Die Welt der Fridays-Aktivisten
Die Aktivisten von Fridays for Future sehen sich als apolitische Druckmacher. Politiker würden sie – wie das Thema Klimaschutz – gern vereinnahmen. Dabei geht es den Parteien nicht primär um ihre Stimmen.
Er sagt nicht Wandel, er sagt Krise. Klimakrise. In seinem Schulbuch sei der Klimawandel etwas gewesen, über dessen Existenz und Ursachen man diskutieren kann, sagt der 17-jährige Laurenz. Der Fridays-forFuture-Aktivist zweifelt nicht – im Gegensatz zu Politikern von US-Präsident Donald Trump abwärts bis Ex-Vizekanzler HeinzChristian Strache.
Doch die Zweifler sind mit den von Greta Thunberg angestoßenen Schülerstreiks, allerspätestens aber mit den Rekorden der Grünen bei den EU-Wahlen und dem Beginn des österreichischen Wahlkampfs leise ggeworden. Straches Nachfolger, FPÖ-Chef Norbert Hofer, erklärte, dass „Klimaschutz und der von den Menschen herbeigeführte Klimawandel die größten Herausforderungen unserer Zeit sind“.
Laurenz und seine FridaysKolleginnen Anna und Amina haben derzeit einen ähnlich vollen Terminkalender wie der FPÖ-Spitzenkandidat. Nicht wegen der Wahl am 29. September. Zeitgleich zum Wahlkampfendspurt läuft die Klimaschutzwoche und gipfelt kommenden Freitag in einer globalen Großdemo. Auch in Wien wird marschiert, das gibt Bühne, Aufmerksamkeit. Und die Fridays-Aktivisten wissen: Der Boden für Forderungen nach Dingen wie einer CO2-Steuer und dem Verfassungsrang für den Klimaschutz ist selten so aufnahmefähig.
Was halten drei junge Menschen wie sie, die, so gut es geht, nachhaltig leben, die ihre Familien mit Fleischverzicht und die Freunde mit dem Boykott von Marken wie H & M vor den Kopf stoßen, von der politischen Klimawende? „Die Politik interessiert sich, weil wir auf die Straße gehen“, sagt Laurenz nüchtern. „Aber für uns macht noch keiner Politik“, sagt die Architekturstudentin Anna. Das müsste eine sein, die ein klimafreundliches Leben billiger macht – etwa die Bahnfahrt nach Linz im Vergleich zum Billigflieger nach London.
Eine österreichische Forschergruppe hat jüngst auf Initiative der Fridays-Bewegung alle Parteiprogramme einer Prüfung unterzogen. Keines der sechs erreichte Bestnoten. Viele würden nur Einzelmaßnahmen statt einer Gesamtstrategie anbieten, urteilten die Klimaforscher. Dadurch würden ihre Zurufe aus dem politischen Off wissenschaftlich untermauert werden, sagt Anna. „Wir wollen das politische System von außen beeinflussen“, sagt sie, bloß keine Positionierung für eine Partei oder Seite. Andernfalls verspielten sie die eigene Glaubwürdigkeit. Eine Wahlempfehlung werde man von ihnen nie hören.
Dass die Politiker im Wahlkampf nach anderen Regeln spielen, mussten die Fridays lernen. „Wir kämpfen ganz stark gegen Vereinnahmungen“, sagt Laurenz. Es passiere oft, dass Politiker sie in Postings erwähnten oder sich die grünen Buttons der Initiative für Fotos ans Revers hefteten.
Das geschieht nicht deshalb, weil sie in den jungen Fridays-Aktivisten das große Wählerpotenzial sehen, sagt der Soziologe Dimitri Prandner von der Johannes-Kepler-Universität Linz. Die Gruppe sei demografisch recht eng umrissen: politikaffin, tendenziell links orientiert, aus einem bildungsbürgerlichen, wirtschaftlich starken Haushalt. „Sie sorgen sich nicht um das tägliche Überleben, sondern um die Zukunft. Man muss es sich leisten können, sich damit zu beschäftigen.“
Die Aktivisten lassen das so nicht gelten. Natürlich, sie würde selbst in Gesprächen merken, wie ähnliche Wertvorstellungen sie mit den anderen in der österreichischen Organisation teile, sagt Amina. „Aber wir überzeugen auch viele Menschen, die sich davor gar nicht mit Klimaschutz auseinandergesetzt haben.“Man sei größer, breiter, diverser geworden, sagt Laurenz – und offen für alle, die nicht so viel Zeit für ehrenamtliches Engagement mitbringen. Das zu verdeutlichen war auch Sinn der gestrigen Übung.
