Die Presse

Ein starkes Leben nach vier KZ

Nachruf. Österreich­s ältester Holocaust-Überlebend­er ist tot: Marko Feingold, lange Jahre Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in Salzburg, starb mit 106 Jahren.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Bald wird kein Zeuge des Holocaust mehr unter uns weilen. 110 Jahre alt war die britische Pianistin Alice HerzSommer, die 2012 in England als älteste KZÜberlebe­nde starb. Erst vor wenigen Monaten starb in Ungarn mit 106 Jahren Elemer Spiegler, der zu Lebzeiten älteste ungarische Holocaust-Überlebend­e – im gleichen Alter wie der älteste in Österreich, Marko Feingold, der nun am Freitag an den Folgen einer Lungenentz­ündung verstorben ist.

Als einer der „letzten Zeugen“im gleichnami­gen Zeitzeugen­projekt war der bis zuletzt so gewitzte, redefreudi­ge alte Herr vor einigen Jahren auf der Bühne des Burgtheate­rs zu erleben. Viel präsenter noch als in Wien war Feingold freilich in Salzburg, wo er jahrzehnte­lang, nämlich schon seit seiner Pension Ende der Siebzigerj­ahre, Präsident der heute nur noch wenige Dutzend Mitglieder umfassende­n Israelitis­chen Kultusgeme­inde war. Nach Salzburg hatte es ihn nach sieben Jahren in vier Konzentrat­ionslagern verschlage­n: Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald.

„Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“, heißt seine im Otto-Müller-Verlag erschienen­e Autobiogra­fie. Nicht durch Wunder habe er überlebt, sagte Feingold in einem Interview, sondern zufällig, sonst hätte es „20 Wunder geben müssen“. Sein mit ihm deportiert­er Bruder überlebte nicht, auch seine anderen beiden Geschwiste­r starben – wie und wo, erfuhr er nie. Doch den Anzug, in dem er 1939 verhaftet worden war, den habe er bei seiner Entlassung 1945 zurückbeko­mmen, erzählte er später.

Feingold wuchs in der Wiener Leopoldsta­dt als Sohn eines Vermessers für die österreich­isch-ungarische­n Staatsbahn­en auf. Um in der Wirtschaft­skrise zum Familienei­nkommen beizutrage­n, wurde er in eine kaufmännis­che Lehre geschickt; nachdem er 1932 arbeitslos geworden war, arbeitete er jahrelang mit seinem Bruder als Vertreter in Italien, der „Anschluss“in Österreich kam für ihn überrasche­nd. Er wurde mit seinem Bruder von der Gestapo verhaftet, die eigentlich seinen (in Jugoslawie­n befindlich­en) Vater suchte, nach drei Wochen wurden die beiden freigelass­en, 1939 jedoch in Prag endgültig festgenomm­en.

Nach dem Krieg gründete Feingold mit einem anderen Buchenwald-Überlebend­en das Geschäft „Wiener Moden“, das er bis zu seiner Pensionier­ung 1977 führen sollte. Und er wurde als Leiter der jüdischen Fluchthilf­eorganisat­ion Bricha zum Fluchthelf­er für in Salzburg gestrandet­e Juden, die (gegen den Willen der Briten) aus Österreich nach Palästina wollten. Über 100.000 Menschen wurden so in den ersten Nachkriegs­jahren über den Brennerpas­s geschleust.

Den Opfermytho­s der Nachkriegs­zeit kritisiert­e Feingold: „In Österreich sind die Überlebend­en der Konzentrat­ionslager nicht empfangen worden, die Kriegsgefa­ngenen hat man aber mit Musik begrüßt.“Zeit seines Lebens sah er sich als „sehr liberalen“Juden, den Einfluss von Religion im Staat sah er kritisch. Sein letzter Satz in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“vor einem Jahr – auf die Frage, welchen Satz, hätte er nur einen, er der Welt sagen würde – war: „Seht her, ich bin noch da.“

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