Das Gesicht des Krieges
„Propaganda“: 1944 bekommt der Held in Steffen Kopetzkys Roman von der Propagandaabteilung der US-Army den Auftrag, eine Reportage über Hemingway zu schreiben. Gelegenheit für den Autor, die widersprüchliche Reaktion der USA auf den Nationalsozialismus zu
Weiter könnten Autor und Erzähler kaum voneinander entfernt sein. Der Roman beginnt 1944, und sein IchErzähler ist der US-amerikanische Leutnant mit deutschen Vorfahren John Glueck, Jahrgang 1921 und mithin genau 50 Jahre älter als sein Autor Steffen Kopetzky. Mit der Propagandaabteilung der US-Army kommt er nach Deutschland.
Dann, nach nur sieben Seiten, springt der Roman ins Geburtsjahr des Autors, 1971. John Glueck ist mittlerweile VietnamVeteran und leidet, nachdem er einem Entlaubungsgift ausgesetzt war, unter einer rätselhaften Hautkrankheit. Wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und verbaler Bedrohung eines Polizisten kommt er in ein Gefängnis im Staat Missouri. In Wahrheit wurde er mittels LSD im Abendessen reingelegt. Hier im Gefängnis schreibt er an seinen Lebenserinnerungen. Ihm zugeteilt ist die Anwältin Kaetlin Lambert, die er Kat nennt. Rückwendungen berichten von der Kindheit in Pennsylvania, und Zitate auf „Pennsilfaanisch“, der Sprache der deutschen Einwanderer, schaffen Atmosphäre.
Die Erzählung kehrt ins Jahr 1941 zurück. Allgemeine Politik und die persönlichen Erlebnisse des Erzählers, der damals an der Columbia University Germanistik studierte, insbesondere seine Begegnung mit Literatur, vermengen sich. Ein Thema, das in der deutschen Literatur kaum behandelt wurde, wird anschaulich ausgebreitet: die widersprüchliche Reaktion auf den Nationalsozialismus in den Vereinigten Staaten.
1944 bekommt der Erzähler den Auftrag, für die Leser einer in London erscheinenden deutschsprachigen Zeitung eine Reportage über Ernest Hemingway, der selbst als Kriegsberichterstatter an der Front war, zu schreiben. Glueck arbeitet für Sykewar, die Propagandaabteilung der US-Army. Der Begriff wurde durch die Dissertation von Daniel Lerner über psychologische Kriegsführung verbreitet. Er studiert Hemingways FBI-Akte. En passant spielen Erich Kästner, Ernst Jünger, Oskar Maria Graf eine kleine Rolle, fast nur als Namedropping J. D. Salinger, Charles Bukowski und John Updike, ohne dass die Exkurse zu Bildungshuberei ausarteten. Sogar gegen einen erfolgreicheren Kollegen hält Kopetzky eine Sottise bereit, die er Glueck in den Mund legt: „Es gibt da diesen österreichischen Modeautor, den sie in den Villen und Privatstränden auf Marthas Vineyard und Long Island verschlingen, Peter Handke, der schreibt vielleicht so, über etwas, aber ohne Handlung. Mit Geschehen, aber ohne Inhalt. So pur.“
Seine Mission führt den Erzähler nach Frankreich. Hier spürt er seine „Zielperson“Hemingway auf. Und schafft es, sich ihm inmitten des dramatischen und weniger dramatischen Kriegsalltags anzunähern. Kopetzky gelingt es, sich weitgehend den Klischees von Kriegsromanen und Kriegsfilmen zu entziehen. Der Krieg wird nicht beschönigt, aber er wird auch nicht als permanenter Ausnahmezustand geschildert.
