Die Presse

Martin Kuˇsejs Inszenieru­ng des Klassikers von Edward Albee überzeugt trotz Starbesetz­ung nicht recht. Die vier Darsteller werden in ein allzu enges Korsett gezwängt.

Burgtheate­r.

- VON NORBERT MAYER

Mit seiner Inszenieru­ng von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“eröffnete Martin Kusejˇ vor fünf Jahren die Spielzeit des von ihm geleiteten Residenzth­eaters in München. Am Samstag zeigte er als neuer Direktor des Burgtheate­rs in Wien die Übernahme dieser Aufführung als erste eigene Regiearbei­t der Saison 2019/20. (Er hat Ulrich Rasche am großen Haus den Vortritt gelassen, am Donnerstag, mit den „Bakchen“.) Der Hit von Edward Albee über nächtliche Exzesse zweier Ehepaare wurde damals in München durchwachs­en rezipiert. Der Abend dringe nicht bis zum Herzen des Stückes vor, so die „Süddeutsch­e Zeitung“über Kusejsˇ Regie. In der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“war gar von „lahmen Enten“die Rede. Zum Teil große Oper mit abrupten Tempowechs­eln sah die „Neue Zürcher Zeitung“, doch habe es an echter Dynamik zwischen den Protagonis­ten gefehlt.

Nun also Wien. Seit September 2014 hatten Bibiana Beglau und Norman Hacker in den Rollen als älteres sowie Nora Buzalka und Johannes Zirner als jüngeres Paar öfter Gelegenhei­t, wenige Momente der Liebe und ausgiebige Horrorszen­en einer Ehe zu zelebriere­n. Wie hat sich der Reifeproze­ss ausgewirkt? Man sieht vier auf ihre Art souveräne Stars, traumhaft sichere. Allein, zufrieden mit der Albee-Abrechnung darf man dennoch nicht sein. Dazu ist diese Inszenieru­ng allzu schematisc­h. Sie legt den Darsteller­n ein steifes Korsett an und engt den Spielraum ein. Wo bleiben die Nuancen? Die gibt es, aber nur vereinzelt, etwa wenn Sätze aggressiv sind und zugleich die Körper Zärtlichke­it andeuten – oder vice versa.

Strenge illustrier­t das Bühnenbild von Jessica Rockstroh. Während in Albees Text all die Gemeinheit­en zumindest phasenweis­e hinter Konvention­en verborgen bleiben, werden sie hier meist verstärkt vorgeführt, mit Symbolen so schwarz und weiß wie das Set. Der Salon von Martha und George ist schmal, leer und erhöht. Wie ein Laufsteg erstreckt er sich über die ganze Breite und wird hinten von einer hellen Wand begrenzt. Die Fläche davor, darunter, ist mit Flaschen und zerbrochen­en Gläsern übersät. Merke: In diesem Haushalt herrscht Kampftrink­en. Als Requisiten sind oben nur Alkoholika erlaubt. Reichlich. Gläser und Flaschen werden stets beiläufig vorn nach unten entsorgt.

Strikt sind die Auftritte segmentier­t: Zwischen den Szenen herrscht kurz totale Dunkelheit. Wenn es hell wird, sieht man neue Konstellat­ionen – saufend, punktuell höflich, exzessiv streitend, stilisiert kopulieren­d. Die Akte werden groß in Leuchtschr­ift angekündig­t: „Fun and Games“, „Walpurgisn­acht“und „The Exorcism“. Das Austreiben der Teufel endet nach zwei pausenlose­n Stunden in Stasis, die man als Waffenstil­lstand oder als zaghafte Zärtlichke­it deuten könnte: Das ältere Paar im Mittelpunk­t. Sie sitzt an der Wand, er steht ebenso apathisch daneben. Allein zu zweit. Dass sie kein Kind haben, anders als gegenüber den kinderlose­n Gästen behauptet, ist ausgefocht­en. Werden sie vor der Autorin Woolf weiter Angst haben? Vorm bösen Wolf? Wer weiß.

Beglau spielt hier Martha, die älteste im Quartett. Sie ist die Tochter des patriarcha­lischen Präsidente­n eines US-Colleges und hat vom Vater offenbar die Dominanz geerbt. Ihrem Mann begegnet sie mit Verachtung, besonders vor Zeugen. Tatsächlic­h: große Oper von Beglau. Was für eine Präsenz! In ihren Augen hat der von Hacker gespielte George versagt. Sie hätte so gern gehabt, dass er eine steile Karriere mache wie Papa. Doch George entspricht kaum dem amerikanis­chen Traum vom rasanten Aufstieg. Er leitet nicht einmal das Geschichte­institut. Hacker spielt diesen auf den ersten Blick unterlegen­en Ehemann recht raffiniert. Martha mag auf den ersten Blick aggressive­r sein, doch George erreicht seine Ziele durch subtilere Methoden. Ein Manipulato­r.

Johannes Zirner ist als eben ans College gekommener Biologiepr­ofessor Nick zu sehen. Er versagt, fast schon im Morgengrau­en, beim Beischlaf mit der fordernden Martha. Nora Buzalka spielt seine scheinbar naive Frau. Dass diese Honey-Beschränku­ngen mühelos ablegen kann, deutet ihr Cognackons­um an. Die Tochter eines Predigers hat viel Geld in diese Zweckehe eingebrach­t. Das dürfte auch der Kitt sein, der Nora und Nick aneinander­fesselt. Bei ihnen entwickelt sich der Ehekrieg mit anderen Mitteln, vielleicht mit befreiende­m Ende. Die beiden spielen ihre Parts als Gäste naturgemäß über weite Strecken mit etwas mehr Zurückhalt­ung. Sie ergänzen ideal die älteren Ungeheuer, die sich in ihren Kampfspiel­en doch auch so sehr nach Harmonie sehnen.

Fazit: Kusejˇ hat in der ersten Woche angedeutet, was uns im Burgtheate­r erwartet. Alte und neuere Klassiker, für die Bedürfniss­e herrschend­er Moden zurechtgeb­ogen, und brandaktue­ll Internatio­nales (die „Presse“war am Freitag von Wajdi Mouawads „Vögel“im Akademieth­eater begeistert). Man darf auf interessan­te Zeiten hoffen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria