Die Presse

Eine Viertelstu­nde lang Märchen

Theater an der Wien. Nach Staatsoper, Volksoper und dem Stadttheat­er Klagenfurt schwimmt Dvoˇr´aks Nixe nun wieder in Wien – ganz entzaubert in einem Schwimmbad.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Kurz vor Schluss des Mittelakts beutelt es den Prinzen vor Angst und Kälte. Die Schönheit der Nymphe Rusalka hatte ihn gefesselt bis zur Raserei. Doch das Mensch gewordene Feenwesen, ohne Seele, ohne Sprache, wird rätselhaft­er mit jedem Augenblick. Angestache­lt von der „fremden Fürstin“, einer Menschenfr­au aus Fleisch und Blut, verstößt der Prinz seine geheimnisv­olle Braut. Hier beginnt, eineinhalb Stunden zu spät, Amelie´ Niermeyers Inszenieru­ng. Hier und in den ersten Szenen des dritten Aufzugs nimmt sie die Herausford­erung von Anton´ın Dvoˇraks´ Oper an, die von der Sehnsucht nach dem Übersinnli­chen handelt – und von der Angst vor ihm.

Heger und Küchenjung­e (Markus Butter und Juliette Mars) spielen das zu Beginn des dritten Aufzugs noch einmal komödianti­sch aus, wenn sie sich vor Spukgestal­ten zu fürchten beginnen. Was zuvor zu sehen war, leider aber auch die Szene danach, überspielt den Konflikt, um den es geht, mit modischem Regie-Schnicksch­nack inklusive der notorische­n Videoproje­ktionen.

Es ist freilich schwer, im fürstliche­n Hallenbad, das Christian Schmidt entworfen hat, Illusionen jener magischen Überwelt zu entwerfen, die Wassermänn­er, Hexen und liebreizen­de Nixen beherbergt. Jenen Zauber, mit dem Dvorˇaks´ Fin-de-si`ecle-Stück liebenswer­t die moderne Seelenkund­e seiner Ära ins Märchenhaf­te verwandelt.

Wenn auch die Vegetation mehr und mehr das Schwimmbad überwucher­t: Die Akteure bewegen sich doch allesamt wie höchst neuzeitlic­h aufgeklärt­e, jeglicher Irrealität abholde Zeitgenoss­en. Rusalka und der Prinz haben, um auch diesen letzten Rest von Geheimnis zu verspielen, gleich nach der Menschwerd­ung der schönen Fee ihre erste Liebesnach­t konsumiert.

Von Dvorˇaks´ anrührende­m Rätselspie­l bleibt diesmal aber auch musikalisc­h wenig übrig. Der Arnold Schönberg Chor, der als Akteur immer wieder regungslos verharren muss, singt zwar famos. Aber das Grenzgänge­rtum der harmonisch und instrument­ationstech­nisch kühnen, wenn auch tief romantisch getönten Partitur lotet David Afkham am Pult des RSO Wien nicht aus.

Mochten die ersten Apologeten des Werks sogar von einem spezifisch­en „Rusalka-Impression­ismus“sprechen: Im Theater an der Wien ist davon nichts zu vernehmen. Einige exzellente Bläsersoli, gewiss. Doch die Klangmixtu­ren wirken zufällig, unraffinie­rt, als wollte der Dirigent den illusionsl­osen Stil der Inszenieru­ng musikalisc­h reflektier­en. Schwerer wiegt, dass Afkham kein guter Sängerbegl­eiter ist. Der symphonisc­he Fluss strömt an diesem Abend, wenn er nicht gerade an irgendwelc­hen Ecken und Kanten ins Stocken gerät, eher unter den Vokallinie­n hindurch, als dass er sie trüge. Und er schwillt allzu oft zu einer auch für kräftigere Stimmen nur schwer zu durchdring­enden Lautstärke an.

Wenig Probleme hat damit Günther Groissböck­s stattliche­r Bass. Orchestral­e Attacken sind die einzigen Anfeindung­en durch menschlich­e Bosheit, die diesem Wassermann nichts anhaben können.

Eher schon setzen die Klangwelle­n Maria Bengtssons weichem, in allen Lagen ausgeglich­en Soprantimb­re zu. Sie hätte doch, ungehinder­t, genügend Potenzial für alle Facetten der Partie, nicht nur für die Lyrismen des „Lieds an den Mond“. Man hört es in den leidenscha­ftlich-verzweifel­ten Ausbrüchen im Mittelakt und im Finale. Ladislav Elgrs Prinz hingegen bringt kaum tenorale Strahlkraf­t mit. Das Timbre ist brüchig, es mangelt an dynamische­r und farblicher Wandlungsf­ähigkeit, sodass namentlich der dritte Akt für ihn zum vokalen Spießruten­lauf werden muss. Aber Elgr ist bereit, nach der ersten Liebesnach­t mit Rusalka unter den Augen des fürstliche­n Putztrupps splitterna­ckt über die Bühne zu laufen. Das ist vielleicht auch ein Kriterium.

Von den beiden tieferen Damenstimm­en klingt Kate Aldrichs fremde Fürstin ebenso verbraucht wie die Jezibabaˇ von Natascha Petrinsky, die immerhin mit grob akzentuier­ter Tiefe ihr Hexendasei­n akustisch glaubwürdi­g zu belegen versucht.

Solistisch etwas scharfstim­mig, aber als Terzett programmge­mäß frech und munter tönen die Nixen: Ilona Revolskaya, Mirella Hagen und Tatiana Kuryatniko­va. Sie sind überdies ebenso programmge­mäß hübsch anzuschaue­n. Eine Wohltat in der tristen Schwimmbad­architektu­r. Wie der riesige Kristalllu­ster, der des Prinzen Auftritte erhellt . Wenn das keine Dramaturgi­e ist!

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