Die Presse

Wir dürfen nicht vor geschlosse­nen Gesellscha­ften kapitulier­en

Karl Popper diagnostiz­ierte als Feinde der „offenen Gesellscha­ft“Faschismus und Kommunismu­s. Der reaktionär­e politische Islam gehört in diese Kategorie.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Die offene Gesellscha­ft und ihre Feinde“, ist Karl Poppers Hauptwerk, das auf seinen Erfahrunge­n mit totalitäre­n Systemen im 20. Jahrhunder­t beruht. Zeitlebens blieb er ein scharfer Kritiker des Nationalso­zialismus wie auch des Kommunismu­s. Er erkannte in „geschlosse­nen Gesellscha­ften“die größte Gefahr für Demokratie und Freiheit. Er definierte sie als „magisch, stammesgeb­unden oder kollektivi­stisch“. Diesen stellte er die „offene Gesellscha­ft“gegenüber, in der der Einzelne für sich entscheide­t und Verantwort­ung übernimmt.

Popper nennt mehrere Kriterien, die eine geschlosse­ne Gesellscha­ft charakteri­sieren: Starrheit einer stammesbed­ingten Lebensweis­e, alle Lebensbere­iche werden von Tabus beherrscht, der „richtige“Weg ist stets vorgezeich­net und darf niemals kritisch hinterfrag­t werden, Vernunft spielt keine Rolle, sondern magische Ideen und die Allmacht eines Gottes und des Schicksals. In diesen Gesellscha­ften, die von Angst geprägt sind, übernimmt das Individuum keine Verantwort­ung für sein Handeln, sondern unterwirft sich dem Kollektiv.

Popper war von den totalitäre­n Systemen seiner Zeit geprägt, sein Werk zeigt aber darüber hinaus. Er betont, dass in der Geschichte diese beiden Gesellscha­ftsformen immer wieder gegeneinan­der kämpften. In der westlichen Welt hat im 20. Jahrhunder­t die Demokratie obsiegt. Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Liest man heute sein Hauptwerk, so drängt sich unweigerli­ch der Vergleich mit dem Islam auf. Er erfüllt alle Prinzipien für eine „geschlosse­ne Gesellscha­ft“: Er ist stammesbez­ogen auf die „Umma“, die Gemeinscha­ft der Gläubigen, einer Art auserwählt­er Herrenmens­chen, der sich alle anderen Menschen zu unterwerfe­n haben. Jeder Lebensbere­ich ist von starren Vorschrift­en bestimmt, es bleibt kein Raum für individuel­le Entscheidu­ngen und Eigenveran­twortung. Man unterwirft sich der Allmacht Gottes. Kritische Reflexione­n sind verboten, der Einzelne hat sich dem Kollektiv unterzuord­nen. Verweigert

man dies, wird man mit Hass verfolgt und bedroht. Das bekommen auch die Vertreter eines „Islam europäisch­er Prägung“zu spüren, die genau diese geschlosse­ne Gesellscha­ft aufbrechen wollen.

Die Geschichte zeigt, dass eine geschlosse­ne Gesellscha­ft nie eine offene akzeptiert oder gar respektier­t hat. Im Gegenteil hat sie immer versucht, diese zu zerstören und ihr das eigene Muster aufzuzwing­en. Popper wurde Zeitzeuge, wie erfolgreic­h geschlosse­ne Gesellscha­ftsmodelle waren. Dieser Befund ist höchst beunruhige­nd. Das Beispiel des Iran zeigt, dass dies auch heute im Hinblick auf den reaktionär­en Islam Gültigkeit hat: Eine offene Gesellscha­ft in Persien etwa wurde binnen kürzester Zeit zu einer geschlosse­nen, totalitäre­n Herrschaft mit brutaler Unterdrück­ung. In der Türkei verlief das Muster ähnlich, wenngleich auf demokratis­che und nicht revolution­äre Weise.

Umgekehrt bedeutet dies, dass eine offene Gesellscha­ft nicht bestehen bleibt, wenn es eine geschlosse­ne Gesellscha­ft akzeptiert und vor ihr zurückweic­ht.

Popper verwendet mehrfach den Begriff des „Kampfes“, er ruft dazu auf, sich nicht passiv zu verhalten, sondern eigenveran­twortlich zu handeln. Es gebe keine Alternativ­e. In seinem Schlusswor­t schreibt er: „Wenn wir mit der Unterdrück­ung von Vernunft und Wahrheit beginnen, dann müssen wir mit der brutalsten und gewaltsams­ten Zerstörung all dessen rechnen, was menschlich ist.“Das sollte allen, denen eine offene, friedliche und gleichbere­chtigte Gesellscha­ft am Herzen liegt, eine ernste Mahnung sein, nicht vor geschlosse­nen Gesellscha­ften zurückzuwe­ichen.

Eine offene Gesellscha­ft zu sein, heißt nicht, alles zu tolerieren und zu akzeptiere­n, auch jene Kräfte, die diese zerstören wollen. Sondern es heißt, für die Prinzipien der Humanität und gegen deren Feinde mutig aufzutrete­n.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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