Ein Bezirksgerichtschef klagt an
Justiz-Notstand. Wie sich der Personalmangel auswirkt und wie man die Situation meistern könnte, erklärt der Vorsteher des Bezirksgerichts Favoriten, Robert Schrott, der „Presse“.
Wien. Robert Schrott ist in Favoriten geboren und in die Schule gegangen. Er weiß, wie der zehnte Bezirk tickt, wie schnell er wächst, und wohin er wächst. „Vor zehn Jahren hatte der Bezirk 173.000 Einwohner. Jetzt sind es 204.000.“Zum Vergleich: In Linz wohnen 206.000 Menschen. Diese Bevölkerungsentwicklung löst bei Schrott gemischte Gefühle aus. Der 63-jährige Richter ist Vorsteher des Bezirksgerichts Favoriten.
Das Gericht, das Schrott seit zwölf Jahren leitet, ist also jedes Jahr für mehr Menschen zuständig. Bekanntlich hat die Politik (auch) der Justiz einen strengen Sparkurs auferlegt. Dieser betrifft vor allem die Kanzlei- und Schreibkräfte. Die Bezirksgerichte leiden als kleinere Einheiten besonders. Selbst streitbare Zeitgenossen wie Schrott sind mittlerweile pessimistisch: „Ich habe keinen Grund für Optimismus.“Und: „Es wird schlechter werden.“Noch schlechter, meint er.
Und all die Leute, die mehr oder minder freiwillig (Kläger in Zivilverfahren), mehr oder minder unfreiwillig (Beklagte in Zivilverfahren) oder gänzlich unfreiwillig (Beschuldigte in Strafverfahren) ins BG Favoriten kommen (müssen)? Wie wirkt sich der personelle Engpass in den Kanzleien auf sie aus? Und wie geht das Gericht damit um? Die erste Antwort des Gerichtsleiters erstaunt. „Ich führe keinen ,Notbetrieb‘!“
Gewaltschutz geht immer vor
Eben dieser negative Begriff macht derzeit die Runde. Gemeint ist, dass einige Bezirksgerichte dazu übergegangen sind, bestimmte Rechtssachen auf die lange Bank zu schieben. Und andere – dringendere – abzuarbeiten.
Eigentlich würden Gerichte immer so arbeiten, erklärt Schrott. „Die Frage, was dringend ist, stellt sich jeden Tag. Natürlich schreibe ich eine einstweilige Verfügung, um jemanden vor Gewalt zu schützen, vorrangig.“Die Klärung der Frage, wer wie viel erbt, müsse dann hintanstehen.
Also kein Notbetrieb. Sondern? „Ich würde es ,Durchg’fretten‘ nennen.“Aus dem Wienerischen übersetzte Verbform: abmühen, plagen.
61 Planstellen für Rechtspfleger, Kanzlei- und Schreibkräfte gibt es derzeit am BG. Und 19,5 Richterplanstellen. Diese Zahlen sind speziell in Favoriten zuletzt gar nicht gesunken (zwischen 2018 und 2021 sollen bundesweit 525 Planstellen beim nicht richterlichen Personal eingespart werden). Hier, im Arbeiterbezirk, werde anders gespart, weiß Schrott. Die Justizverwaltung (an deren Spitze steht der Minister) mache es so: Wo die Arbeit mehr wird, würden keine zusätzlichen Leute eingestellt. Wo die Arbeit gleich bleibt oder weniger wird, würde Personal abgezogen. Eigentlich müsste das BG Favoriten laut – Achtung, Amtsdeutsch! – Personalanforderungsrechnung 21,4 Richterstellen haben. „Aber das geht sich budgetmäßig nicht aus.“
Bei den nicht richterlichen Kräften fürchtet der Vorsteher: „Ende dieses Jahres fehlen uns möglicherweise vier Stellen.“Es zeichne sich ab, dass einige Mitarbeiter den Job wechseln oder sich umschulen lassen. Aber auch jetzt schon gelte: „Ich brauche drei oder vier zusätzliche Kanzleikräfte und einen Rechtspfleger für Außerstreitsachen.“Ein solcher Rechtspfleger entscheidet zum Beispiel, wie viel Unterhalt Eltern dem Kind zahlen müssen.
Die Kanzleikräfte wiederum müssen für jedes Verfahren ein Register (eine Art Kalender) führen, Gebühren eintreiben, Ladungen und Entscheidungen zustellen. Und die Schreibkräfte übertragen die Diktate der Richter in Reinschrift. Am meisten gefordert sind allesamt in Familienrechtssachen. Schrott: „Wenn es um Besuchsrechte, Unterhalt oder Scheidungen geht – das ist sehr emotional.“
Im Übrigen sind Bezirksgerichte im Zivilverfahren für Klagen mit einem Wert von bis zu 15.000 Euro zuständig; im Strafrecht für Delikte, die mit bis zu einem Jahr Haft bedroht sind (Beispiel: Diebstahl).
Konkrete Lösungsvorschläge
„Zu erklären, was eine Ladung bedeutet, was ein Zahlungsbefehl bedeutet, kann Schwerstarbeit sein, wenn die Leute, die zu uns in die Kanzlei kommen, nur Serbisch, Türkisch oder Arabisch sprechen.“Dies sei gar nicht selten. Für Gerichtsverhandlungen gelte: „Wir brauchen immer mehr Dolmetscher. Je mehr Dolmetscher, desto längere Verfahren.“
Dabei seien die Gerichtsgebühren sehr hoch. „Wenn ich schon so viel zahle, dann will ich nicht lange warten. Die Leute müssen aber lange warten. Es wird also an den Menschen gespart.“
Schrott hat Vorschläge zur Entlastung auf Lager: Beglaubigungen, etwa das Bestätigen der Richtigkeit einer Urkunde, könnte ein bestimmtes – dafür ausgestattetes – Bezirksgericht Wien-weit für alle erledigen. Ebenso könnte ein zentral agierender Rechnungsführer (dieser kassiert zum Beispiel Vorschüsse für Dolmetschkosten) installiert werden. Und: „Ein Tag ohne Parteienverkehr würde uns massiv entlasten.“Nachsatz: „Im Finanzministerium gibt es das.“