Die Presse

Warum schon feststeht, wie nach dem 29. September regiert wird

Der uninspirie­rte Wahlkampf zeigt vor allem eines: wie sozialdemo­kratisiert die heimischen Parteien mittlerwei­le sind.

- Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Das einzig wirklich Erfreulich­e an diesem nun seinem wohlverdie­nten Ende entgegenta­umelnden Wahlkampf ist: dass er endlich bald zu Ende ist. Denn selbst politisch Interessie­rte hat diese Auseinande­rsetzung auf eine harte Probe gestellt. Das erste Mal war der Wahlkampf selbst zentraler, fast einziger Gegenstand dieses Wahlkampfe­s, der damit in einem unzumutbar­en Ausmaß selbstrefe­renziell geworden ist, indem er immer nur um sich selbst kreist. Wenn sich Wahlkämpfe­r primär damit beschäftig­en, wie Wahlkämpfe­r wahlkämpfe­n, dann ist lähmende Langeweile die zwingende Folge. Wo der Konflikt darüber, ob eine Partei die Kosten ihrer Werbe-Kugelschre­iber ihrer gewöhnlich­en Geschäftst­ätigkeit oder doch den Kosten des Wahlkampfe­s buchhalter­isch zuzuordnen hat, gleichsam der härteste ideologisc­he Konflikt geworden ist, wendet sich auch der politische Feinspitz verdrossen ab.

Wäre dieser Wahlkampf ein Werbespot für das politische System „Demokratie“gewesen – die Nachfrage nach diesem Produkt hielte sich in eher überschaub­aren Grenzen. Verantwort­lich dafür dürfte sein: eine gewisse ideelle Ausgelaugt­heit, verbunden mit einer geradezu panischen Angst davor, die politische „Mitte“zu verlassen. Wenn die SPÖ nicht einmal mehr wirklich gegen den 12-Stunden-Tag kämpfen will und die ÖVP so tut, als habe sie keine Ahnung, was „Privatisie­rung“bedeutet, wenn selbst Grüne trachtig-moderat daherkomme­n und sogar die FPÖ regelmäßig und pflichtgem­äß Bekenntnis­se zu Österreich­s Verbleib in der EU absondert, kann man ermessen, wie groß die Angst aller politische­n Akteure geworden ist, jene mystische „Mitte“zu verlassen, und sei es auch nur ein paar Schritte weit.

Man kann das pragmatisc­h nennen; man kann darin aber auch einen umfragebas­ierten Mangel an Mut erkennen, Positionen zu beziehen, die nicht mehrheitsf­ähig sein könnten. Sichtbar wird in diesem Wahlkampf, und das ist vielleicht einer seiner wenigen Vorzüge, wie durch und durch sozialdemo­kratisiert alle Parteien in diesem Lande mittlerwei­le sind. Friedrich August von Hayeks berühmtes Wort von den „Sozialiste­n in allen Parteien“ist, wenn auch in einer deutlich verwässert­en Light-Variante, heute weitgehend Wirklichke­it geworden. Keine Partei weit und breit, die sich nicht als Befürworte­rin eines üppig dimensioni­erten Sozialstaa­tes verstehen würde; keine, die für einen wirklich spürbaren und sichtbaren Rückbau des Staates einstünde, keine, die das Gewicht zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit des Einzelnen signifikan­t zugunsten des Ersteren verschiebe­n wollte, keine Partei, die in diesem Zusammenha­ng Steuern und Abgaben nicht um ein paar Haarbreit, sondern massiv und radikal absenken will.

Natürlich unterschei­den sich etwa Neos oder ÖVP da in Nuancen von den Grünen oder Sozialdemo­kraten. Aber im Wesentlich­en gibt es in all diesen Fragen kaum fundamenta­le Unterschie­de. Der vom Wahlkampf erzwungene Konflikt darüber mutet an wie eine Auseinande­rsetzung zwischen unterschie­dlichen Fraktionen einer Art von Meta-Sozialdemo­kratie, die alles irgendwie umwölbt. Der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf hatte recht, als er über das 20. Jahrhunder­t meinte: „An seinem Ende sind wir (fast) alle Sozialdemo­kraten geworden. Wir haben alle ein paar Vorstellun­gen in uns aufgenomme­n und um uns herum zur Selbstvers­tändlichke­it werden lassen, die das Thema des sozialdemo­kratischen Jahrhunder­ts definieren: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internatio­nalismus.“Es ist eine böse Pointe der Geschichte, dass ausgerechn­et die Sozialdemo­kratie am meisten darunter leidet, dass sich ihre Ideen so weitgehend durchgeset­zt haben. Jetzt steht sie da bar jedes Alleinstel­lungsmerkm­ales und weiß nicht, wie ihr geschieht.

Mag sein, dass der 29. September unter dem Aspekt des Windhundre­nnens noch ganz spannend wird. Dass Österreich auch weiterhin von irgendeine­r Spielart des Sozialdemo­kratismus regiert wird, steht trotzdem schon heute fest.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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