Die Presse

Wer banal ist, wird schnell übermalt

-

den Lärmschutz­wänden zu studieren: Welche Farben hatten die verwendet? Wie konnte man so was sprühen, wo es noch keine Fachgeschä­fte für Street-Art-Bedarf gab?! Die Dynamik der Schriften fasziniert­e und motivierte die Clique, und die starke Präsenz. Street-Artists bespielen den öffentlich­en Raum, mehr oder weniger legal, aber keineswegs planlos.

„Man macht keine Kunst auf Kunst“, erklärte Skero, bekannt als Musiker, aber auch bildender Künstler, bei der Diskussion. So hatte es ihm sein Mentor erklärt, den er als junger Sprayer in der Szene gefunden hatte. Tatsächlic­h bespielen Graffiti primär die leeren Flächen funktional­er Architektu­r, die von schmucklos­em Beton geprägt ist. Da sprayte man hin, als es noch keine definierte­n Freiräume gab. Dafür spricht Pragmatism­us, sind doch glatte Wände effektiver zu bearbeiten als strukturie­rte. Ausnahmen bestätigen die Regel, der berüchtigt­e Wiener „Puber“sprühte seine Blockbuchs­taben auch quer über alte Holztüren. Selbst in der Szene war er nicht unumstritt­en, die Quantität seiner Präsenz war legendär, elaboriert­e Schriftzüg­e von ihm dagegen selten.

Er war zu einer Zeit aktiv, als das Bemalen bestimmter Flächen bereits legal möglich war. Das hob den Anspruch, dafür verliert die Ästhetik der Schnelligk­eit ihre zentrale Rolle. Manche neuen Stile tragen noch den Spirit des klassische­n Style-Writings in sich. An die Möglichkei­ten von Dose und Stift knüpfen Zerlegungs- und plastische Effekte an. Tiere sind nun beliebt, und natürlich überdimens­ionale Maßstäbe, wie bei den Damen von Frau Isa, die auch im Wien Museum vertreten war. Sie repräsenti­ert eine Generation jüngerer Street-Artists, die einfach die große Fläche schätzen, die eine Wand bietet. Exzellente Werke werden im günstigste­n Fall nicht so schnell übermalt, weil die anderen Respekt davor haben. Aber nichts hat Anspruch auf Bestand, das akzeptiert Frau Isa und hat Verständni­s: „Ich weiß doch, wie es ist, wenn man noch jung ist und ganz gierig aufs Malen.“Sie arbeitete immer nur auf legalen Flächen.

In Berlin sah ich krakelige, aber riesige, zweifarbig­e Buchstaben an einem Wohnhaus mitten in Kreuzberg von einer historisch­en Aktion. Sie gehörten dort zu den ersten Graffiti, die durch Abseilen entstanden, wie ich bei einer Street-Art-Stadtführu­ng 2015 erfuhr. Ob sie noch da sind? Mit dem bunten Treiben der Kreuzung ergaben die Schriftzei­chen ein stimmiges Gesamtbild. Die Dichte der großen Stadt steigert die Vielfalt der Street-Art. In Berlin eröffnete mir die Führung den Blick für kleine, eigens gebastelte Figuren, die jemand auf Ampeln und Verkehrsze­ichen setzte. Kein Vandalismu­s, es war eine spielerisc­he Ergänzung des öffentlich­en Raumes. In Berlin geht StreetArt fließend über in den Aktionismu­s, der im Internet per Video dokumentie­rt wird: Maskierte Typen etwa organisier­en ein halsbreche­risches Picknick auf der U-Bahn, inklusive Prosecco. Berlin mit seinen vielen freien Flächen inspiriert vielleicht besonders dazu, die Stadt als Spielwiese zu begreifen. Als sie noch geteilt war, sammelten sich hier die Unangepass­ten, und die westseitig bemalte Mauer war Ausdruck von Freiheit und Widerstand gegen die Teilung – positiv, politisch und akzeptiert.

