Die Presse

Die vergessene Avantgarde Ungarns

In Ungarn gab es Anfang des 20. Jahrhunder­ts eine starke Avantgarde, die noch wenig bekannt ist. Das Dorotheum versteiger­t jetzt eine bedeutende Sammlung.

- VON EVA KOMAREK

Marcel Breuer ist spätestens seit dem diesjährig­en Bauhaus-Jubiläum wohl den meisten ein Begriff, wenn auch nicht unbedingt seine ungarische Herkunft. Auch Lasz-´ lo´ Moholy-Nagy ist Bauhaus-Kennern bekannt. Doch gab es zahlreiche andere ungarische Künstler, die mit dem Bauhaus verbunden waren.

Als Teil der Habsburgis­chen Donaumonar­chie gehörte Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg zur unterlegen­en Partei der Mittelmäch­te. Es gewann bei der Neuordnung Europas zwar die Unabhängig­keit, musste aber Gebiete abtreten. Nach dem Sturz der Räterepubl­ik 1919 verließen viele Künstler das Land. Vor diesem Hintergrun­d ist die Flucht der politisch und intellektu­ell engagierte­n Avantgarde nach Deutschlan­d und auch nach Österreich zu sehen. Die Ungarn bildeten am Bauhaus in Weimar die drittstärk­ste nationale Gruppe, nach Schweizern und Österreich­ern. Und in Wien, das damals schon sozialdemo­kratisch regiert war, entwickelt­e sich zwischen 1920 und 1925 ein Zentrum der ungarische­n abstrakten Kunst.

Ungarische Avantgarde ist trotz der kunsthisto­rischen Bedeutung auf dem internatio­nalen Kunstmarkt selten präsent. Laut Kunstpreis­datenbank Artprice werden Künstler der ungarische­n Avantgarde mit wenigen Ausnahmen nur auf dem lokalen ungarische­n Markt verkauft. Dem Wiener Auktionsha­us Dorotheum gelang es allerdings jetzt, die renommiert­e Sammlung von Imre Latislav Stephan Kiss zu akquiriere­n. Für die Sammlung ungarische­r Avantgarde spielt die Provenienz eine wichtige Rolle, da viele Fälschunge­n auf dem Markt kursieren.

Kiss war Mitglied des ungarische­n Adels und floh 1947 kurz vor der Abriegelun­g Budapests aus Ungarn. Er emigrierte zunächst nach Schweden und dann nach Italien, wo er in Mailand als Maschinenb­auingenieu­r erfolgreic­h war. Seine Leidenscha­ft für die Kunst begleitete ihn sein ganzes Leben. Das Herz der Sammlung ist ungarische Avantgarde. Dank der Verbindung zu Emilio Bertonati, dem Gründer der renommiert­en Galleria del Levante, der ihm beratend zur Seite stand, trug er über die Jahrzehnte eine formidable Kollektion zusammen.

„Zum Korpus der Sammlung gehören Künstler wie Jozef` Rippl-Ronai,´ der vielen jungen ungarische­n Künstlern den Weg ebnete, indem er das zweidimens­ionale Gemälde der Nabis und später den Fauvismus von Matisse in die Heimat brachte“, schreibt das Auktionsha­us. Zudem habe er erstmals ein Bild geschaffen, dessen Grundlage lyrische und introspekt­ive Elemente bildeten, Innovation­en, die auch den Stil anderer Künstler wie Janos Mattis-Teutsch, Dezsö Czigany´ oder sogar eines Imre Szobotka und eines Bela´ Kad´ar´ durchdrung­en hätten.

Die Sammlung umfasst auch Namen wie den Bauhauskün­stler Lajos Kassak, Bela Uitz, Hugo Scheiber sowie Siebdrucke von Sandor´ Bortnyik.

Die Schätzprei­se seien laut Auktionsha­us bewusst niedrig angesetzt, um Sammler zu locken. So kommt etwa eine „Paesaggio (Landschaft)“von 1918 von Janos Mattis-Teutsch mit einer Taxe von 30.000 bis 40.000 Euro zum Aufruf. Der höchste Preis, ebenfalls für eine Landschaft aus demselben Jahr, beträgt 90.160 Euro, erzielt 2016 in Ungarn. Die Gouache „Bildarchit­ektur mit Figur“von Sandor´ Bortnyik aus dem Jahr 1928 ist mit 4000 bis 6000 Euro taxiert, und das „Paar“von Vilmos Huszar,´ entstanden 1920, kommt mit einer Schätzung von 5000 bis 7000 Euro unter den Hammer.

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