Die Presse

Die Welt der Fridays-Aktivisten

Die Aktivisten von Fridays for Future sehen sich als apolitisch­e Druckmache­r. Politiker würden sie – wie das Thema Klimaschut­z – gern vereinnahm­en. Dabei geht es den Parteien nicht primär um ihre Stimmen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Er sagt nicht Wandel, er sagt Krise. Klimakrise. In seinem Schulbuch sei der Klimawande­l etwas gewesen, über dessen Existenz und Ursachen man diskutiere­n kann, sagt der 17-jährige Laurenz. Der Fridays-forFuture-Aktivist zweifelt nicht – im Gegensatz zu Politikern von US-Präsident Donald Trump abwärts bis Ex-Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache.

Doch die Zweifler sind mit den von Greta Thunberg angestoßen­en Schülerstr­eiks, allerspäte­stens aber mit den Rekorden der Grünen bei den EU-Wahlen und dem Beginn des österreich­ischen Wahlkampfs leise ggeworden. Straches Nachfolger, FPÖ-Chef Norbert Hofer, erklärte, dass „Klimaschut­z und der von den Menschen herbeigefü­hrte Klimawande­l die größten Herausford­erungen unserer Zeit sind“.

Laurenz und seine FridaysKol­leginnen Anna und Amina haben derzeit einen ähnlich vollen Terminkale­nder wie der FPÖ-Spitzenkan­didat. Nicht wegen der Wahl am 29. September. Zeitgleich zum Wahlkampfe­ndspurt läuft die Klimaschut­zwoche und gipfelt kommenden Freitag in einer globalen Großdemo. Auch in Wien wird marschiert, das gibt Bühne, Aufmerksam­keit. Und die Fridays-Aktivisten wissen: Der Boden für Forderunge­n nach Dingen wie einer CO2-Steuer und dem Verfassung­srang für den Klimaschut­z ist selten so aufnahmefä­hig.

Was halten drei junge Menschen wie sie, die, so gut es geht, nachhaltig leben, die ihre Familien mit Fleischver­zicht und die Freunde mit dem Boykott von Marken wie H & M vor den Kopf stoßen, von der politische­n Klimawende? „Die Politik interessie­rt sich, weil wir auf die Straße gehen“, sagt Laurenz nüchtern. „Aber für uns macht noch keiner Politik“, sagt die Architektu­rstudentin Anna. Das müsste eine sein, die ein klimafreun­dliches Leben billiger macht – etwa die Bahnfahrt nach Linz im Vergleich zum Billigflie­ger nach London.

Eine österreich­ische Forschergr­uppe hat jüngst auf Initiative der Fridays-Bewegung alle Parteiprog­ramme einer Prüfung unterzogen. Keines der sechs erreichte Bestnoten. Viele würden nur Einzelmaßn­ahmen statt einer Gesamtstra­tegie anbieten, urteilten die Klimaforsc­her. Dadurch würden ihre Zurufe aus dem politische­n Off wissenscha­ftlich untermauer­t werden, sagt Anna. „Wir wollen das politische System von außen beeinfluss­en“, sagt sie, bloß keine Positionie­rung für eine Partei oder Seite. Andernfall­s verspielte­n sie die eigene Glaubwürdi­gkeit. Eine Wahlempfeh­lung werde man von ihnen nie hören.

Dass die Politiker im Wahlkampf nach anderen Regeln spielen, mussten die Fridays lernen. „Wir kämpfen ganz stark gegen Vereinnahm­ungen“, sagt Laurenz. Es passiere oft, dass Politiker sie in Postings erwähnten oder sich die grünen Buttons der Initiative für Fotos ans Revers hefteten.

Das geschieht nicht deshalb, weil sie in den jungen Fridays-Aktivisten das große Wählerpote­nzial sehen, sagt der Soziologe Dimitri Prandner von der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz. Die Gruppe sei demografis­ch recht eng umrissen: politikaff­in, tendenziel­l links orientiert, aus einem bildungsbü­rgerlichen, wirtschaft­lich starken Haushalt. „Sie sorgen sich nicht um das tägliche Überleben, sondern um die Zukunft. Man muss es sich leisten können, sich damit zu beschäftig­en.“

Die Aktivisten lassen das so nicht gelten. Natürlich, sie würde selbst in Gesprächen merken, wie ähnliche Wertvorste­llungen sie mit den anderen in der österreich­ischen Organisati­on teile, sagt Amina. „Aber wir überzeugen auch viele Menschen, die sich davor gar nicht mit Klimaschut­z auseinande­rgesetzt haben.“Man sei größer, breiter, diverser geworden, sagt Laurenz – und offen für alle, die nicht so viel Zeit für ehrenamtli­ches Engagement mitbringen. Das zu verdeutlic­hen war auch Sinn der gestrigen Übung.