Die Politik interessiert sich, weil wir auf die Straße gehen. Laurenz, Aktivist von Fridays for Future
Zum Auftakt der internationalen Klimaschutzwoche tat man sich mit Feuerwehren, Bauernmärkten, Schulen, Pfadfindern in rund 720 Gemeinden zusammen. Alle Orte veranstalteten autonome Aktionen zum Klimaschutz und forderten den nationalen Klimanotstand. Ihre Bewegung auf Schüler und Studenten zu reduzieren, sagt Amina, sei genauso falsch wie sie an einem schwedischen Mädchen namens Greta Thunberg festzumachen.
Das sieht auch Soziologe Prandner so. Da sei etwas losgetreten worden, was die Politiker irgendwann nicht mehr negieren konnten. „Die Fridays for Future sind so relevant, weil sie die Klimakrise zum Gesprächsthema gemacht und andere Wählergruppen zum Nachdenken gebracht haben.“Wie sehr, zeigen die jüngsten Umfragen von Meinungsforscher Peter Hajek für das Magazin „Profil“: 26 Prozent der Befragten sagten, Umwelt und Klimaschutz seien wahlentscheidend für sie. Die Themen Zuwanderung und Asyl folgten mit 14 Prozent an zweiter Stelle. Die Relevanz, sagt Hajek, sei nicht plötzlich gekommen. „Genauso wie der Klimawandel nicht 2019 begonnen hat.“Das Thema habe seit der ersten Jahreshälfte Konjunktur. Da haben die Bilder streikender Schüler solche von Flüchtlingen im Mittelmeer abgelöst.
Wie wahlentscheidend die von den Fridays mitinitiierte Debatte für eine Partei wird, sei aber individuell, sagt Hajek. Die Frage „Wie wichtig ist das Thema Klimawandel für die Stimmabgabe Ihrer Partei?“, haben 33 Prozent mit „sehr wichtig“beantwortet. Allerdings: unter Grün-Wählern waren es 71 Prozent, unter FPÖ-Anhängern dagegen nur elf Prozent. Das sei einer der Gründe, wieso die Grünen ihr Comeback feiern und Ex-Innenminister Herbert Kickl auf den FPÖ-Plakaten für Sicherheit wirbt.
Das lang haftende Grün-Image
Ganz losgelöst von eigenen politischen Vorlieben würden die Befragten den Grünen aber die größte Kompetenz bei Klima- und Umweltthemen attestieren, sagt Hajek. Genauso sei Kriminalitätsbekämpfung die Kernkompetenz der FPÖ und Bildung die der Neos. „Wenn sie einmal ein Image in der Politik haben, pickt das.“
Alle außer den Grünen täten sich dagegen schwer, den Klimaschutz mit der bereits existierenden Ideologie zu vereinbaren, sagt Soziologe Dimitri Prandner. Das führe etwa dazu, dass die Sozialdemokraten nicht gern aussprächen, dass nicht nur die Betriebe, sondern auch die breite Masse die Klimamaßnahmen finanziell mittragen müsse. Dass die Ex-ÖVP-Umweltministerin sage, sie habe „größere Probleme“als 140 km/h auf der Autobahn. Oder die Freiheitlichen in ihrem Programm den Schutz von „Heimat, Identität und Umwelt“versprechen, aber „Klimahysterie“und „Diesel-Bashing“ablehnen.
Auf der Check-Liste der Stammpartei
Aber nicht einmal die FPÖ könne es sich leisten, das Klima auszublenden, sagt Prandner. „Sonst läuft sie Gefahr, nicht gefestigte Wähler zu verlieren, die verunsichert sind, weil ihre Partei das relevante Thema des Wahlkampfs nicht aufgreift.“Im Umkehrschluss reiche es den meisten Menschen, wenn Klimaschutz auf der Check-Liste ihrer Stammpartei steht. Im Sinn von: „Darum kümmern sie sich eh auch.“
Den Fridays-Aktivisten ist das jedenfalls zu wenig, kündigen sie an. „Alle schreiben es sich auf die Fahnen. Aber uns ist wichtig, was nach der Wahl passiert“, sagt Amina. „Wir sind darauf eingestellt, dass wir weiter streiken müssen“, ergänzt Laurenz.
Für sie sei Freitag, jeder Freitag, der entscheidende Tag. Nicht der kommende Sonntag. Das hätten viele noch nicht begriffen.