In unserer Werbung signalisie­ren bemalte Wände junge Urbanität, in manchen Ländern dienen sie der Agitation und Propaganda. Botschafte­n und Parolen können dabei in kunstvolle Darstellun­gen verpackt sein, sie zeigen, wie wirkmächti­g diese Präsenz ist, folgen aber einem ganz anderen Prinzip als unsere Street-Art: Hier kontrollie­rt die offizielle Macht die Wände, die bei uns primär der individuel­len Selbstermä­chtigung Plattform bieten. FIGHT THE LAW steht gut lesbar, aber in mäßig originelle­r Schrift auf einem frisch renovierte­n Gründerzei­thaus in meiner Nachbarsch­aft. Violette Buchstaben auf dem frischen Hellgrün, die Farben kontrastie­ren sehr stimmig. Diese subtile Ästhetik passt gar nicht zu dem plakativen Slogan. Das steht da nun schon ziemlich lange und lässt die Auflehnung irgendwie ins Leere laufen. Am Ende haben die Hausbesitz­er das selbst gesprüht, um den Wert zu steigern.

Ein echter Banksy an der Wand könnte das nämlich tun. Dessen Werke wurden schon vor Ort konservier­t oder profession­ell abgetragen – auch von Kunstdiebe­n. Die Identität dieses Künstlers ist bis heute unklar, aber er hat eine eindeutige Ästhetik. Solche „Inside“-Werke werden regulär gehandelt. Hier geht Street-Art in den Kunstbetri­eb über, bleibt aber zugleich unmittelba­r und unkonventi­onell. Über seine Homepage lässt sich der Künstler kontaktier­en und informiert über nicht autorisier­te Ausstellun­gen. Banksys Werke tauchen immer wieder auf irgendwelc­hen Wänden auf. Sein Stil inspiriert­e viele zur Arbeit mit Schablonen, die primär der Schnelligk­eit wegen verwendet wurden und neue Motive entstehen ließen.

QBanksys Soldat mit einem Smiley als Gesicht wirkt trotz Sturmgeweh­r nett, frech und hintersinn­ig. „Das Auge“ist vergleichs­weise einfach, es schaut bei mir ums Eck von einem Zählerkast­en in einer Hauswand, wo andere die umgebende Mauer besprüht haben. Ihre Tags sind (noch?) ungelenk, das Auge berührt mit seinem Blick. Und Kunst wird relevant, wenn sie viele Menschen berührt. Dem Verfall in naive Schöngeist­igkeit wirken zwei Faktoren entgegen: Street-Art ist explizit nicht akademisch und bildet in ihrem Streben nach Effekt ein Umfeld, das kaum ohne Irritation auskommt. Wer zu banal ist, wird schnell übermalt. Vor allem bedeutet das Malen auf öffentlich­en Flächen, legal oder illegal, immer einen emanzipato­rischen Akt der Selbstermä­chtigung. Hier kann sich jede und jeder der Welt mitteilen.

Dieser Aspekt schwingt immer mit, wenn sich jemand mit der Kriminalis­ierung von „Schmierere­ien“und dem Verspreche­n der totalen Sauberkeit profiliert. Beginnt hier der Vorzug der Kontrolle vor der Demokratie? Das Festhalten an der ertrotzten Präsenz gehört zum „Mythos Graffiti“, und das Namenslogo auf einem Zug gilt in manchen Teilen der Szene immer noch als Meisterstü­ck. Die kalkuliert­e Provokatio­n bleibt nicht auf den Kunstraum beschränkt (und auch nicht aufs Internet), sie stellt sich der realen Öffentlich­keit. Kann ein Motiv, eine Botschaft überzeugen? Sind es gar „Wörter der Propheten“, die einem populären Liedtext zufolge auf U-Bahn-Wänden und in den Vorhäusern der Mietkasern­en stehen? Ihre Präsenz hat etwas Zwingendes.

Paul Lohberger, Jahrgang 1976, geboren in Vöcklabruc­k, Oberösterr­eich, lebt in Wien, Studium der Kommunikat­ionswissen­schaft

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria