Warum Gewaltschutz nicht (effizient genug) greift
Frauen. Nächste Woche wird ein neues Gesetz beschlossen, an den Missständen ändere dieses nichts, so die Kritik.
Wien. Kommende Woche wollen ÖVP und FPÖ im Nationalrat ein Gewaltschutzgesetz beschließen: jenes eilig geschnürte Paket, das etwa Strafverschärfungen bei Vergewaltigung oder eine Anzeigepflicht für medizinische Berufe beinhaltet – und für viel Kritik von Opferschutzeinrichtungen oder auch der Richtervereinigung sorgt.
Rosa Logar, die Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt, kritisiert das Gesetz als undurchdacht, Gewalt sollte kein Wahlkampfthema sein. Schließlich müsse man bei anderen Missständen ansetzen.
Notstand bei der Betreuung
Für Frauen, die von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffen sind, gibt es mehrere Anlaufstellen, aber alle sind überlastet. 2018 wurden in der Wiener Interventionsstelle 5816 Frauen und Kinder betreut. Pro Opfer stehen 5,5 Stunden Beratung zur Verfügung, das reiche für die Soforthilfe in Akutsituationen, aber nicht für weiterführende Betreuung bzw. Begleitung während eines Prozesses. Logar kritisiert einen „Notstand“, Opferschutzstellen könnten Standards nicht erfüllen, zu deren Einhaltung sich Österreich in der IstanbulKonvention verpflichtet hätte.
Weniger Betretungsverbote
Mit dem neuen Gesetz soll der Opferschutz verbessert werden, aber Expertinnen kritisieren, dass schon bestehende Mittel seltener genutzt werden. 2018 wurde in Wien 388-mal seltener ein polizeiliches Betretungsverbot ausgesprochen als 2017 (damals 3098 Fälle).
Warum, das wisse man nicht, „es liegt aber sicher nicht an einem Rückgang häuslicher Gewalt“, sagt Logar. Überhaupt sei die Kooperation mit der – da oft sehr bemühten, wie sie betont – Polizei schwieriger geworden. Vor allem, seit das Innenministerium das Projekt der Fallkonferenzen, in denen Hochrisikofälle besprochen werden, 2018 gestoppt hat. Diese Fallkonferenzen kommen mit dem neuen Gesetz wieder. Allerdings kann diese nur mehr die Polizei einberufen, was Logar „bestürzt“habe.
Opferrechte vor Gericht
Juristin Sonja Aziz, die Gewaltopfer vor Gericht begleitet, sieht auch da Mängel. Etwa bei der kontradiktorischen Befragung. Diese Art der Vernehmung des Opfers, die auf Video aufgezeichnet und in einen Nebenraum übertragen wird, in dem sich der mutmaßliche Täter aufhält, ist in der Strafprozessordnung geregelt. In der Praxis, so Aziz, kann das auf dem Land und auch in Wien oft nicht gewährleistet werden, weil Technik oder Nebenräume nicht zur Verfügung stehen und Opfer somit in Anwesenheit der Angeklagten aussagen müssen. Auch das widerspreche der Istanbul-Konvention. Sie berichtet auch, dass Richter oder Staatsanwälte oft keinerlei Fachwissen über das Verhalten von Gewaltopfern oder Mechanismen häuslicher und sexueller Gewalt hätten. „Viele Opfer kommen raus und sagen: ,Das mache ich nie wieder.‘ Hier müsste man in der Ausbildung ansetzen“, sagt Logar. Höhere Strafen hingegen würden Opfern nicht helfen.
Kaum Verurteilungen
Höhere Strafen bringen laut Expertinnen auch aus dem Grund nichts, da sexuelle oder häusliche Gewalt (wenn überhaupt angezeigt) selten zu Strafen führt. Laut einer aktuellen Studie liegt die Quote der Verurteilungen nach Anzeigen wegen Vergewaltigung bei 14 Prozent. Auch bei häuslicher Gewalt würden Verfahren teilweise binnen zweier Wochen eingestellt, ohne dass Beweismittel gesichert oder Zeugen befragt würden, berichtet Aziz, die den Grund dafür in der massiven Überlastung der Justiz sieht. (cim)