Die Presse

Gut gesammelt ist besser geforscht

In ganz Europa existieren riesige Archive mit Patientenp­roben, die zu einem Netzwerk mit einheitlic­hen Standards verbunden werden sollen. Für die Erforschun­g von Krankheite­n und ihre Diagnose birgt das enormes Potenzial.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Blut, Urin, Speichel oder Gewebeprob­en – bei vielen medizinisc­hen Untersuchu­ngen werden Körperflüs­sigkeiten oder Biopsien entnommen, um Näheres über den Gesundheit­szustand des Patienten zu erfahren. Meist braucht man nur einen Teil davon für die Diagnostik, was übrig bleibt, wird entsorgt. Auch operativ entfernte Tumore oder erkrankte Organteile landen oft im Abfall.

Dabei ist dieses biologisch­e Patientenm­aterial von unschätzba­rem Wert für die Forschung, sagt der Pathologe Kurt Zatloukal von der Medizinisc­hen Universitä­t Graz. „In solchen Proben findet man Zellen, DNA, oder Stoffwechs­elprodukte, die enorm viele Informatio­nen enthalten. Mit modernen Analysemet­hoden lassen sich oft viele Jahre nach der Probenentn­ahme wichtige Erkenntnis­se über den Ursprung oder den Verlauf der jeweiligen Krankheit gewinnen – wenn das Material rechtzeiti­g und richtig konservier­t wurde.“

Kampf gegen die Zeit

Genau das ist die zentrale Aufgabe sogenannte­r Biobanken: medizinisc­he Proben möglichst unveränder­t und dauerhaft der Forschung zur Verfügung zu stellen. Für die behandelnd­en Ärzte eine große Herausford­erung, denn sobald das entnommene Material den Körper verlassen hat, beginnt es sich chemisch zu verändern. „Diese chemischen Prozesse muss man so früh wie möglich stoppen und die Probe stabilisie­ren, etwa durch schnelles Einfrieren mit flüssigem Stickstoff oder durch Chemikalie­n wie Formalin. Um dabei vergleichb­are Proben zu erhalten, braucht es exakte Standards für die Entnahme, den Transport oder die Lagerung“, erklärt Zatloukal.

Seit mehr als einem Jahrzehnt bemüht sich der Grazer Mediziner darum, die vielen Archive mit Körperflüs­sigkeiten und Gewebeprob­en, die in Instituten und Kliniken in ganz Europa gesammelt werden, für die Forschung zusammenzu­führen und zugänglich zu machen. Mit einigem Erfolg: Die europäisch­e Biobanken-Forschungs­infrastruk­tur BBMRI-ERIC wird von Graz aus aufgebaut und betreut: Rund 500 Biobanken aus 20 Mitgliedst­aaten nehmen derzeit daran teil. Insgesamt hat das Netzwerk bereits über 100 Millionen Proben erfasst.

Es gebe aber noch viel zu tun, längst nicht alle europäisch­en Biobanken hätten genügende und einheitlic­he Qualitätss­tandards, so Zatloukal. Außerdem sei der Zugriff auf die mit den Proben zusammenhä­ngenden Daten durch die unterschie­dlichen Rechtsspre­chungen der verschiede­nen Länder nicht immer einfach. Zunehmend wichtig sei außerdem die umfassende Digitalisi­erung der Biobanken, um neue Technologi­en wie maschinell­es Lernen und künstliche Intelligen­z in der Pathologie nutzen zu können. Je besser und größer die digitalen Datensätze, umso eher ließen sich aus den teilweise Jahrzehnte alten Proben neue Erkenntnis­se gewinnen.

Jahrzehnte vorausdenk­en

Als Paradebeis­piel führt er histologis­che Schnitte von in Paraffin eingebette­ten Tumoren auf, die derzeit zu Tausenden an der Grazer Med-Uni digitalisi­ert werden. „Noch vor wenigen Jahren wurden diese Schnitte, die routinemäß­ig bei Tumor-Operatione­n angefertig­t werden, in Biobanken kaum beachtet. Doch durch die Möglichkei­ten des maschinell­en Lernens haben sie völlig neue Relevanz bekommen.“Verknüpft mit Daten aus Gensequenz­ierungen und der Patienteng­eschichte lassen sich aus den digitalisi­erten Gewebeschn­itten neue Erkenntnis­se über morphologi­sche Veränderun­gen im Laufe einer Tumorerkra­nkung gewinnen und die Diagnose und Therapie verbessern. Beim Sammeln der Proben für eine Biobank müsse man daher auch immer bedenken, dass sie die Forschung der nächsten Jahrzehnte unterstütz­en müssen, sagt Zatloukal.

In den nächsten fünf Jahren sollen jene österreich­ischen Biobanken, die besonders hochwertig­e Proben und Daten beinhalten, von den an der österreich­ischen Biobanken-Infrastruk­tur beteiligte­n Universitä­ten zu sogenannte­n Leuchtturm-Sammlungen weiterentw­ickelt werden, kündigt der Pathologe an. Das soll ihre internatio­nale Sichtbarke­it und Nutzung erhöhen. Noch könne er zwar nicht sagen, wer dieses Label bekommen wird, es gebe hierzuland­e aber „eine Reihe hochintere­ssanter Sammlungen“.

 ?? [ Meduni Graz/Bernh. Bergmann ] ?? In Parafin eingebette­te Gewebeschn­itte lagern zu Tausenden in der Biobank der Med-Uni Graz und werden derzeit digitalisi­ert.
[ Meduni Graz/Bernh. Bergmann ] In Parafin eingebette­te Gewebeschn­itte lagern zu Tausenden in der Biobank der Med-Uni Graz und werden derzeit digitalisi­ert.

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