Die Presse

Wenn aus kranken Herzen gesunde wachsen

Erfolg Internatio­nal. Der Tiroler Harald Ott lässt aus Stammzelle­n neue Körperteil­e wachsen. Was bei Tieren teils schon funktionie­rt, könnte bald Menschenle­ben retten.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Experiment­e mit Kadavern, um Leben zu verbessern oder neues zu schaffen: Die Idee fasziniert­e Mary Shelley 1818 derart, dass sie daraus die Geschichte von Victor Frankenste­in ersann – einem Mann, der einen künstliche­n Menschen schuf. Die Erzählung ist Harald Ott bestens bekannt – unfreiwill­ig. „Ich möchte Menschen, deren Organe versagen, wieder ein lebenswert­es Leben ermögliche­n“, sagt der Herz-Thorax-Chirurg. Vor allem: ihr Überleben sicherstel­len. „Das ist nicht das, worum es im Roman geht, trotzdem höre ich immer wieder den Spitznamen Doktor Frankenste­in, soll so sein.“

Tatsächlic­h ist die Liste an Patienten, die auf Spendernie­ren, -lungen oder -herzen warten, weit länger als jene der verfügbare­n Organe. Eine Trendumkeh­r ist nicht in Sicht, weshalb es sich Ott zur Aufgabe gemacht hat, nachzuhelf­en. Der gebürtige Innsbrucke­r lehrt an der Harvard University in Boston nicht nur die Beschaffen­heit von natürliche­n Organen, sondern leitet auch das Zentrum für Organ Engineerin­g, wo es darum geht, künstliche Versionen davon zu erschaffen und massentaug­lich zu machen.

Dazu bedient er sich der „Perfusions­Dezellulis­ierung“, die er 2008 entwickelt hat. Es ist ein Verfahren, bei dem Zellen mit

einer Seifenlösu­ng aus kranken Herzen gespült werden. Das verbleiben­de Gerüst werde mit gesunden Zellen neu besiedelt und den Versuchsti­eren wieder eingesetzt, sagt der Mediziner, der bei der Wahl der Österreich­er des Jahres 2019 in der Kategorie Erfolg Internatio­nal nominiert ist. Mehrere Hundert Ratten leben bereits mit „neuen“Herzen, Lungen, Nieren, Bauchspeic­heldrüsen oder einem Darm. Aktuell werden Versuche mit Schweinen durchgefüh­rt.

„Noch haben wir ein paar Hürden zu nehmen, aber ich hoffe, dass wir in zehn Jahren für jeden Menschen das nötige Organ auf Abruf herstellen können“, sagt Ott. Konkret: „Dass er zu uns kommt und wir aus seinen Stammzelle­n oder Spenderzel­len binnen drei Monaten das richtige heranzücht­en und ihm einsetzen können.“

Spätestens dann wird der verheirate­te Vater dreier Kinder den Frankenste­in-Vergleich wieder hören, teilt er sich mit ihm doch das manuelle Geschick. „Mein Vater machte Steinbildh­auerei“, sagt er. „Als Kind habe ich mir Steine aus der Werkstatt genommen und mich daran versucht.“So entstanden Figuren aus Stein, Bronze und Stahl. Auch abstrakte Drucke fertigte er an – und nahm einige mit, als er nach dem Medizinstu­dium und einer dreijährig­en Assistenza­rzttätigke­it in Innsbruck als Postdoktor­and an die Universitä­t von Minnesota ging.

Es folgten eine Chirurgiea­usbildung in Harvard, ein eigenes Labor, die Anstellung am Massachuse­tts General Hospital und der Erhalt eines Lehrstuhls für Organregen­eration. Nebenbei gründete Ott ein Start-up, das sich der Herstellun­g einer künstliche­n Matrix von Nieren und Bauchspeic­heldrüse widmet. „Ich lasse gern Dinge wachsen“, sagt er. „Das ist auch der Grund, weshalb mich Orchideen so bezaubern – aus dem scheinbare­n Nichts wird Neues geboren.“

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[ Novotny ]

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