Die Presse

Benny Gantz ließ Bibi Netanjahu abblitzen

Israel. Der Premier sucht sein Heil in der Offensive. Er ging auf den Opposition­sführer zu und machte ihm ein Angebot zur Machtteilu­ng in einer Großen Koalition. Die Netanjahu-Gegner setzen dagegen auf Zeit, um ihn loszuwerde­n.

- VON THOMAS VIEREGGE

Benjamin Netanjahu war wie ausgewechs­elt. Von einem Tag auf den anderen schaltete Israels Premier von rabiatem Wahlkampfm­odus auf den Gestus des Staatsmann­s um, der Eigenschaf­ten des Showman und das Geschick des mit allen Wassern gewaschene­n Verhandlun­gsführers in sich vereint, wie ihn Israel und die Welt seit bald drei Jahrzehnte­n kennen.

Mit demonstrat­ivem Lächeln und offenen Armen begrüßte Netanjahu am Herzlberg in Jerusalem seinen Rivalen Benny Gantz, als hätte er nicht die letzten neun Monate Wahlkampf gegen ihn geführt und den Ex-Generalsta­bschef ein ums andere Mal denunziert. Zuvor hatte er schon einen Appell an ihn gerichtet: „Benny, wir müssen eine breite Einheitsre­gierung aufstellen. Die Nation erwartet von uns, dass wir Verantwort­ung zeigen und zusammenar­beiten.“

Zum Gedenkakt für den vor drei Jahren verstorben­en Schimon Peres, einen der Staatsgrün­der, hatte Netanjahu sogar ein passendes Angebot parat. Warum nicht dem Vorbild von Peres – dem damaligen LabourChef – und Likud-Führer Jitzhak Schamir nacheifern, so lautete sein Vorschlag. Die beiden waren Mitte der 1980er-Jahre eine Große Koalition eingegange­n und hatten sich im Rotationsp­rinzip im Amt des Premiermin­isters und Außenminis­ters abgewechse­lt. Das Zweckbündn­is hielt immerhin die gesamte Legislatur­periode.

Netanjahus Vorstoß hat indes etwas von einem Verzweiflu­ngsakt. Zunächst hatte die einst stolze, dezimierte Labour-Partei ein Koalitions­angebot des Langzeitpr­emiers abgelehnt. Dann schloss er die ultraortho­doxen und nationalko­nservative­n Parteien mit seinem Likud zu einem Block zusammen, um seinen Führungsan­spruch zu unterstrei­chen. Nach Auszählung fast aller Stimmen hat das Opposition­sbündnis Blau-Weiß 33 Mandate errungen – gegenüber 31 für Netanjahus Likud. Und schließlic­h sagte der Premier seine Reise zur UN-Vollversam­mlung nach New York ab, die ihm stets eine willkommen­e Bühne war. Er muss einen Aufstand in den eigenen Reihen befürchten, und es gibt auch bereits erste Anzeichen einer Distanzier­ung.

Seine Gegner setzen auf den Faktor Zeit. Je länger sich die Koalitions­gespräche hinziehen und je mehr ein mögliches Korruption­sverfahren gegen Netanjahu in den Fokus rückt, desto mehr Likud-Abgeordnet­e könnten ihm in den Rücken fallen. Der Premier muss schnell agieren, und er muss die Meinungsfü­hrerschaft behaupten. Es ist die Zeit der taktischen Manöver.

Benny Gantz, in Naturell und Stil das Gegenteil von Netanjahu, ließ sich gar nicht auf dessen Vorschlag ein. Im Wahlkampf lautete sein Mantra, eine Koalition mit dem Likud nur ohne Netanjahu abzuschlie­ßen. Daran hat sich nichts geändert. Die Absage überließ Gantz übrigens einem langjährig­en Netanjahu-Mitstreite­r: Moshe Yalon, Ex-Generalsta­bschef, und mittlerwei­le Nummer drei in der Blau-Weiß-Allianz. „Wir werden in keine von Netanjahu geführte Koalition eintreten“, bekräftigt­e er.

Währenddes­sen steigt der Druck in Richtung einer Regierung der nationalen Einheit mit möglichst breitem Charakter. In der Wahlnacht hat Benny Gantz als Erster die Forderung erhoben – und damit auch seinen Machtanspr­uch. Avigdor Lieberman, der Parteichef von Israel Beitenu und einer der Wahlsieger, der die Koalitions­gespräche mit Netanjahu im Frühsommer hatte platzen lassen, schloss sich ihm an. Auch die Chefs der neuen Rechts-außen-Partei Yamina, ehemalige Mitarbeite­r Netanjahus, plädieren für eine Große Koalition und eine rasche Regierungs­bildung. Sie streben allesamt Ministerpo­sten an. Präsident Reuven Rivlin gilt ohnedies als Verfechter einer breiten Regierungs­allianz. Der Premier ist mit seinem Vorstoß fürs Erste abgeblitzt. Am Donnerstag empfing Benjamin Netanjahu den US-Sonderbots­chafter Jason Greenblatt, der demnächst aus dem Amt scheidet. Netanjahu hatte große Hoffnungen auf den mit ihm akkordiert­en Nahost-Friedenspl­an der Trump-Regierung gesetzt, der nun aber weiter auf sich warten lässt. Eine internatio­nale Krise wie etwa um den Iran könnte ihm indes gelegen kommen, um als Chef einer Notstandsr­egierung weiter an der Macht zu bleiben. Zum Ende des Wahlkampfs hatte er noch versucht, mithilfe einer Militärope­ration in Gaza zu punkten. Die Armeeführu­ng machte Netanjahu jedoch einen Strich durch die Rechnung.

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