Eine Viertelstunde lang Märchen
Theater an der Wien. Nach Staatsoper, Volksoper und dem Stadttheater Klagenfurt schwimmt Dvoˇr´aks Nixe nun wieder in Wien – ganz entzaubert in einem Schwimmbad.
Kurz vor Schluss des Mittelakts beutelt es den Prinzen vor Angst und Kälte. Die Schönheit der Nymphe Rusalka hatte ihn gefesselt bis zur Raserei. Doch das Mensch gewordene Feenwesen, ohne Seele, ohne Sprache, wird rätselhafter mit jedem Augenblick. Angestachelt von der „fremden Fürstin“, einer Menschenfrau aus Fleisch und Blut, verstößt der Prinz seine geheimnisvolle Braut. Hier beginnt, eineinhalb Stunden zu spät, Amelie´ Niermeyers Inszenierung. Hier und in den ersten Szenen des dritten Aufzugs nimmt sie die Herausforderung von Anton´ın Dvoˇraks´ Oper an, die von der Sehnsucht nach dem Übersinnlichen handelt – und von der Angst vor ihm.
Heger und Küchenjunge (Markus Butter und Juliette Mars) spielen das zu Beginn des dritten Aufzugs noch einmal komödiantisch aus, wenn sie sich vor Spukgestalten zu fürchten beginnen. Was zuvor zu sehen war, leider aber auch die Szene danach, überspielt den Konflikt, um den es geht, mit modischem Regie-Schnickschnack inklusive der notorischen Videoprojektionen.
Es ist freilich schwer, im fürstlichen Hallenbad, das Christian Schmidt entworfen hat, Illusionen jener magischen Überwelt zu entwerfen, die Wassermänner, Hexen und liebreizende Nixen beherbergt. Jenen Zauber, mit dem Dvorˇaks´ Fin-de-si`ecle-Stück liebenswert die moderne Seelenkunde seiner Ära ins Märchenhafte verwandelt.
Wenn auch die Vegetation mehr und mehr das Schwimmbad überwuchert: Die Akteure bewegen sich doch allesamt wie höchst neuzeitlich aufgeklärte, jeglicher Irrealität abholde Zeitgenossen. Rusalka und der Prinz haben, um auch diesen letzten Rest von Geheimnis zu verspielen, gleich nach der Menschwerdung der schönen Fee ihre erste Liebesnacht konsumiert.
Von Dvorˇaks´ anrührendem Rätselspiel bleibt diesmal aber auch musikalisch wenig übrig. Der Arnold Schönberg Chor, der als Akteur immer wieder regungslos verharren muss, singt zwar famos. Aber das Grenzgängertum der harmonisch und instrumentationstechnisch kühnen, wenn auch tief romantisch getönten Partitur lotet David Afkham am Pult des RSO Wien nicht aus.
Mochten die ersten Apologeten des Werks sogar von einem spezifischen „Rusalka-Impressionismus“sprechen: Im Theater an der Wien ist davon nichts zu vernehmen. Einige exzellente Bläsersoli, gewiss. Doch die Klangmixturen wirken zufällig, unraffiniert, als wollte der Dirigent den illusionslosen Stil der Inszenierung musikalisch reflektieren. Schwerer wiegt, dass Afkham kein guter Sängerbegleiter ist. Der symphonische Fluss strömt an diesem Abend, wenn er nicht gerade an irgendwelchen Ecken und Kanten ins Stocken gerät, eher unter den Vokallinien hindurch, als dass er sie trüge. Und er schwillt allzu oft zu einer auch für kräftigere Stimmen nur schwer zu durchdringenden Lautstärke an.
Wenig Probleme hat damit Günther Groissböcks stattlicher Bass. Orchestrale Attacken sind die einzigen Anfeindungen durch menschliche Bosheit, die diesem Wassermann nichts anhaben können.
Eher schon setzen die Klangwellen Maria Bengtssons weichem, in allen Lagen ausgeglichen Soprantimbre zu. Sie hätte doch, ungehindert, genügend Potenzial für alle Facetten der Partie, nicht nur für die Lyrismen des „Lieds an den Mond“. Man hört es in den leidenschaftlich-verzweifelten Ausbrüchen im Mittelakt und im Finale. Ladislav Elgrs Prinz hingegen bringt kaum tenorale Strahlkraft mit. Das Timbre ist brüchig, es mangelt an dynamischer und farblicher Wandlungsfähigkeit, sodass namentlich der dritte Akt für ihn zum vokalen Spießrutenlauf werden muss. Aber Elgr ist bereit, nach der ersten Liebesnacht mit Rusalka unter den Augen des fürstlichen Putztrupps splitternackt über die Bühne zu laufen. Das ist vielleicht auch ein Kriterium.
Von den beiden tieferen Damenstimmen klingt Kate Aldrichs fremde Fürstin ebenso verbraucht wie die Jezibabaˇ von Natascha Petrinsky, die immerhin mit grob akzentuierter Tiefe ihr Hexendasein akustisch glaubwürdig zu belegen versucht.
Solistisch etwas scharfstimmig, aber als Terzett programmgemäß frech und munter tönen die Nixen: Ilona Revolskaya, Mirella Hagen und Tatiana Kuryatnikova. Sie sind überdies ebenso programmgemäß hübsch anzuschauen. Eine Wohltat in der tristen Schwimmbadarchitektur. Wie der riesige Kristallluster, der des Prinzen Auftritte erhellt . Wenn das keine Dramaturgie ist!