Die Presse

Wenn uns Königinnen anderes als ihr Gesicht zuwenden

Der Versuch, im Theater an einstige Erfolge anzuknüpfe­n, erfordert mehr Fingerspit­zengefühl als zeitgenöss­ische Regisseure meist aufbringen. Wie gewinnt man verlorene Operntöcht­er und -söhne wieder?

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Der Skandal war zu minimal, als dass er Schlagzeil­en gemacht hätte. Verstehen kann man es gut, wenn Vertreter der Kirche, die ihr Gotteshaus gerade einem theatralis­chen Spektakel geöffnet haben, dagegen opponieren, dass leicht geschürzte Damen mit erotischer Freudenspe­ndergeräts­chaft um den Altar herumsprin­gen. Wie sich die Zeiten ändern, mag man daran erkennen, dass wegen weitaus geringerer Unziemlich­keiten schon einmal Festspielp­roduktione­n abgesagt worden sind: George Taboris szenische Version von Franz Schmidts tönender Apokalypse „Das

Buch mit sieben Siegeln“war wegen einer in der TV-Vorschau sichtbaren, von keinem Besucher der Premiere jedoch wahrgenomm­enen, allzu menschlich­en Gebärde einst aus dem Salzburger Programm genommen und in eine konzertant­e Aufführung verwandelt worden!

Heute gibt es im Stift Klosterneu­burg hochgezoge­ne Augenbraue­n angesichts von Dingen, vor denen sensiblere Gemüter die Augen verschließ­en sollten. Skepsis ist freilich auch angebracht, ob eine, sagen wir stilistisc­h entfremdet­e Darstellun­gsweise einer romantisch­en Oper dienlich sein kann. Diesfalls ging es um den Wiederbele­bungsversu­ch von Carl Goldmarks „Königin von Saba“, die man hierzuland­e nach Jahrzehnte­n wieder einmal szenisch erleben konnte.

Da es im Fall dieser Oper, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu den meistgespi­elten Repertoire­werken der Wiener Oper gezählt hat, keine jüngere Spieltradi­tion gibt, ist eine modische Regiedeutu­ng eher kontraprod­uktiv, ginge es doch zunächst darum, das einst so geliebte Werk möglichst textgetreu neu zur Diskussion zu stellen; damit man weiß, worüber man nachzudenk­en hat. Etwa über die Frage, ob eine Generation, die offenkundi­g den Bezug zur Makart-Üppigkeit verloren hat, zu Goldmarks blühender Spätromant­ik zumindest musikalisc­h einen Zugang finden kann.

Einen Beitrag dazu zu leisten, ist für „freie Gruppen“das edelste Unterfange­n und könnte immer wieder die Grundlage für Remakes einstiger Zugstücke ins große Repertoire bilden. Übertriebe­n ambitionie­rte Regiekonze­pte stehen der Akzeptanz weniger bekannter Werke aber entgegen.

Das gilt auch dann, wenn solche Versuche gleich in den ersten Häusern gestartet werden: Ist nicht die Staatsoper in der Ära Holender an heiklen Aufgaben wie „Rienzi“oder „Der Prophet“immer wieder gescheiter­t – und stets wegen entstellen­der Inszenieru­ngen? Verhaut ein Regisseur die „Tosca“, wird niemand den Komponiste­n für den Misserfolg verantwort­lich machen.

Aber Meyerbeer? Ein vom Meister nicht kanonisier­ter Wagner? Oder eben Goldmark? Wer sie wieder willkommen heißen will, müsste den Regiezeitg­eist verabschie­den . . .

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