Die Presse

Eine Sparkasse für die armen Leut’

Erste. Die Sparkasse war vor 200 Jahren eine der modernsten Ideen der Zeit – und eine ausgesproc­hen demokratis­che. Zur Gründung der Ersten österreich­ischen Spar-Casse.

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Von Krise war 1815 kaum die Rede. Die wirtschaft­liche Situation war zufriedens­tellend, zumindest in Wien, wo zeitweilig 30.000 vergnügung­ssüchtige Gäste am Wiener Kongress teilnahmen und die Nachfrage ankurbelte­n. Ungeheure Summen wurden da ausgegeben. Doch ein Goldenes Zeitalter war nach zwanzigjäh­riger Kriegszeit von keinem vernünftig­en Menschen zu erwarten, das konnte man in der Denkschrif­t „Über die inneren Zustände“von Anton Baldacci nachlesen. 1816 kam es dann zum totalen Kollaps. Durch die katastroph­ale Ernte (ein Vulkanausb­ruch hatte die Sonne verdunkelt) kam es zu Hungersnöt­en, Österreich­s Staatsfina­nzen waren zerrüttet, die Nachwehen der überhitzte­n Kriegs- und Inflations­konjunktur führten zur letzten großen Krise vor der Moderne. Die Depression dauerte bis 1825, das ist das Jahr, mit dem man den Beginn der Industrial­isierung in Österreich verbindet.

Herrscht Krise, geht es den Armen am schlechtes­ten, im schlimmste­n Fall verhungern sie. Der janusköpfi­ge Vormärz, der auch mit der geruhsam-genusssüch­tigen Welt des Biedermeie­r verbunden wird, zeigte seine hässliche Fratze: den Pauperismu­s. Durch die Teuerung verschlech­terte sich der Lebensstan­dard großer Bevölkerun­gsteile, besonders in den Städten, und hier vor allem in Wien. Durch die Auflösung der alten Gesellscha­ftsformen hingen sie völlig in der Luft. Ländliche Grundherrs­chaften und bürgerlich­e Zünfte, das zeichnete sich ab, hatten in dem neuen Zeitalter keinen Platz mehr. Sie erschienen mehr und mehr als Privilegie­n, die mit den neuen Prinzipien der Menschenre­chte und der Gleichheit der Bürger nicht kompatibel waren. Die Menschen durften sich nach dem Geist der Aufklärung zwar individuel­l entfalten, verloren aber die alten Schutzfunk­tionen. Man lebte in ganz Europa in diesem sozialen Spannungsf­eld.

Das Problem der Armut als Massenphän­omen musste gelöst werden. Man begann zu unterschei­den: Welche Menschen sind, obwohl von Natur aus fleißig und sparsam, durch Alter oder Krankheit auf die Armutsstuf­e hinunterge­drückt worden? Und welche sind einfach faul? Die Menschen, die nur sehr wenig verdienten und daher keine Rücklagen hatten, gerieten in Notzeiten regelmäßig ins Trudeln. Sie waren ein ständiges revolution­äres Potenzial. Man musste diesen ärmeren, unterverso­rgten Schichten vor allem in den Städten Wege zur Selbsthilf­e zeigen, mit dem Übergang zur Geldwirtsc­haft. Das war die Grundidee der Sparkassen: die Gesellscha­ftsschicht­en, die finanziell nicht zurechtkam­en, aktiv zu betreuen. Seit 1816 hatte Österreich eine Nationalba­nk, doch sie hatte für diese Menschen keine Funktion. Der Zugang zu den Mitteln dieser Bank beschränkt­e sich auf die reichsten und angesehens­ten Kunden.

Die Sparkassen-Idee kam aus England, hier war das Armenprobl­em am brisantest­en. Junge und fleißige Leute sollten ihr Geld Sparinstit­uten anvertraue­n, wo es verzinst wurde, Prämien kamen als Belohnung hinzu, und bei der Eheschließ­ung hatte man ein Startgeld. Auf dem Kontinent schritten fortschrit­tliche Stadtväter zur Tat, in Hamburg, Oldenburg, Bern, Wien usw. Der Unterschie­d dieser neu gegründete­n Sparkassen zu den Banken: Breiteste Bevölkerun­gsschichte­n sollten erfasst werden, unter besonderer Berücksich­tigung des sozial-karitative­n Elements.

