Was Viagra vom Kornspitz unterscheidet
Markenrecht. Wenn Konsumenten ein bestimmtes Produkt als Inbegriff für eine ganze Produktkategorie verstehen, kann das für den Inhaber der erfolgreichen Marke zum Verhängnis werden.
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung hat das Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum im spanischen Alicante (zuständig für die Eintragung und Löschung von Unionsmarken mit EU-weiter Gültigkeit) entschieden, dass die Marke Viagra für die Waren „Pharmazeutische Präparate und Substanzen zur Behandlung männlicher erektiler Dysfunktion“nicht gelöscht werden muss.
Dieses Ergebnis mag zunächst nicht überraschen, ist doch Viagra eine registrierte und wohl weltberühmte Marke für ein bestimmtes Medikament des Herstellers Pfizer. Sie ist wohl geradezu ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche und funktionierende Marke. Der Begriff Viagra ist eine Fantasiebezeichnung mit starker Unterscheidungskraft, sie hat keinen offensichtlichen Bezug zu den damit bezeichneten Produkten (ist also auch nicht irgendwie beschreibend für Pharmazeutika). Sie ist weltweit bekannt und sollte dadurch einen außerordentlich weiten Schutzbereich genießen.
Genau in letzterem Punkt – der besonderen Bekanntheit einer Marke – liegt aber die Tücke. Achten insbesondere Inhaber von Marken für besonders erfolgreiche Pionierprodukte nämlich nicht darauf, dass ihre bekannte Marke einzigartig bleibt, besteht das Risiko, dass diese sich zum Synonym für eine Produktkategorie entwickeln. In diesem Fall können solche Marken ihren Markenschutz wieder verlieren. Es ist der Traum vieler Marketingspezialisten und Brandmanager, wenn die von ihnen gehegte, gepflegte und beworbene Marke derart bekannt wird, dass sie am Ende sogar zum Inbegriff für eine gesamte Produktkategorie wird.
Das Ziel, dass Konsumenten nur noch diese eine Marke vor Augen haben, wenn sie an die Produktkategorie denken, kann der Marke am Ende aber sogar zum Verhängnis werden. Markenregistrierungen sind nämlich für verfallen zu erklären und damit zu löschen, wenn sie nach dem Zeitpunkt ihrer Eintragung infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers im geschäftlichen Verkehr zur gebräuchlichen Bezeichnung einer Ware oder Dienstleistung, für die sie eingetragen sind, geworden sind. Die Marke kann daher die ihr zugedachte Funktion, nämlich Produkte eines bestimmten Herstellers von jenen anderer Hersteller zu unterscheiden, nicht mehr wahrnehmen und ist zum „Freizeichen“geworden.
Insbesondere in den USA ereilte bereits zahlreiche vormals registrierte Marken dieses Schicksal. So waren die englischen Varianten der Begriffe „Trockeneis“, „Kerosin“, „Teleprompter“, „Trampolin“oder die „Katzenaugen“auf dem Fahrrad früher einmal neue Begriffe und registrierte Marken. Heute werden sie wohl allesamt nicht mehr einem bestimmten Markeninhaber zugeordnet, sondern gelten als generische Bezeichnung ganzer Produktgattungen und können somit wohl nicht mehr länger monopolisiert werden.
In Österreich erlangten in diesem Zusammenhang die Markenregistrierungen für den Sony„Walkman“und „Kornspitz“Aufmerksamkeit. So hat der Oberste Gerichtshof bereits 2001 dem ursprünglich von Sony für ein tragbares Kassettenabspielgerät (ursprünglich ein Pionierprodukt von Sony) erfundenen und eingeführten Begriff „Walkman“die weitere Eignung als Marke abgesprochen. In einem aufsehenerregenden Fall, der letztendlich vom EuGH zu entscheiden war, ging es 2015 dann der Markenregistrierung für „Kornspitz“an den Kragen – jedenfalls soweit sie an Endverbraucher gerichtete Endprodukte (also die Backwaren) betraf.
Entscheidend ist in diesen Fällen – jedenfalls nach österreichischem und europäischem Recht – die Frage, was der Markeninhaber unternommen hat, um eine solche Entwicklung der Marke zum Freizeichen abzuwenden. Das Gesetz spricht schließlich davon, dass diese Entwicklung „infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers“eingetreten sein muss. Verhält sich ein Markeninhaber also zu passiv und geht er gegen Markenverletzungen nicht bzw. nicht ausreichend vehement vor, oder vermittelt er gegenüber den Abnehmern und Endverbrauchern nicht ausreichend klar, dass es sich um eine geschützte Marke handelt, so kann ihm dies als Untätigkeit vorgeworfen werden, sollte sich seine Marke letztendlich tatsächlich zu einem „Freizeichen“entwickeln.
Im Fall Kornspitz wurde es der Markeninhaberin (die Herstellerin der Backmischung) etwa zum Verhängnis, nicht ausreichend dafür gesorgt zu haben, dass die von den Bäckereien bedienten Endabnehmer den Begriff „Kornspitz“als Marke eines bestimmten Herstellers und nicht etwa als Gattungsbegriff für eine bestimmte Art von Backwaren (also in einer Reihe mit Semmel, Salzstange, Kürbiskernweckerl etc.) wahrnehmen.
Was der Markeninhaber tun muss, um einer Entwicklung einer Marke zum Freizeichen entgegenzuwirken, illustriert der eben in Alicante entschiedene Fall Viagra. Zwar nahm das Amt auf Basis der Verfahrensergebnisse ohnedies nicht an, dass sich die Marke Viagra überhaupt zu einem Freizeichen entwickelt hätte, sondern erkannte, dass sich dieser Begriff gerade nicht zu einem Synonym für eine bestimmte Produktgattung entwickelte. Es setzte sich aber dennoch instruktiv mit der Frage auseinander, ob Pfizer einer möglichen Entwicklung zum Freizeichen ausreichend entgegengewirkt hatte und bejahte dies: So war Pfizer ernsthaft und regelmäßig gegen Markenverletzungen vorgegangen. Zur Verdeutlichung, dass es sich bei Viagra um eine registrierte Marke handelt, war nahezu immer ein ® bzw „TM“neben der Marke angebracht. Pfizer beachtete sogar, dass derartige Hinweise auch bei Aufscheinen der Marke in Wörterbüchern angebracht war. Das Amt kam daher zu dem Ergebnis, dass Pfizer keine Untätigkeit vorzuwerfen sei, die eine allfällige Entwicklung der Marke zum Freizeichen begünstigt hätte.
Der Fall Viagra zeigt, dass gerade Inhaber besonders erfolgreicher und bekannter Marken stets auf der Hut sein müssen und aktive Maßnahmen (sowohl was die Präsentation der Marke am Markt als auch die Rechtsdurchsetzung betrifft) setzen sollten, um eine Entwicklung ihrer Marken zum Freizeichen von vornherein zu verhindern und – sollte es doch einmal unvermeidlich sein – zumindest nachweisen zu können, dass man alles Mögliche getan hat, um die Entwicklung hintanzuhalten.