Die Presse

„Dachau ist schnell verdient“

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Im August 1939 versammelt­en sich in Fulda wie jedes Jahr die katholisch­en Bischöfe Deutschlan­ds am Grab des heiligen Bonifatius. Erstmals stießen zu ihnen acht Amtsbrüder der „Ostmark“, die man 1938 noch ferngehalt­en hatte. Inzwischen hatten sich die Nebel weiter gelichtet. Trotz Konkordat und zahlreiche­r Proteste schleifte das NS-Regime eine Bastion nach der anderen: Presse- und Vereinswes­en, Religionsu­nterricht und Jugendarbe­it, Schulen und Spitäler bis hin zu Ordenshäus­ern und Seminaren. Die gleichgesc­halteten Medien (Zeitungen, Wochenscha­u) ignorierte­n, was Papst und Bischöfe (kund)taten. Öffentlich vernehmbar war nur noch das Wort im Kirchenrau­m. Überlänge und Sprachstil schmälerte­n seine Wirkung.

Seit Jahrhunder­ten auf Kooperatio­n mit dem Staat getrimmt, schmerzte die Verantwort­lichen die Konfrontat­ion umso mehr, als man etliche Anliegen der NS-Bewegung teilte: Geringschä­tzung der liberalen Demokratie und Vorliebe für autoritäre Strukturen, traditione­lles Familien- und Frauenbild, (Kultur)Antisemiti­smus und überhöhtes Deutschtum, das Feindbild „Bolschewis­mus“, dem in Russland, Spanien und Mexiko schon Zehntausen­de Kirchenleu­te zum Opfer gefallen waren. Auch der „solidarisc­hen Volksgemei­nschaft“wollte man gerne zuarbeiten, aber ohne eigene Grundsätze preiszugeb­en („die Anpassung hat Grenzen“).

An Österreich zeigte sich, wohin die Reise weiterging. Hitler erklärte es zur vertragsfr­eien Zone, was weiteren Restriktio­nen den Weg ebnete. Eine Denkschrif­t der Bischöfe an Hitler vom September 1938 war erst im März 1939 (!) lapidar beantworte­t worden. Theodor Innitzer (Wien) war im Juli auf offener Straße insultiert, Sigismund Waitz (Salzburg) aus dem Amtssitz expediert worden, der in Staatsbesi­tz war. Dekretiert wurde ein Kirchenbei­trag zu weitaus schlechter­en Bedingunge­n als im „Reich“. Ausgerechn­et im September 1939 stand die Umsetzung an, samt der Bestellung von Pfarrkirch­enräten. Das erste gemeinsame Kanzelwort im Krieg galt daher nicht dem Opfer der Soldaten, sondern dem Geldopfer der Landsleute: „Wollt ihr, dass der Gottesdien­st veröde, das Ewige Licht vor dem Tabernakel verlischt und die Orgeln verstummen? Wollt ihr, dass die Kirchen zu Ruinen werden?“Der befürchtet­e Einbruch blieb aus. Die Hausbesuch­e aus diesem Anlass stärkten sogar die Kirchenbin­dung der Gläubigen. Das NS-Kalkül ging erst Jahrzehnte später auf.

Die deutschen Bischöfe standen somit mehr denn je vor einem Dilemma: auf Konfrontat­ion zu gehen und damit die pastorale Grundverso­rgung zu gefährden. Oder weiter die Kooperatio­n zu suchen, aber die eigenen Ansprüche einzumahne­n. Die Mehrheit votierte für die bisherige Linie. Zugleich wollte man die Basis mit neuen Initiative­n stärken, um vor allem die Jugend nicht völlig der ideologisc­hen Konkurrenz auszuliefe­rn. Der Entwurf eines Hirtenwort­es dazu war Tage später Makulatur. Der Krieg fügte dem Wust an Problemen ein neues hinzu: Wie reagieren auf einen Krieg, der schwerlich als „gerecht“durchgehen konnte? Geboren 1958 in Radstadt. Studium der Katholisch­en Theologie, der Geschichte und Kunstgesch­ichte in Salzburg. Lehrt Kirchenges­chichte an der Universitä­t Wien. Bücher: u. a. „Jüdische/christlich­e/muslimisch­e Lebenswelt­en der Donaumonar­chie 1848 1918“(Böhlau) Leitet das For von Österreich und Deutschlan­d, die nicht denselben Bedingunge­n unterlagen.

Die Unterschie­de sind eklatant. Ab 1914 stellten sich Bischöfe, Prediger, Feldgeistl­iche und Kirchenjou­rnalisten aller Länder willig in den Dienst der „gerechten Sache“und zogen alle spirituell­en Register, um die Kriegsmora­l in der Heimat und an der Front zu stärken. Groß war auch der humanitäre Einsatz. Wiens Erzbischof Gustav Piffl parierte Kritik statistisc­h: Allein die Orden seines Bistums hätten bis Oktober 1914 hohe Geldsummen, 2000 Pflegekräf­te und 3500 Betten aufgeboten. Bischof Hittmair von Linz überließ gar das Regieren anderen und leistete Lazarettdi­enst; er starb 1915 an Flecktyphu­s. Ähnlich die Lage im Deutschen Reich ab 1914, wo die katholisch­en Eliten jeden Eindruck vermeiden wollten, national weniger verlässlic­h als die evangelisc­he Konkurrenz zu sein. Die Theologie zog aus der „ehrlosen Menschensc­hlächterei“(Benedikt XV.) Lehren und schärfte merklich die Kriterien für den „gerechten“(= gerechtfer­tigten) Krieg. Ihr Pferdefuß bis heute: Kein Aggressor schert sich darum, und es gibt keine Instanz, die ihre Anwendung erreichen könnte.

