Neue Krimiserien meiden das Blut
Streaming. Die jüngste Netflix-Serie, „Criminal“, spielt in der Enge eines Verhörraums. Ein Kontrapunkt zu dem vielen Blut, das man sonst oft sieht – und ein Trend.
Da sitzen sie also. Täter und Ermittler, in einem unwirtlichen Raum ohne Fenster. Einen Tisch gibt es und vier Stühle. In diesem Zimmer passiert alles oder nichts, es geht um kleine Details oder den großen emotionalen Zusammenbruch. Dieser beklemmend enge Verhörraum steht im Zentrum der neuen Netflix-Serie, „Criminal“, und zwar in vier Ländern: Die gleichen holzvertäfelten Wände sind in Deutschland, England, Frankreich und Spanien zu sehen, sie sind das verbindende Element dieser Anthologie.
In Deutschland ermittelt die schwangere Kommissarin Keller (Eva Meckbach), die in der ersten Folge gleich für den altgedienten Kollegen Schulz (Sylvester Groth) einspringen muss, der nicht immer Distanz wahren kann. Da sitzt sie nun einem feisten Berliner Immobilienkönig gegenüber, der vor 30 Jahren jemanden getötet haben dürfte, denn in seiner alten Wohnung wurde die Leiche eines Handwerkers gefunden. Keller konfrontiert ihn mit seiner schwulen Vergangenheit, fragt ihn, warum er für den Grabstein der Mutter jenes Arbeiters bezahlt hat. Nicht nur hier rekurriert die Tat übrigens auf die (gesellschafts-)politischen Umstände im Land. Der Konflikt zwischen Ost- und Westdeutschen wirkt nach.
Während es draußen in Strömen regnet, versuchen die Ermittler nun, einen Zugang zu finden und ihr Gegenüber zu ergründen. Kein Blut, kein Tappen durch leere Häuser, keine Jagd nach dem Täter: Die üblichen Spannungsmomente gibt es nicht, es geht um die Psyche des Täters, um das Katz-undMaus-Spiel mit ihm. Und das scheint ein Trend zu sein. Kürzlich kam, ebenfalls auf Netflix, die zweite Staffel der hervorragenden Serie „Mindhunter“heraus. FBI-Agenten in den Siebzigerjahren befragen darin Serienmörder, sie besuchen sie im Gefängnis und sprechen mit ihnen über ihre Herkunft, ihre Fantasien, ihre Motive. Sie biedern sich dabei auch an, erzählen Lügen oder geben (zu) viel von sich preis. Die weggesperrten Psychopathen zu verstehen soll bei der Suche nach weiteren, aktiven Serienmördern helfen.
Den Krimi als Kammerspiel sieht man auch in der deutschen Miniserie „Culpa“. Hier ist es der Beichtstuhl, in dem Verbrechen diskutiert werden – enger kann ein Raum kaum sein. Im vielfach gelobten „The Sinner“dagegen weiß man schon fast alles über das Verbrechen, doch der Tathergang lässt dem Ermittler keine Ruhe, er erscheint ihm nicht nachvollziehbar. So werden auch in dieser Serie im Gefängnis lange Gespräche über eine Bluttat geführt: Warum hat eine junge Mutter einen ihr völlig Fremden erstochen?
Steht bei den oben genannten Serien, die alle seit 2017 zu sehen sind, die Konfrontation eines Verbrechers mit seiner Tat im Vordergrund, so ist „Criminal“die Steigerung dieses Prinzips: Alles außer den Verhören wird ausgeblendet. Es gibt noch einen kurzen Schwenk in den Nebenraum, wo die Kollegen hinter der berühmten Spiegelwand zuhören, einmal riskiert die Kamera auch einen kurzen Blick in den Lift. Aber das war’s an Abwechslung. Die Spannung baut sich durch genaue Ausleuchtung der Täter und facettenreiche Fälle auf. Unterstützt von einer feinen Geräuschkulisse, die uns die Ohren spitzen lässt. Man hört die Bewegung der Stühle oder den Kehlkopf des Verdächtigen knacken. Dem früheren Abstumpfen durch zu viel Blut, zu viel Gewalt folgt als Kontrapunkt eine Schärfung der Sinne. Düster und grausam sind die Geschichten, die man hier hört, trotzdem.