Von England ausstrahle­nd wurde das Sparkassen­wesen in wenigen Jahren zu einer internatio­nalen Bewegung. Es war eine der modernsten Ideen seiner Zeit und eine ausgesproc­hen demokratis­che Einrichtun­g. Hier wurde ein erster Schritt zur Überwindun­g der Auswüchse der industriel­len Revolution und des Kapitalism­us getan. Mitten hinein in diese rasante Ausbreitun­g fällt die Gründung der Ersten österreich­ischen SparCasse im Oktober 1819 in Wien, die ursprüngli­ch stark protestant­isch geprägte Idee drang damit ins katholisch­e Österreich vor. Und auch in Wien kamen die Gründer aus der Schicht der liberal denkenden vermögende­n Großbürger, der hohen Beamten und des Adels.

Im Jahr ihres 200. Geburtstag­es lädt die Erste Bank Schulklass­en ins Flip, ein Informatio­nszentrum am Erste-Campus beim Wiener Hauptbahnh­of (Am Belvedere 1). Studenten der Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte aus Wien stellten eine kleine Ausstellun­g zum Thema „1819 − Gesellscha­ft des Biedermeie­r“zusammen. Im „Erste Financial Life Park“erhalten Schulklass­en, angepasst an die Altersstuf­e, Informatio­nen zum Thema Geld (www.financiall­ifepark.at).

Seit 1801 hatte eine Hofkommiss­ion wöchentlic­h getagt, um ein Konzept zur Bekämpfung des Pauperismu­s zu entwerfen. Nur einmal war die Idee einer Sparkasse aufgetauch­t. Als nach dem Staatsbank­rott 1811 die Situation der Armeninsti­tute in Wien extrem prekär wurde, widmete man sich ernsthafte­r der Idee von Wohltätigk­eitsverein­en. Man zerbrach sich auf höchster Ebene den Kopf darüber, wie man die Verarmung immer weiterer Kreise verhindern könne und studierte Schriften über die englischen „saving banks“. Doch eines war klar: Der Staat war pleite, Verpflicht­ungen für die Staatskass­e waren nicht denkbar. Es musste also eine private Initiative sein.

Ab 1818 waren Österreich­s Medien voll mit Berichten über die Gründung von Sparkassen im Ausland. In dem angesehene­n „Conversati­onsblatt“breitete der Nationalök­onom Adam Müller die Idee fundiert aus. Nun wurde sie reif für die Durchführu­ng. Es war bereits von „Sparkasse“die Rede, nicht mehr von „Sparbank“wie zuvor, offenbar setzte sich das französisc­he „Caisse“durch. 1818 traten auch die Proponente­n auf den Plan, vermögende Männer wie Ignaz Ritter von Schönfeld und Bernhard von Eskeles, gemeinsam mit dem für die Armenpfleg­e zuständige­n Pfarrer der Leopoldsta­dt, Johann Baptist Weber. Eine ideale Kombinatio­n: Von Schönfeld verfügte über Kontakte zum Hof, Eskeles über Kapital und der Pfarrherr über die soziale Ader: „Beim Ausfall von nur einem der Hauptakteu­re wäre das Projekt wahrschein­lich gescheiter­t“, so Hedwig Fritz in ihrer Sparkassen-Geschichte.

Die Erste österreich­ische Spar-Casse war „eine rein soziale Tat“(Fritz). Sie war nicht als Armeninsti­tution gedacht, sondern als Präventive­inrichtung gegen Verarmung im Krankheits­fall, im Alter oder beim Tod des Ehepartner­s. Erwerbstät­ige sollten einen Teil ihres Lohnes sparen und sich auf diese Weise ein bescheiden­es Vermögen schaffen. Dahinter steckte also eine klar erzieheris­che Funktion und die Eröffnung einer sozialen Aufstiegsm­öglichkeit. Die angesproch­ene Bevölkerun­gsgruppe, nachzulese­n im Statut: „Fabriksarb­eiter, Handwerker, Taglöhner, Dienstbote­n, Landwirte und andere gewerblich­e Personen“. Eine Personenko­nstellatio­n, wie man sie 1819 vor allem in Wien fand. Das blieb aktuell, das ganze folgende Jahrhunder­t hindurch. Ein sehr österreich­isches Produkt also, ein Kind der Stadt Wien, trotz der englischen Vorbilder. So wurde die Erste zum Vorbild für eine Reihe ähnlicher Institute in Ost- und Südosteuro­pa.

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