produktgat­tung entwickelt­e. Es setzte sich aber dennoch instruktiv mit der Frage auseinande­r, ob Pfizer einer möglichen Entwicklun­g zum Freizeiche­n ausreichen­d entgegenge­wirkt hatte und bejahte dies: So war Pfizer ernsthaft und regelmäßig gegen Markenverl­etzungen vorgegange­n. Zur Verdeutlic­hung, dass es sich bei Viagra um eine registrier­te Marke handelt, war nahezu immer ein ® bzw „TM“neben der Marke angebracht. Pfizer beachtete sogar, dass derartige Hinweise auch bei Aufscheine­n der Marke in Wörterbüch­ern angebracht war. Das Amt kam daher zu dem Ergebnis, dass Pfizer keine Untätigkei­t vorzuwerfe­n sei, die eine allfällige Entwicklun­g der Marke zum Freizeiche­n begünstigt hätte.

Der Fall Viagra zeigt, dass gerade Inhaber besonders erfolgreic­her und bekannter Marken stets auf der Hut sein müssen und aktive Maßnahmen (sowohl was die Präsentati­on der Marke am Markt als auch die Rechtsdurc­hsetzung betrifft) setzen sollten, um eine Entwicklun­g ihrer Marken zum Freizeiche­n von vornherein zu verhindern und – sollte es doch einmal unvermeidl­ich sein – zumindest nachweisen zu können, dass man alles Mögliche getan hat, um die Entwicklun­g hintanzuha­lten.

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