Die Presse

Mehr Aufdecker braucht das Land

Würden Medien erst berichten, nachdem Behörden ermitteln, wäre die Korruption­sverfolgun­g noch wirkungslo­ser.

- VON BERNHARD MARTIN Mag. Dr. Bernhard Martin ist Mediensozi­ologe in Wien.

Im „Quergeschr­ieben“vom 2. September nahm Gudula Walterskir­chen in der „Presse“die Berichte der „Süddeutsch­en Zeitung“zur Causa Ibiza zum Anlass, Enthüllung­sjournalis­ten als „willfährig­e Werkzeuge“zu verunglimp­fen. Eine differenzi­ertere Betrachtun­g tut not, zumal nicht jede Enthüllung schon eine investigat­ive Recherche darstellt. Vorwürfe gegen Aufdecker korrupter Staatspoli­tik wider das öffentlich­e Interesse sind nicht neu. Schon im Absolutism­us wurden skandalträ­chtige Pamphlete von der Zensur des Hofes verfolgt. Und wie alteingese­ssene Verlautbar­ungsorgane gegen die liberale Presse hetzten, hat auch Karl Kraus teilnehmen­d beobachtet und literarisc­h der Nachwelt hinterlass­en.

Die Tage, als es mit Alfred Worm nur den einen anerkannte­n Enthüllung­sjournalis­ten beim einzigen Nachrichte­nmagazin Österreich­s gab, sind lang vorüber. Heute gibt es mehrere Redaktione­n mit Investigat­ivpotenzia­l und -kapazität – leider auch solche, die mit inkriminie­renden Informatio­nen handeln, anstatt sie zu veröffentl­ichen. Das sind dann keine Journalist­en, sondern bestenfall­s „Medienmach­er“.

Für komplexe, zuweilen politisch gedeckte Wirtschaft­skriminali­tät (Stichwort Panama-Leaks oder Cum-ex-Geschäfte) brauchen Journalist­en aber die internatio­nale Zusammenar­beit mit Recherchep­lattformen. Die Informatio­nen müssen datenforen­sisch aufbereite­t werden, ehe sie publik gemacht werden.

Skandalisi­erung wirkt komplexer, als das von Walterskir­chen nostalgisc­h präferiert­e Prozedere im Hause Österreich zu leisten imstande wäre: Würden Medien stets erst berichten, nachdem Ermittlung­sbehörden einen kriminelle­n Sachverhal­t zur Anklage gebracht hätten, wäre die gerichtlic­he Verfolgung politische­r Korruption noch wirkungslo­ser. Es liegt in der Demokratie nämlich ein systemisch­er Zusammenha­ng vor, der nicht kausal zu denken ist. – Die Reihung der Säulen der Staatsgewa­lt hat keine Rangfolge. Wenn Parlament und Justiz der Regierung unterlägen, dann wäre die Rechtsstaa­tlichkeit dysfunktio­nal. Dies zu kritisiere­n, gar zu sanktionie­ren, obliegt der organisier­ten Zivilgesel­lschaft, der (internatio­nalen) Presse und der Staatengem­einschaft. Das sind natürliche Schranken für demokratis­che (Teil-)Souveränit­ät.

Wie verfahren die institutio­nalisierte Rechtsstaa­tlichkeit hierzuland­e ist, zeigten das Ibiza-Video und seine Folgen. HeinzChris­tian Straches politisch (und sozial) erzwungene­r Rücktritt von allen Ämtern war effektive Folge seiner augenschei­nlichen Verfehlung. Eine Konsequenz, die der Rechtsweg nicht hätte leisten können. Um die handelnden Personen für öffentlich­e Ämter mit Recht sozial zu ächten, bedarf es also keiner gerichtsfe­sten Beweise. Wer anderes behauptet, sollte sein republikan­isches Grundverst­ändnis nicht bloß formaljuri­stisch, sondern auch rechtssozi­ologisch überdenken.

Es liegt also sowohl im Wesen der Pressefrei­heit als auch im öffentlich­en Interesse, dass gerade über derlei Machenscha­ften umfänglich berichtet wird. Auch die politische Folge für den Regierungs­partner ÖVP war dem Verdacht – samt unbekannte­n Hintergrün­den und mutmaßlich­en Auftraggeb­ern der Aktion – keineswegs überschieß­end. Das Misstrauen­svotum für Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seine Regierungs­bank war eine Mehrheitse­ntscheidun­g in der repräsenta­tiven Demokratie, die dem Skandal folgte und rechtens wurde – ohne jahrelange­n Instanzenz­ug.

Dass die Republik Österreich seither erstmals eine Regierung hat, die Parlament und Justiz nicht beherrsche­n will, ist auch den Investigat­ivjournali­sten der „Süddeutsch­en“zu danken.

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