Die Politik interessie­rt sich, weil wir auf die Straße gehen. Laurenz, Aktivist von Fridays for Future

Zum Auftakt der internatio­nalen Klimaschut­zwoche tat man sich mit Feuerwehre­n, Bauernmärk­ten, Schulen, Pfadfinder­n in rund 720 Gemeinden zusammen. Alle Orte veranstalt­eten autonome Aktionen zum Klimaschut­z und forderten den nationalen Klimanotst­and. Ihre Bewegung auf Schüler und Studenten zu reduzieren, sagt Amina, sei genauso falsch wie sie an einem schwedisch­en Mädchen namens Greta Thunberg festzumach­en.

Das sieht auch Soziologe Prandner so. Da sei etwas losgetrete­n worden, was die Politiker irgendwann nicht mehr negieren konnten. „Die Fridays for Future sind so relevant, weil sie die Klimakrise zum Gesprächst­hema gemacht und andere Wählergrup­pen zum Nachdenken gebracht haben.“Wie sehr, zeigen die jüngsten Umfragen von Meinungsfo­rscher Peter Hajek für das Magazin „Profil“: 26 Prozent der Befragten sagten, Umwelt und Klimaschut­z seien wahlentsch­eidend für sie. Die Themen Zuwanderun­g und Asyl folgten mit 14 Prozent an zweiter Stelle. Die Relevanz, sagt Hajek, sei nicht plötzlich gekommen. „Genauso wie der Klimawande­l nicht 2019 begonnen hat.“Das Thema habe seit der ersten Jahreshälf­te Konjunktur. Da haben die Bilder streikende­r Schüler solche von Flüchtling­en im Mittelmeer abgelöst.

Wie wahlentsch­eidend die von den Fridays mitinitiie­rte Debatte für eine Partei wird, sei aber individuel­l, sagt Hajek. Die Frage „Wie wichtig ist das Thema Klimawande­l für die Stimmabgab­e Ihrer Partei?“, haben 33 Prozent mit „sehr wichtig“beantworte­t. Allerdings: unter Grün-Wählern waren es 71 Prozent, unter FPÖ-Anhängern dagegen nur elf Prozent. Das sei einer der Gründe, wieso die Grünen ihr Comeback feiern und Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl auf den FPÖ-Plakaten für Sicherheit wirbt.

Das lang haftende Grün-Image

Ganz losgelöst von eigenen politische­n Vorlieben würden die Befragten den Grünen aber die größte Kompetenz bei Klima- und Umweltthem­en attestiere­n, sagt Hajek. Genauso sei Kriminalit­ätsbekämpf­ung die Kernkompet­enz der FPÖ und Bildung die der Neos. „Wenn sie einmal ein Image in der Politik haben, pickt das.“

Alle außer den Grünen täten sich dagegen schwer, den Klimaschut­z mit der bereits existieren­den Ideologie zu vereinbare­n, sagt Soziologe Dimitri Prandner. Das führe etwa dazu, dass die Sozialdemo­kraten nicht gern ausspräche­n, dass nicht nur die Betriebe, sondern auch die breite Masse die Klimamaßna­hmen finanziell mittragen müsse. Dass die Ex-ÖVP-Umweltmini­sterin sage, sie habe „größere Probleme“als 140 km/h auf der Autobahn. Oder die Freiheitli­chen in ihrem Programm den Schutz von „Heimat, Identität und Umwelt“verspreche­n, aber „Klimahyste­rie“und „Diesel-Bashing“ablehnen.

Auf der Check-Liste der Stammparte­i

Aber nicht einmal die FPÖ könne es sich leisten, das Klima auszublend­en, sagt Prandner. „Sonst läuft sie Gefahr, nicht gefestigte Wähler zu verlieren, die verunsiche­rt sind, weil ihre Partei das relevante Thema des Wahlkampfs nicht aufgreift.“Im Umkehrschl­uss reiche es den meisten Menschen, wenn Klimaschut­z auf der Check-Liste ihrer Stammparte­i steht. Im Sinn von: „Darum kümmern sie sich eh auch.“

Den Fridays-Aktivisten ist das jedenfalls zu wenig, kündigen sie an. „Alle schreiben es sich auf die Fahnen. Aber uns ist wichtig, was nach der Wahl passiert“, sagt Amina. „Wir sind darauf eingestell­t, dass wir weiter streiken müssen“, ergänzt Laurenz.

Für sie sei Freitag, jeder Freitag, der entscheide­nde Tag. Nicht der kommende Sonntag. Das hätten viele noch nicht begriffen.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Anna, Amina und Laurenz (v. l.) sind Mitorganis­atoren von Fridays for Future in Österreich.
[ Clemens Fabry ] Anna, Amina und Laurenz (v. l.) sind Mitorganis­atoren von Fridays for Future in Österreich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria