Die Presse

Ein Nobelpreis für Greta?

Expedition Europa: zu Besuch in Oslo bei Thunbergs Mentor für den Friedensno­belpreis.

- Von Martin Leidenfros­t

Obwohl nur sieben Zehntel eines Promilles der Weltbevölk­erung Norweger sind, ist Norwegen eine humanitäre Weltmacht. Einer dieser nimmermüde­n norwegisch­en Friedensst­ifter nannte Norwegen einen „moral entreprene­ur“, allein in den Fonds zur Rettung der Regenwälde­r zahlte Norwegen 1,2 Milliarden Dollar ein. Wenige wissen, dass auch die größte moralische Auszeichnu­ng der Welt - der Friedensno­belpreis – letztlich von den fünf stärksten norwegisch­en Parteien vergeben wird. Alle fünf Mitglieder des Nobel-Komitees sind vom norwegisch­en Parlament gewählte Norweger.

Alfred Nobel selbst hinterließ keine Erklärung, warum die anderen vier Nobelpreis­e von schwedisch­en Akademien vergeben werden, der Friedenspr­eis aber von der norwegisch­en Politik. 1901, bei der ersten Vergabe, bestand das norwegisch­e Parlament schon 87 Jahre, die Unabhängig­keit Norwegens von Schweden kam aber erst vier Jahre später. Norweger waren schon damals humanitär aktiv, Bjørnstjer­ne Bjørnson – später Mitglied des Nobelkomit­ees – engagierte sich für die in Ungarn unterdrück­ten Slowaken.

Auch die Nominierun­gen für den Friedensno­belpreis sind politisch, nominieren kann jeder Abgeordnet­e jedes Parlaments der Welt. Heuer hat der jüngste Abgeordnet­e des norwegisch­en Parlaments, 24, die Schwedin Greta Thunberg, 16, nominiert. Ich gehe mit Freddy Andre´ Øvstegard˚ in Oslo auf einen Kaffee. Der schlaksige Junge von der Sozialisti­schen Linken tritt für die Verstaatli­chung größerer Firmen ein, zu Details äußert er sich aber nicht.

Die Tradition besagt, dass die fünf stärksten Parteien ihre früheren Parteichef­s ins Nobelkomit­ee setzen. Auch jetzt sitzt dort eine Ex-Parteichef­in, Anne Enger, die Anführerin der EU-Gegner im EU-Referendum von 1994. In letzter Zeit werden zunehmend Nichtpolit­iker gewählt. Die Tradition besagt weiters, dass alle anderen Parteien der Ernennung zustimmen.

Rosa Luxemburg von Norwegen

Freddy Andre´ schildert mir die einzige Ausnahme – zur Wahl des rechtspopu­listischen Schlachtro­sses Carl Hagen kam es nicht. Mit dem Ersatzmann der Rechtspopu­listen ist auch der Linksradik­ale zufrieden: „Asla Toje war mein Professor in Politikwis­senschaft. Er ist konservati­v, aber wirklich respektier­t.“

Freddy Andre´ ist seit 14 in der Politik, sein Studium liegt auf Eis. Ich frage ihn: „Warum wurde Greta Thunberg nicht von Grünen nominiert?“– „Ich denke, dass sie als erstes von linken Politikern entdeckt wurde. Unsere schwedisch­en Genossen haben sie auch nominiert. Unter den Grünen sind viele Wirtschaft­sliberale, wir hingegen sagen . . .„ – „. . . wir nehmen’s vom Klassenfei­nd?“Er lacht animiert. Greta sei gerade „in Wirtschaft­sfragen ziemlich radikal, sie ist ökonomisch links.“Er vergleicht sie mit Rosa Luxemburg: „Greta hat genauso eine Massenbewe­gung geschaffen, und das ist ein Beitrag zum Frieden. Denn der Klimawande­l wird Krieg bringen.“

Er preist den „New Green Deal“seiner Partei an, etwa eine Bahnlinie in Norwegens Norden, da „Norweger vier Mal so viel fliegen wie der Rest Europas“. Die Linkssozia­listen seien so grün wie die Grünen, „die nur bei der Ölförderun­g weitergehe­n, sie wollen bis 2030 ganz aussteigen“. Greta kennt er persönlich nicht, er spricht von ihr wie von einem Popstar. Aus einigen Nominierun­gen der norwegisch­en Linkssozia­listen sind schon Nobelpreis­träger geworden. Beim Abschied frage ich Freddy Andre:´ „Wenn Greta den Nobelpreis bekommt, würden Sie das als Ihren Erfolg empfinden? – Ich muss sagen JA!“Würden Sie

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