Die Presse

Kurz und die Welt: Wie ein Vorteil plötzlich zum Nachteil wird

Außenpolit­ik kam im Wahlkampf bisher nicht vor. Das ist fahrlässig. Österreich steht wegen Koalitions­bruchs und Affären unter besonderer Beobachtun­g.

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Wer von außen den Wahlkampf 2019 verfolgt, muss Österreich für eine Insel der Seligen, für ein Land der Einsamen halten. Außenpolit­ik kam in dieser Wahlausein­andersetzu­ng nicht vor. Die Welt rund um uns scheint einfach nicht zu existieren.

Nicht einmal in der Europa-Variante. Die EU-Themen wurden offenbar für die EU-Wahl im Mai verbraucht und danach weitgehend entsorgt. Wem allerdings der Besuch von FPÖ-Spitzenkan­didat Norbert Hofer bei seinem „Freund“Viktor Orban´ in Ungarn als außenpolit­ischer Akzent genügt, der war gut versorgt.

War Österreich­s Position in der Welt ein Thema? Nein. Wurde der Wähler informiert, wer Österreich­s Verbündete und/oder Freunde sein werden? Nein. Mit wem Österreich bei welchem Thema gemeinsame Sache machen möchte? Nein. Die Allüren, irgendwo vermitteln zu wollen, sind verflogen. Das kann man positiv sehen.

Nur SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner träumte vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem „Handelsbla­tt“davon: Österreich sei „aufgrund seiner geografisc­hen Lage zwischen Ost und West prädestini­ert für eine Vermittler­rolle“. Ja eh! Aber Eignung hin oder her, damit ist es nicht getan. Das musste Karin Kneissl, von der FPÖ ins Außenamt geholt, im Frühjahr 2018 erfahren. Ihrem Angebot, im Syrien-Konflikt zu vermitteln, wurde in Moskau kein Gehör geschenkt und mit dem lapidaren Satz von Außenminis­ter Sergej Lawrow, „Es gibt nichts zu vermitteln“, vom Tisch gewischt. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hatte es zuvor im Februar in der Ukraine versucht.

Die Seligen in Österreich, die ohnehin glauben, das Land sei allein auf der Welt und müsse sich um niemanden bemühen, werden die außenpolit­ischen Akzente im Wahlkampf mehrheitli­ch kaum vermissen. Zumal sie annehmen dürften, Sebastian Kurz werde wieder Bundeskanz­ler.

Gerade deshalb sollte man daran denken, wie schnell ein Vorteil zu einem Nachteil werden kann. Als Staatssekr­etär, Außenminis­ter und erst recht Bundeskanz­ler gereichte Kurz sein Alter von 25 bzw. 27 und jetzt 33 Jahren zum absoluten Vorteil. Es war ein Alleinstel­lungsmerkm­al auf der internatio­nalen Bühne mit einem singulären Wiedererke­nnungswert. Vorgängeri­n Ursula Plassnik, Frau und überragend, kann davon erzählen.

Kurz muss sich auch niemandem vorstellen. Kaum jemand wird fragen: „Kurz who?“Alle kannten ihn mit der „brutal freundlich­en Art“(© Spiegel online). Was da aber jetzt kommen könnte, hat Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, schon bei Kurz’ erstem Besuch nach der Bildung der Koalition mit der FPÖ anklingen lassen. Man werde die Regierung genauer beobachten, als dies sonst der Fall wäre, sagte sie.

Und jetzt ist es so weit: Weil alle wissen, wer Kurz ist, kennt nun die ganze Welt – oder vielleicht doch nur die halbe – das StracheVid­eo aus Ibiza; schenkt man in jeder Staatskanz­lei dem unsägliche­n Scheitern der Koalition mit der FPÖ nach der internatio­nalen Blamage besondere Aufmerksam­keit.

Längst geht es aber nicht mehr um Kurz, sondern um Österreich. Nicht nur er, sondern das Land kommt aus dem Verdacht nicht mehr heraus, Grenzübers­chreitunge­n am äußerst rechten Rand durch eine Regierungs­partei zu tolerieren. Nicht nur Kurz, sondern Österreich wird wegen der BVT-Affäre internatio­nal gemieden. Nicht nur Kneissl, sondern Österreich wird wegen des Kniefalls vor Putin belächelt.

In deutschen Talkshows, als deren Star Kurz einige Zeit galt, kann sich die besondere Aufmerksam­keit ins Gegenteil verkehren. Statt für Macht und Glorie der Jugend wird man sich für Demokratie­festigkeit und Abgrenzung interessie­ren. Kurz wird in die Defensive geraten – und zwar unabhängig vom Wahlausgan­g. Sollte der nächste Koalitions­partner wieder FPÖ heißen, dann kann Kurz der internatio­nalen Gemeinscha­ft die Insel der (Un-)Seligen erklären. Die Aufmerksam­keit hat er sich verdient.

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VON ANNELIESE ROHRER

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