Eine Szene beschreibt ein Treffen zwischen dem französischen General JacquesPhilippe Leclerc de Hauteclocque, dem Chef des amerikanischen Auslands nachrichtendienstes in Europa DavidBruce und Hemingway. Es geht um die Versorgung von Paris mit Waffenlieferungen aus der Luft, die de Gaulle und Leclerc verhindern wollten. Der Absatz endet mit einer für Kopetzky bezeichnenden Volte: „Ich habe später oft an diese Szene denken müssen, denn es war genau dieser Mann, der nur zwei Jahre danach die mit zahllosen Angehörigen der WaffenSS aufgepäppelten Truppen der vierten Republik in Indochina kommandieren würde.“
Kopetzky denkt an einer Stelle darüber nach, warum der Versuch, über den Zweiten Weltkrieg einen Roman wie Tolstois „Krieg und Frieden“zu schreiben, scheitern muss – für Hemingway ebenso wie für ihn selbst: Der an vorderster Front kämpfende Soldat und schließlich unseren Kriegskorrespondenten und Fotografen immer wieder dargestellt – er ist das Gesicht des Krieges. Aber er ist nur die Spitze des Eisbergs. Bis in unsere Zeit weithin unsichtbar und daher auch unbeschrieben sind aber die Kräfte einer jeden Streitmacht, welche die gewaltigen Massen von Kriegsmaterial und Lebensmitteln für die kämpfenden Truppen heranzuschaffen haben. Was blieb von den Imperien der Römer und der Perser anderes übrig als die Straßen, die sie errichteten, um ihre Armeen marschieren zu lassen und sie versorgen zu können?“
Diesem Manko begegnet Kopetzky durch eine ausführliche Beschreibung der Logistik, die wiederum Anlass gibt zu einem Exkurs über Rassismus in der US-Armee. Auch in Literatur und Geschichtsschreibung vernachlässigte Themen kommen in dem Roman vor, etwa die Rolle der „Indianer“im Zweiten Weltkrieg. Großen Raum nimmt die Schlacht im Hürtgenwald in der Nordeifel von 1945 ein, an der Ernest Hemingway tatsächlich teilgenommen hat, den der Roman in seiner zweiten Hälfte allerdings fast aus den Augen verliert.
Kopetzkys Sprache ist elegant, aber unmanieriert. Der Bayer erzählt detailfreudig, flott mit einer fast unmerklichen Ironie. Mit Sprüngen zwischen den Zeitebenen stellt er verblüffende Bezüge her. 1971, vor Gericht, sagt sein Held Glueck in einer langen Verteidigungsrede: „Seit einem Jahr vielleicht muss ich unaufhörlich über das Deutschland in der Nazizeit nachdenken, weil ich das Gefühl habe, dass das, was wir hier gerade in Amerika erleben, dem ganz ähnlich ist.“Und: „Heute aber führt Amerika einen Krieg, der uns alle nicht nur zu kranken, schäbigen, zwiespältig anzusehenden Leuten, sondern zu wahren Ungeheuern machen wird, wenn wir ihn nicht beenden.“
Diese Rede übernimmt „einige zentrale Argumente und Formulierungen“aus Daniel Ellsbergs „Ich erkläre den Krieg“von 1973. Das tut der Argumentation gut und dem Stil schlecht. Literarisch fällt die didaktische Rhetorik aus dem Rahmen, den der Roman bis dahin aufgebaut hat. Kopetzky wäre gut beraten gewesen, wenn er seine Hemmungen überwunden und sich „getraut“hätte, diese Gedanken in die eigene Sprache zu bringen. Dass er nicht deutlich genug gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten Stellung nähme, kann man seinem Roman jedenfalls nicht vorwerfen.
Die offenkundig umfangreichen Recherchen und die erfindungsreiche Ausstattung der Realien verleihen dem Roman eine Fülle, die ihn angenehm unterscheidet von zahlreichen Büchern, in denen man immer nur Vertrautem begegnet. Die Recherchen bedingen auch die drei Druckseiten füllende Danksagung am Ende. Erst hier bemüht sich der Autor vergeblich um die Vermeidung von Phrasen. „Propaganda“kann nicht nur, aber insbesondere dem historisch interessierten Leser wärmstens empfohlen werden