Modis Magie soll Kaschmir befrieden
Indien. Am Rand der UN-Vollversammlung will der indische Premier argumentieren, wie drakonische Sicherheitsmaßnahmen in der Himalaja-Region langfristig zu Prosperität führen.
Narendra Modi ist Indiens strahlendster Star. Der 69. Geburtstag des Premiers samt Mittagessen bei der betagten Mama wurde diese Woche in Medien mit bunten Bildern und Wortgirlanden ebenso gefeiert wie sein beinharter politischer Kurs in der Kaschmir-Frage.
„Modis Magie zerstört unsere Feinde“, hieß es vor wenigen Tagen gar auf dem Newsticker einer indischen TV-Nachrichtensendung, die wieder einmal über die Hochspannung mit Erzfeind Pakistan berichtete. „Modi’s Magic“ist inzwischen ein etabliertes journalistisches Bonmot, um Charisma und Durchsetzungskraft des omnipräsenten Regierungschefs zu umschreiben.
Dass Modi im August überraschend die Autonomie des mehrheitlich muslimischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir aufgehoben und durch Massenfestnahmen, Ausgangs-, Internet- und Mobilfunksperren die Himalajaregion von der Außenwelt abgeschnitten hat, stößt in Indien mehrheitlich auf Zustimmung.
Der Schritt sei überfällig gewesen, hört man nicht nur von ModiFans. Zu lang habe man Geld nach Kaschmir gepumpt und zugleich zuschauen müssen, wie Islamabad islamistische Terroristen über die Grenze schmuggle. Dass auch führende Lokalpolitiker unter Arrest gestellt wurden, wird als notwendiges Übel angesehen, um Gewalt zu vermeiden.
„Pakistan produziert Terroristen wie andere Autos, am Fließband“, donnerte auch Indiens Außenminister, Subrahmanyam Jaishankar, als er in Delhi den Kaschmir-Kurs seiner Regierung vor deutschsprachigen Journalisten rechtfertigte. Nach dem haushohen Sieg von Modis hindu-nationalistischer BJP bei der Parlamentswahl im Mai habe die Regierung zwei Möglichkeiten gesehen: „Entweder wir machen weiter wie bisher, mit zusätzlichen Toten, oder wir machen etwas völlig anderes.“
Indien und Pakistan führten bereits zwei Kriege wegen Kaschmir, immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu Gefechten an der Grenze. Islamabad, das ebenfalls einen Teil von Kaschmir kontrolliert, fühlt sich durch den Schritt Indiens heftig provoziert. Seit Wochen üben sich die Politiker der beiden benachbarten südasiatischen Atommächte in gefährlicher Kriegsrhetorik und zeigten sich „zum Äußersten“bereit. Zumal Indien zuletzt mehrmals deutlich machte, „eines Tages“über ganz Kaschmir herrschen zu wollen.
Modi wird also seine „Superstar-Zauberkraft“einsetzen müssen, um die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, dass Kaschmir eine innerindische Angelegenheit sei. Kommende Woche wird er am Rand der UN-Vollversammlung in New York eine Rede halten – ebenso wie Pakistans Premier, Imran Khan. Dieser wirft Indien Menschenrechtsverbrechen vor und fordert, dass die Causa Kaschmir vom UN-Sicherheitsrat behandelt wird.
Vor dieser komplizierten Woche in New York wird sich Modi am Sonntag in Texas aber noch Rückendeckung von einem mächtigen Freund holen: Nach anfänglicher Skepsis scheint US-Präsident Donald Trump der Kaschmir-Argumentation Modis nun zuzustimmen. Ein Signal ist, dass der Präsident am Sonntag bei der Megaparty für Modi in Houston eine Rede halten wird. 50.000 Menschen werden bei der „Howdy, Modi“-Show samt Rodeo erwartet, fast alle sind US-Bürger indischer Abstammung.
Modis internationale Kaschmir-Botschaft wurde von der indischen Regierung minuziös vorbereitet: Das Leben in der Region kehre zur Normalität zurück, Schulen seien geöffnet, das Internet funktioniere in vielen Teilen Kaschmirs wieder, heißt es.
Vorwürfe, die Aufhebung der Autonomie sei illegal, lässt man nicht gelten: Artikel 370 sei immer nur eine „vorübergehende Verfügung“gewesen, sagte Außenminister Jaishankar. „Damit sollte Jammu und Kaschmir mehr Zeit gegeben werden, sich in den Rest des Landes einzugliedern. Über die Jahre haben wir aber gesehen, dass das von einer kleinen Gruppe von Leuten missbraucht wurde.“Angesichts der Informationssperre ist es allerdings schwer zu beurteilen, was derzeit wirklich in Kaschmir passiert. Ein Journalist, der erst unlängst nach Kaschmir reiste, berichtet von leeren Straßen in Srinagar. „Die Menschen bleiben daheim, sie haben Angst. Viele sind wütend, sehr wütend.“
Beobachter befürchten, dass diese Wut den Separatisten Auftrieb gibt. Indiens Regierung aber setzt auf Zeit. Langfristig hofft man auf eine Beruhigung durch wirtschaftliche Entwicklung. Dass der Kauf von Grundstücken nun auch NichtKaschmiris gestattet ist, werde Investoren anlocken. Der Außenminister ist sicher: „Meine beste Karte gegen Terrorismus ist Entwicklung.“Kritiker sehen in der Öffnung indes eine existenzielle Bedrohung für die muslimische Minderheit.
Modi aber strahlt wie gewohnt Zuversicht aus. Vor seiner US-Reise verkündete er: „Lasst uns ein neues Paradies in Kaschmir aufbauen, umarmt jeden Kaschmiri.“