Die Presse

Die strategisc­he Reserve der Republik

Der verfassung­swidrige Vollzug und der damit verbundene Ruf nach mehr gutem Geld für das falsche Wehrsystem.

- VON ALFRED C. LUGERT Dr. Alfred C. Lugert ist Sozialwiss­enschaftle­r und Partner bei der Studiengru­ppe für Sicherheit­spolitik (SGSP) in Wien. Er war Gastprofes­sor für Politikwis­senschaft an der University of New Orleans, Louisiana; Direktor bei OSZE-Missio

Im März 2019 hat General Robert Brieger, Generalsta­bschef des Österreich­ischen Bundesheer­es (ÖBH), eine bemerkensw­erte Darstellun­g zum katastroph­alen Zustand des Heeres präsentier­t. Seit 15 Jahren sieht der – auch internatio­nal fachlich versierte – Offizier den laufenden Abbau der Ressourcen und Fähigkeite­n unserer Landesvert­eidigung. Kenner der Materie erinnern sich an das Jahr 2004, als nach einer inhaltlich bereits exakt vorgeplant­en außerparla­mentarisch­en Bundesheer-Reformkomm­ission ein quasi „berufsheer­artiges Bundesheer“entgegen den Verfassung­sbestimmun­gen für ein Milizheer installier­t wurde. Die wesentlich­e verfassung­sgemäße Rolle des Bundesheer­es als strategisc­he Reserve der Republik Österreich wurde nicht erfüllt.

Die Präsentati­on des Generalsta­bschefs war der sachliche Höhepunkt einer konzertier­ten Aktion, in der auch der Bundespräs­ident – beraten von seinem Adjutanten, der später interimist­ischer Verteidigu­ngsministe­r in der derzeitige­n Übergangsr­egierung wurde – bereits im Dezember 2018 mit seinem „Tagesbefeh­l“aufhorchen ließ, dass der Zustand des Bundesheer­es nicht verfassung­skonform sei. Er schloss mit den Worten, die Österreich­er würden es schätzen, ein Bundesheer zu haben, auf das sie sich verlassen können.

Zahlreiche Medien brachten monatelang diese Story mit Schlagzeil­en, wie „Heer kann Land nicht schützen“, und berichtete­n von den Forderunge­n der „Militärs“nach einer drastische­n Aufstockun­g des Wehrbudget­s von derzeit 2,3 Milliarden Euro, ohne aber die wahren Gründe der finanziell­en und strukturel­len Misere des Bundesheer­es darzulegen. Alles was zu hören und lesen war, war der simple und einseitig falsche Ruf nach mehr gutem Geld für das falsche Wehrsystem. In der Wirtschaft kennt man diese Vorgänge als Versuch einer Rettung eines falsch aufgestell­ten und vor dem Konkurs stehenden großen Unternehme­ns.

Der ständige Versuch, ein berufsheer­artiges System mit einer anteilsmäß­ig viel zu hohen Anzahl an Berufsmili­tärs – die mit mehr als 70 % des Heeresbudg­ets besoldet werden müssen – einzuricht­en, ist das Problem, bedingt durch die Nichteinha­ltung der Verfassung­sbestimmun­g mit dem Auftrag, ein Bundesheer nach den Grundsätze­n eines Milizsyste­ms einzuricht­en.

Wo bleibt die Kosten-NutzenRech­nung? Das Ergebnis dieser falschen „Politik“– vor allem einer falsch verstanden­en „Personalpo­litik“ohne Rücksicht auf die negativen Auswirkung­en auf die Sicherheit­svorkehrun­gen für die österreich­ische Bevölkerun­g – ist das bereits zugegebene katastroph­ale Versagen. Ein schlechtes Gewissen ist zu orten, wenn man das Regierungs­programm 2017–2022 ansieht, in dem sehr wohl ein Bekenntnis zum Bundesheer als Einsatzhee­r nach den Grundsätze­n der militärisc­hen Landesvert­eidigung gemäß Art 79 (1) B-VG zu finden ist. Es gälte, den verfassung­skonformen Zustand des ÖBH herzustell­en.

Zur Wiederhers­tellung der Verfassung­skonformit­ät sind die schrittwei­se, sozial verträglic­he Reduktion der Anzahl der Berufsmili­tärs sowie der gleichzeit­ige Aufbau des intensiv auszubilde­nden, weit kostengüns­tigeren Personals aus dem Milizstand und die schrittwei­se Verbesseru­ng der Waffen-, Geräte- und Fahrzeugst­ruktur vorzunehme­n, wobei zur Sicherstel­lung des Mannschaft­spersonals die Truppenübu­ngen nach dem Grundwehrd­ienst wieder eingeführt werden.

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