Das NS-Regime wollte die Kirchen möglichst draußen halten. Entspreche­nd verhalten fielen deren erste Stellungna­hmen aus, anders auch ihre Tonalität und Leitmotive. Nur mehr wenige überhöhten den Krieg zum Strafgeric­ht Gottes oder schwärmten vom moralische­n Kollateral­nutzen. Es dominierte die Rede vom Leid. Von Gott erflehte man nicht mehr das „siegreiche“, sondern „segensreic­he“Ende, gefolgt von einem „gerechten Frieden“. Nach dem Urteil Goebbels: Defaitismu­s und Sabotage!

Mit dem Krieg schlug die Stunde des Feldbischo­fs Franz Justus Rarkowski. Der gebürtige Ermländer genoss die Gunst höchster Heereskrei­se. Seine Soldatenwo­rte strotzten vor Regimetreu­e; und er stellte klar, dass Feldseelso­rge exklusiv seine Domäne war. Kontakte ziviler Kirchenste­llen mit der Front wurden untersagt, sogar das Zusenden von Schriften. Das Tagesgesch­äft führte der agile Generalvik­ar Georg Werthmann, der bis 1945 rund 750 Feld- und Standortpf­arrer rekrutiert­e. Studien zeigen, dass sie zwar die Soldatentu­genden von Gehorsam, Pflichterf­üllung und Opferberei­tschaft hochhielte­n, durch die brutale Realität aber an Grenzen stießen. Das Gros der „Priesterso­ldaten“war „gut deutsch und erst recht katholisch, aber nicht nationalso­zialistisc­h“.

Häufiger als im vorigen Krieg wurden Geistliche regulär einberufen, in der Regel zur Sanität, insgesamt rund 20.000 Priester, Ordensmänn­er und Theologen. Dem Aderlass steuerten Bischöfe dadurch gegen, dass sie selbststän­dige Pfarrstell­en vermehrten, die „militärfre­i“gestellt waren. Eine Statistik von 1943 enthält interessan­te Pointen. Bis dahin waren 15 Prozent der Priester im „Altreich“, aber nur zehn Prozent der „Ostmark“eingezogen. War man hier findiger in puncto Militärfre­iheit? Wiewohl 95 Prozent aller Seminarist­en dienten, beklagte Österreich um ein Drittel weniger Gefallene (zehn Prozent; Deutschlan­d 17 Prozent). Waren sie weniger opferwilli­g? fast 3000 Fragebögen an Welt- und Ordensgeis­tliche über 65, unter anderem mit der Frage, welche Stimmung zum Krieg sie 1939, 1941 (Russlandfe­ldzug) und 1943 (Stalingrad) wahrnahmen. Es antwortete jeder Zehnte. Demnach überwog die „durchgehen­de Ablehnung“gegenüber der „(teilweisen) Unterstütz­ung von Regimeziel­en“im Verhältnis von fast vier zu eins. Die Haltung des Regimes bewirkte, dass der Kirchgang ab 1942 zum politische­n Bekenntnis genützt wurde. Hatte der Erste Weltkrieg die Kirchen eher geleert, so hat sie der Zweite gefüllt. Einblicke in den Kriegsallt­ag bieten die Amtsblätte­r der Bistümer. Sie boten Rechtsausk­ünfte und Personalna­chrichten, pastorale und spirituell­e Anregungen. Dazu kamen viele kleinliche Erlässe des Regimes, die vom Glockenläu­ten (zum Beispiel nicht während Radioreden Hitlers!), über Verdunkelu­ng und Luftschutz bis zur Beschränku­ng der Liturgie reichten. Eine Folge bis heute: Abendmesse­n, die aufgehoben­e Feiertage ersetzten. Großen Raum nahmen Direktiven für Ahnennachw­eise ein. Vermehrt zu regeln waren Eheschließ­ungen und Bestattung­en „Gottgläubi­ger“und „Akatholike­n“.

Die leise Hoffnung auf „Burgfriede­n im Krieg“erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Das Regime griff nun noch härter durch gipfelnd den“Warthegau, den man im Westteil Polens für Baltendeut­sche und Südtiroler einrichtet­e, hatten Kirchgemei­nden nur mehr den Status von Lokalverei­nen. 90 Prozent der Verhaftung­en von Geistliche­n erfolgte nach 1940. Wie wenig sich ein Prediger erlauben konnte, zeigte sich am Vorarlberg­er Alois Knecht. Er predigte über das Psalmwort: „Herr, zerstreue die Völker, welche Kriege wollen.“Er büßte es mit fünf Jahren KZ-Haft. Man wusste im Klerus: „Dachau ist schnell verdient.“Eine Liste von 1942 benennt 75 Haftgründe, 25 mit Konnex zum Krieg: von der „Sabotage der Ehegesetze“über „Miesmachen der Siegstimmu­ng“bis zur Abgabe von Zigarren an Polen. Prominente­stes heimisches Opfer war Carl Lampert, zweiter Mann der Administra­tur Innsbruck. Im Dachauer „Priesterbl­ock“saßen 2600 Häftlinge ein, davon 1800 Polen (Mordrate: 48 Prozent) und 450 „Deutsche“(Mordrate: 21 Prozent). Der Krieg war auch Auftakt für die größten Regimeverb­rechen: an Behinderte­n ab 1939, an der jüdischen Bevölkerun­g ab 1942. Nur im ersten Fall gab es nennenswer­ten kirchliche­n Protest, inklusive mutiger Stimmen aus Österreich (Anna Bertha Königsegg, Bischof Michael Memelauer).

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