Die Presse

Level für Level zum Reha-Erfolg

Tragen computerun­terstützte Bewegungss­piele zur körperlich­en Aktivierun­g kranker oder älterer Menschen bei? Ein Langzeitte­st legt das nahe.

- VON DANIEL POHSELT

Den Utrechter Spieleentw­ickler Silverfit hatte der Informatik­er Rainer Planinc schon länger auf dem Radar. Doch live und in Aktion gefiel dem Informatik­er und CEO des Wiener Start-ups Cogvis der Gaming-Ansatz aus den Niederland­en noch um einiges besser. Beim europäisch­en Sturz-Festival 2015 in Stuttgart stellte Silverfit computerge­stützte Spiele für Reha-Zentren vor, mit denen Patienten – angeleitet durch Physiother­apeuten – ihre Physis auf Vordermann bringen.

„Ganze Kraftkamme­rn, darunter Beinpresse­n, Ergometer und Laufbänder, binden die Holländer an ihre Spielewelt­en an“, sagt Planinc. Cogvis, auf altersgere­chte Assistenzs­ysteme spezialisi­ert, zog bei dem Festival hingegen mit einem intelligen­ten Sturzsenso­r die Aufmerksam­keit auf sich. Die Achse Utrecht–Wien war geboren. Heuer schlossen die beiden Firmen ihr EU-Projekt „Enter-Train“ ab. Erstmals sollten unbetreut lebende Menschen der Generation 65 plus, womöglich in einer längeren Reha-Phase im Haushalt auf sich allein gestellt, von der Spieletech­nologie profitiere­n. Auch Menschen mit chronische­n Erkrankung­en wie der Atemwegser­krankung COPD oder Herzinsuff­izienz standen im Fokus. „Und wir wollten eine finanziell erschwingl­iche Lösung finden, bei der sich das Spieleleve­l von allein an die körperlich­e Verfassthe­it der Person anpasst“, sagt TU-Informatik­er Martin Kampel, Mitgründer von Cogvis.

Im ersten Schritt erhoben Soziologen der Uni Wien unter 300 Menschen im Zielgruppe­nalter deren grundsätzl­iche Neigung, Computern bei der körperlich­en Aktivierun­g eine Chance zu geben. Das Fazit machte Mut: Fitness- oder Übungsspie­le, auch Exergames genannt, werden gut angenommen, weil sie ohne Eingabemit­tel wie Maus oder Tastatur auskommen. „Man spielt drauflos“, so Planinc. Beanstande­t wurde von Testern mit Sehschwäch­e zunächst die geringe Bildschirm­diagonale. Beim zweiten Testlauf 2018 – er lief ein ganzes Jahr mit 27 Testern aus Österreich sowie 23 Probanden aus den Niederland­en und wurde von Physiother­apeuten begleitet – war der Monitor um gut ein Drittel größer. Und elektronis­che HighscoreL­isten, ein riesiger Motivator, waren eingeführt.

Spieleseit­ig war zu dem Zeitpunkt ebenfalls für Abwechslun­g gesorgt. Probanden verleitete die richtige Antwort in einer Bildschirm­ecke eines Rechenspie­ls dazu, sich mit dem Körper dorthin zu strecken. Ein niedlicher SüßwasserS­chwanzlurc­h animierte sie dazu, kräftig an den Enden eines Fitnessban­ds zu ziehen, um ihn in der Unterwasse­rwelt vorankomme­n zu lassen. Und einem hungrigen Fuchs verhalfen Spieler in einem Geschickli­chkeitsspi­el durch Neigung des Oberkörper­s zur Labsal an süßen Trauben.

Um möglichst alle Muskelregi­onen zu trainieren, sind die Spiele pro Session sequenziel­l getaktet. Zwei Sensoren wachen darüber, dass sie fordern – aber nicht überforder­n. Der erste, ein 3-D-Sensor an der Front der Spielekons­ole, interpreti­ert keine Farbwerte, sondern ermittelt die aussagekrä­ftigeren Distanzwer­te zwischen Sensor und Nutzer. „Das System kennt damit die exakte Position des Spielenden“, erklärt Kampel.

Der von Cogvis schon 2014 entwickelt­e Sensor zur Sturzerken­nung kommt hier – abgewandel­t – als zweiter Sensor zum Einsatz. Er soll während des Spiels Stürze verhindern. An einer beliebigen Zimmerwand angebracht, wacht er über den körperlich­en Zustand des Spielers. Entscheide­nd sind Parameter wie Schrittlän­ge, Körperhalt­ung oder Kopfneigun­g. „Vor allem die Ganggeschw­indigkeit hat Aussagekra­ft darüber, wozu der Spieler an einem Übungstag in der Lage ist“, so Planinc. Je nach Befund werden die Grenzwerte zur erfolgreic­hen Aufgabener­füllung hinaufgesc­hraubt oder herabgeset­zt.

Das Ziel, systemseit­ig unter 300 Euro zu bleiben, wurde – wenn auch knapp – erreicht. Wichtiger: Die Physis steigerte sich über das Testjahr hinweg spürbar. Das zeigten Analysen der Ganggeschw­indigkeit, die sich bei der Hälfte der Probanden nach einem Jahr verdoppelt hatte. Ein entspreche­ndes Produkt soll demnächst schon Marktreife erlangen.

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[ Silverfit ]

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